Kanzler Initiative zur Grünen Gentechnik. Eine Chronik

Im Sommer 2000 schlug Bundeskanzler Schröder ein dreijähriges Untersuchungs- und Anbauprogramm mit gentechnisch veränderten Pflanzen vor. Nachdem sich Industrie und Bundesministerien weitgehend geeinigt hatten, sagt der Kanzler im Januar 2001 seine Initiative ab. In der BSE-Krise fehlte offenbar der politische Mut, den eigenen Vorschlag zu realisieren. Renate Künast wurde Verbraucherschutzministerin: Sie lud Ende 2001 zum Diskurs Grüne Gentechnik - ohne praktische Anbauversuche.

Die Chronik der Kanzler-Initiative

Juni 2000: Der Vorschlag

Als Bundeskanzler Schröder im Juni die KWS, das größte deutsche Züchtungsunternehmen besuchte, machte er einen interessanten Vorschlag: Die Industrie verpflichtet sich, bis Ende 2003 gentechnisch veränderten Pflanzen in Deutschland nur im Rahmen eines dreijährigen Forschungs- und Untersuchungsprogramms anzubauen. In der Zwischenzeit soll ein gesellschaftlicher Konsens über den weiteren Umgang mit der Grünen Gentechnik ausgehandelt werden.

Es gab Zustimmung von allen Seiten - allerdings mit völlig unterschiedlichen Akzenten.

  • Gentechnik-Kritiker, vor allem aus den Reihen der Grünen, sahen den Vorschlag „als einen Schritt in die richtige Richtung“ und verstanden ihn als das schon länger geforderte Moratorium für den Anbau gentechnisch veränderter Pflanzen.
  • Die Industrie dagegen begrüßte die Kanzler-Initiative als politische Unterstützung bei der Markteinführung ihrer neuen herbizid- oder insektenresistenten Sorten.

September 2000: Diskussionen um dasUntersuchungsprogramm

Der Vorschlag des Kanzlers hat noch immer keine Konturen angenommen. Noch bevor es zu offiziellen Verhandlungen im Kanzleramt gekommen ist, scheint der angestrebte Konsens weiter entfernt denn je. Gesprächspartner des Kanzleramts sind drei industrienahe Verbände: die Deutsche Industrievereinigung Biotechnologie (DIB), der Industrieverband Agrar (IVA) und der Bund Deutscher Pflanzenzüchter (BDP). Sie haben ihre Linie weitgehend abgesteckt und verlangen von der Bundesregierung Planungssicherheit bei der Markteinführung ihrer Produkte. Allerdings: Bis Mitte Oktober hat noch kein offizielles Gespräch im Kanzleramt stattgefunden.

Erst nachdem sich die Runde geeinigt hat, sollen weitere Verbände und Akteure in den Prozess mit eingebunden werden. Derzeit sind jedoch weit mehr Fragen offen als gelöst. Auch die verschiedenen, für die Gentechnik zuständigen Bundesministerien (Gesundheit, Landwirtschaft, Umwelt, Forschung, Wirtschaft) haben völlig unterschiedliche Vorstellungen.

Umstritten ist vor allem das dreijährige Untersuchungsprogramm, ursprünglich der Kern des Kanzler-Vorschlags.

  • Wie groß sind die Flächen, auf denen die zu untersuchenden Pflanzen, ausgesät werden - kleine Versuchsfelder oder größere Ackerflächen unter Praxisbedingungen?
  • Welche gentechnisch veränderten Pflanzen sollen untersucht werden? Nur solche, die in der EU zugelassen sind oder auch andere?
  • Was wird untersucht? Wird die klassische, seit vielen Jahren geförderte biologische Sicherheitsforschung weitergeführt oder geht es vor allem um landwirtschaftliche Fragen des Anbau gentechnisch veränderter Nutzpflanzen wie Ertrag, Wirksamkeit, Nachhaltigkeit oder Umweltverträglichkeit?
  • Was geschieht mit der Ernte? Sollen Mais und Raps von Versuchsfeldern vernichtet oder zu Futter- und Lebensmitteln verarbeitetet werden? Wie werden die Produkte vermarktet, wie gekennzeichnet?
  • Soll das Programm durch einen breiten gesellschaftlichen Dialogprozess begleitet oder gar gesteuert werden? Wie und von wem wird er organisiert?

Hinter den Kulissen wird heftig gestritten, doch Ergebnisse sind nicht in Sicht. Die Industrie wird bereits unruhig, denn wenn das gentechnisch veränderte Saatgut im kommenden Frühjahr auf die Versuchsfelder soll, müssen die Rahmenbedingungen noch in diesem Jahr festgelegt werden.

Oktober 2000: Ausstieg der Industrie?

Die Industrie droht, ab Frühjahr 2001 großflächig gentechnisch veränderten Mais auszusäen - ohne Untersuchungsprogramm und ohne politischen Konsens. Allerdings: Derzeit gibt es keine Sorten, die alle Zulassungshürden bestanden haben und wie jedes andere Saatgut ausgebracht werden könnte.

  • Die Sortenzulassung für den insektenresistenten Bt-Mais (Novartis) wurde im Frühjahr 2000 gestoppt. Eine gerichtliche Klärung des Falls steht noch aus.
  • Weitere gentechnisch veränderte Mais- und Rapslinien sind zwar in der EU nach den Bestimmungen des Gentechnik-Rechts zugelassen. Die ebenfalls erforderlichen Sortenzulassungen sind jedoch noch nicht abgeschlossen. Nach Angaben des Bundessortenamtes könnten bis zum kommenden Frühjahr drei gentechnisch veränderte Maissorten zugelassen werden.
  • Selbst wenn rechtlich einer Aussaat nichts im Wege steht, müssen Landwirte das Saatgut kaufen und im Herbst die Ernteprodukte verarbeitet werden - bei der anhaltenden Ablehnung durch Verbraucher ein wirtschaftliches Wagnis.

November 2000: Gesprächsrunden imKanzleramt

Während das Biotechnologie-Branchenblatt

transkript meldete, die Industrie habe das „Bündnis“ gekündigt und wolle 2001 großflächig gentechnisch veränderte Raps- und Zuckerrübensorten anbauen, kommt es am 23. November doch noch zu einem Gespräch im Kanzleramt. Konkrete Ergebnisse gibt es zunächst nicht. “ Wir hoffen, bis Weihnachten zu einer konkreten Vereinbarung zu kommen“, sagte eine Sprecherin der Bundesregierung. Die Flächen des Versuchsprogramms für gentechnisch veränderte Pflanzen sollen zunächst 500 ha betragen und bis auf 3000 Hektar steigen. Das Forschungsministerium soll das Programm mit fünfzig Mio. DM finanzieren. Der Schwerpunkt der Untersuchungen soll sich offenbar mit Fragen der Sicherheit und Umweltverträglichkeit beschäftigen

Dezember 2000: Warten auf Ergebnisse

Die Gesprächsrunde im Kanzleramt am 19.12. geht ohne Ergebnis und ohne öffentliche Erklärung zu Ende. Die Gespräche werden fortgesetzt.

Januar 2001: Das Ende

In einem Brief an die Industrie sagt Kanzleramts-Chef Steinmeier die weitere Beteiligung der Bundesregierung an dem Untersuchungsprogramm ab. Zur Begründung wurde auf die starke Verunsicherung der Verbraucher durch die BSE-Krise und die Neuordnung der Agrarpolitik verwiesen.

Steinmeier schreibt in seinem Brief, dass „die Regierung von den Bemühungen um die kurzfristige Erstellung eines Verständigungspapiers mit der Industrie zur Zeit Abstand nehmen wolle“. Die Regierung wolle „überdenken, ob und wie sich die gemeinsame Initiative der Regierung und der Industrie zur Grünen Gentechnik in eine verbraucherorientierte Neuaisrichtung der Agrarpolitik einfügen könnte.“

Damit wird es im Rahmen des Programms vorerst keine Anbauversuche geben.

Offen ist, ob die Gespräche zu einem späteren Zeitpunkt wieder aufgenommen werden sollen. Die Industrie will weitere Sortenzulassungen, die in Kürze erwartet werden, für eine „schrittweise und behutsame“ Ausweitung des Anbaus gentechnisch veränderter Pflanzen nutzen. Derzeit liegen beim Bundessortenamt mehr als zwanzig Anträge auf Zulassung transgener Mais-, Raps- und Zuckerrübensorten vor.

Das vom Bundesforschungsministerium aufgelegte dreijährige Programm zur Biologischen Sicherheitsforschung wird hingegen in vollem Umfang weitergeführt. Dieses schließt Freilandversuche mit gentechnisch veränderten Pflanzen ein.

Die Ministerin für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft, Renate Künast, hat angekündigt, dass die vom Kanzler abgebrochenen Gespräche wieder aufgenommen werden sollen - „in Ruhe“ und unter ihrer Regie. Das Verbraucherschutz-Ministerium ist nun federführend bei der Grünen Gentechnik. Es hat vom Gesundheitsministerium einige Zuständigkeiten übernommen. Die Aufsicht über das Robert-Koch-Institut, das etwa über Freisetzungen oder Zulassungen gentechnisch veränderte Pflanzen entscheidet, bleibt jedoch beim Gesundheitsministerium.