Gentechnik-Pflanzen: Nationale Anbauverbote rechtlich weiter nicht erlaubt, doch politisch längst üblich

(10.03.2012) EU-Mitgliedsstaaten dürfen den Anbau gentechnisch veränderte Pflanzen auf ihrem Gebiet auch weiterhin aus politischen oder sozioökonomischen Gründen nicht verbieten. Ein von Dänemark ausgehandelter Kompromiss erhielt gestern im EU-Ministerrat nicht die erforderliche qualifizierte Mehrheit. Mehrere Länder lehnen einen größeren nationalen Entscheidungsspielraum als nicht vereinbar mit den Binnenmarkt-Regeln und WTO-Verträgen ab. Doch die politische Praxis sieht längst anders aus: Zehn EU-Länder, darunter Deutschland und Frankreich haben nationale Verbote erlassen. Sie berufen sich dabei auf angebliche Gefahren für die Umwelt.

John Dalli, Ida Auken

Keine Mehrheiten im Ministerrat: EU-Verbraucherschutzkommissar John Dalli und die dänische Umweltministerin Ida Auken

Miguel Arias Canete

Der spanische Umwelt- und Landwirtschaftsminister Miguel Arias Canete signalisierte die Zustimmung seines Landes zu dem dänischen Kompromiss, „auch wenn er nicht ganz unseren Erwartungen entspricht“. Spanien ist das einzige Land in Europa mit größeren Anbauflächen für gv-Pflanzen. Foto: Rat

Vor vier Jahren hatten einige Länder, darunter Österreich und die Niederlande vorgeschlagen, dass die Mitgliedsstaaten selbst darüber entscheiden sollten, ob sie den Anbau zugelassener gv-Pflanzen auf ihrem Gebiet erlauben wollen. Auch Verbote sollten möglich sein, sofern dafür soziale, ökonomische oder ethische Gründen angeführt werden könnten. Mit dieser Re-Nationalisierung sollte die seit Jahren anhaltende politische Blockade überwunden werden.

EU-Verbraucherschutzkommissar John Dalli griff die Idee auf und legte 2010 erste Entwürfe für entsprechende Änderungen der EU-Gentechnik-Gesetze vor. Doch auch heute – nach unzähligen Sitzungen und Arbeitsgruppen, mehreren juristischen Gutachten und einem Beschluss des Europäischen Parlaments – ist eine politische Umsetzung weiter entfernt denn je.

Einen neuen Versuch, den gordischen Knoten zu lösen, hatte Anfang 2012 Dänemark unternommen. Das Land steht in diesem Halbjahr an der Spitze des Rates. Der Kern seines Vorschlages: Der Anbau einer gentechnisch veränderten Pflanze in der EU soll nur dann genehmigt werden, wenn die Antrag stellenden Unternehmen sich vor einer Zulassung verbindlich verpflichten, das Saatgut nicht in solchen Ländern zu vermarkten, die das nicht wollen.

Eine Anbauzulassung für eine gv-Pflanze wäre damit weiterhin in der gesamten EU gültig, würde jedoch in bestimmten Ländern infolge einer Vereinbarung zwischen Unternehmen und Regierung nicht angewandt. Außerdem sollen die Länder auch nach einer EU-Zulassung den Anbau einer gv-Pflanze einschränken oder verbieten dürfen. Die Gründe dafür dürfen jedoch nicht den Ergebnissen der wissenschaftlichen Sicherheitsbewertung widersprechen, die Grundlage für die EU-Zulassung ist.

Dieser Kompromiss sei ein „heikles Gleichgewicht“ und eine „Brücke zwischen den unterschiedlichen Auffassungen“, sagte die dänische Umweltministerin Ida Auken zu Beginn der Debatte im Ministerrat. Sie forderte auch die bisher ablehnenden Regierungen auf, „über ihren Schatten zu springen“. Ein Scheitern bedeute, dass sich am „bisherigen Zustand nichts ändert“.

Doch Aukens Apell half wenig: Nur zwanzig Länder unterstützten den dänischen Vorschlag, zu wenig für eine qualifizierte Mehrheit. Die übrigen Staaten lehnten ihn ab, wenn auch mit unterschiedlichen Begründungen. Deutschland, Frankreich und Belgien sperren sich „grundsätzlich“ gegen eine Rückverlagerung von Entscheidungskompetenz auf die Ebene der Mitgliedsstaaten. Sie sehen darin einen Verstoß gegen den EU-Binnenmarkt als auch gegen die Welthandelsverträge (WTO), wie Umweltminister Norbert Röttgen bei den Beratungen betonte. Andere Länder schließen eine Re-Nationalisierung zwar nicht kategorisch aus, halten jedoch die bisher dazu vorgelegten Umsetzungsvorschläge für unzureichend. Einige wollen die in dem dänischen Kompromiss aufgeführten „sozioökonomischen“ Gründe, die für nationale Verbote herangezogen werden können, erweitern, andere ihn einschränken.

Auken ließ offen, ob sie weitere Versuche unternehmen werde, um doch noch zu einer Einigung zu kommen. „Wir werden nur dann die Gespräche wieder aufnehmen“, sagte sie, „wenn die bisher ablehnenden Länder signalisieren, dass sie sich wirklich bewegen wollen“. Sie kritisierte vor allem Länder wie Deutschland und Frankreich, die sich mit dem Hinweis auf den gemeinsamen Binnenmarkt kategorisch gegen nationale Sonderwege sperren, selbst jedoch den Anbau von gv-Mais MON810 verboten haben. Da politische Verbote nach EU-Recht derzeit nicht erlaubt sind, müssen die Länder ihre Maßnahmen mit einzelnen - oft umstrittenen - wissenschaftlichen Veröffentlichungen begründen, die auf mögliche bisher nicht bekannte Umweltrisiken hindeuten könnten.

Der spanische Umwelt- und Agrarminister Miguel Arias Canete wies seine Ministerkollegen darauf ihn, dass es in der Verantwortung aller liege, das Vertrauen in die Qualität und Unabhängigkeit des gemeinsamen Zulassungsverfahrens und der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) zu sichern. Spanien, das Land mit den größten Anbauflächen für gv-Pflanzen in Europa, will daher dem dänischen Kompromiss zustimmen, auch wenn er „nicht ganz unseren Erwartungen entspricht“.