Fütterungsversuche: Verwirrung um die Pusztais Ergebnisse

Bei seiner Warnung, gentechnisch veränderte Lebensmittel seien nicht ausreichend geprüft, berief sich Prof. Pusztai auf seine Fütterungsversuche, die er mit gv-Kartoffeln durchgeführt hatte. Doch was Pusztai tatsächlich gefunden hatte, blieb widersprüchlich.

Über Pusztais Fütterungsversuche und ihre Auswertung liegen mehrere Quellen vor. Sie enthalten nicht nur unterschiedliche Angaben darüber, was im einzelnen untersucht wurde, sondern auch widersprüchliche Daten. Das hat sicherlich zu den Verwirrungen in der öffentlichen Auseinandersetzung beigetragen.

Quelle 1: Das Fenseh-Interview am 10. Aug. 1998

Bereits sechs Wochen vor der Ausstrahlung am 10. August 1998 wurde das Fernseh-Interview aufgezeichnet. Es sollte dazu dienen, die Grundidee des Lektin-Projektes in der Öffentlichkeit vorzustellen.

In dem Interview berichtete Pusztai allerdings auch über Ergebnisse, die er seinen Wissenschaftler-Kollegen, mit denen er an dem Projekt zusammenarbeitete, noch nicht mitgeteilt hatte:

  • Nach Verfütterung einer der transgenen Kartoffelinien zeigte sich bei den Ratten nach 110 Tagen eine leichte Wachstumsverzögerung und eine verringerte Immunantwort.
Arpad Pusztai

Prof. Arpad Pusztai: Erst warnte er im Fernsehen die britischen Verbraucher, sie würden als Versuchskaninchen missbraucht. Später gab es widersprüchliche Informationen, was Pusztai tatsächlich herausgefunden hatte.

Pusztai zog in dem Interview den Schluss, dass er selbst keine Nahrungsmittel aus gentechnisch veränderten Pflanzen zu sich nehmen würde. Aus seiner Sicht würden die Verbraucher als Versuchstiere (guinea-pigs) missbraucht, solange keine entsprechenden Kontrollstudien durchgeführt würden. Pusztai schloss somit nicht aus, dass nicht nur seine Laborkartoffeln, sondern auch bereits auf dem Markt befindliche Produkte aus gentechnisch veränderten Pflanzen derartige Schäden verursachen könnten.

Über den Inhalt des Interviews erfuhr die Leitung des Rowett Research Instituts(RRI) erst bei seiner Ausstrahlung am 10. August. Offenbar veranlasste die Tatsache, dass Pusztai in dem Interview Ergebnisse des Projektes in der Öffentlichkeit präsentierte und daraus Schlussfolgerungen zog, ohne diese vorher mit seinen Kooperationspartnern und RRI-Wissenschaftlern diskutiert oder diese darüber in Kenntnis gesetzt zu haben, die Leitung des Instituts, Pusztai umgehend zu entlassen - noch bevor eine vollständige Überprüfung seiner Daten stattgefunden hatte.

Quelle 2: Der Audit Report vom 21. Aug. 1998

Der elf Tage nach Pusztais TV-Interview vorgelegte Audit Report eines vom RRI eingesetzten Prüfungskomitees enthält eine kurze Zusammenfassung der Daten und stellt fest:

  • Es existierte zum Zeitpunkt der Aufzeichnung des Interviews kein auswertbarer Langzeitversuch von 110 Tagen, in denen die Immunreaktion nach Verfütterung transgener Kartoffeln getestet wurde.
  • Die Effekte auf Wachstum und Immunsystem in den Kurzzeitversuchen (zehn Tage) sind nicht signifikant.
  • Die Ergebnisse belegen keine negativen Auswirkungen der transgenen Kartoffel auf das Wachstum, die Organentwicklung oder das Immunsystem.

Aus Sicht des Komitees sind die im Versuch verwendeten Kartoffellinien (Ausgangslinien und transgene Linien) substanziell äquivalent, d.h. sie weichen, abgesehen vom Lektingehalt, hinsichtlich ihrer Inhaltsstoffe nicht oder nur geringfügig voneinander ab. Diese Äquivalenz stellt eine Grundvoraussetzung dar, um solche Fütterungsstudien überhaupt durchführen zu können – ansonsten ließen sich möglicherweise auftretende Effekte gar nicht auf einen einzelnen Faktor zurückführen.

Quelle 3: Der Alternative Report.

Im Alternative Report, der Antwort Puszatis auf den Audit Report des Prüfungskomitees, beschreibt er seine Experimente und Ergebnisse im Detail. Die Kernaussagen sind:

  • In allen durchgeführten Versuchen (ein Langzeit-, drei Kurzzeitversuche) zeigten die Tiere nach Aufnahme der transgenen Kartoffeln signifikante Veränderungen hinsichtlich des Wachstums. Einflüsse auf das Immunsystem fanden sich hingegen nur in den Kurzzeitversuchen.
  • Verschiedene innere Organe wiesen bei diesen Tieren ein verändertes Gewicht auf; bei Zellkulturtests mit Immunzellen der Ratten wurde eine verringerte Reaktionsfreudigkeit festgestellt, Anzeichen für mögliche Beeinträchtigungen des Immunsystems. Diese Effekte zeigten sich ausschließlich bei der Kartoffellinie, in die das GNA-Lektin gentechnisch eingeführt war, nicht jedoch bei den mit Lektin vermischten und den normalen Kartoffeln.

Pusztai interpretierte seinen Befund so, dass die chemische Substanz GNA-Lektin als Ursache für die schädlichen Veränderungen bei den Ratten auszuschließen sei. Vielmehr müsse sie in dem gentechnischen Verfahren selbst zu suchen sein.

Als Unterstützung seiner Vermutung führt Pusztai an, dass sich Ausgangslinien und transgen Linien, im Gegensatz zur Auffassung des Auditkomitees, hinsichtlich vieler Inhaltsstoffe voneinander unterscheiden, also nicht substantiell äquivalent sind. Im Alternative Report führt Pusztai diese Unterschiede ganz allgemein auf den Herstellungsprozess der transgenen Linie zurück.

Für Pusztai deuteten die Ergebnisse seiner Versuche darauf hin, dass die bisher üblichen Testmethoden für gentechnisch veränderte Pflanzen nicht ausreichend seien, um ihre Sicherheit zu garantieren. Bislang würden lediglich die möglichen Risiken des übertragenen Gens selbst bewertet, nicht jedoch eventuelle unbeabsichtigte Effekte, die durch das Verfahren zur Herstellung transgener Pflanzen entstehen können.

Quelle 4: Der Artikel von Pusztai und Ewen in der Zeitschrift Lancet.

Der Lancet-Artikel beschränkt sich auf die Kurzzeitversuche und stellt darüber hinaus die Ergebnisse weitere Studien vor, die Pusztai im _Alternative Report_noch nicht erwähnt hatte. Von Ewen ließ er verschiedene Darmabschnitte der Ratten auf Veränderungen untersuchen. Zusätzlich wurde die Zahl der weißen Blutzellen (Leukozyten) in den Darmwänden bestimmt.

Aussagen über Organverkleinerungen oder Schwächungen des Immunsystems, von denen Pusztai zuvor berichtet hatte, finden sich im Lancet-Artikel hingegen nicht mehr. Ewen und Pusztai präsentieren folgende Ergebnisse:

  • Bei den Tieren, die rohe, gentechnisch veränderte Kartoffeln erhalten hatten, beobachteten Pusztai und Ewen längere Dünndarmzotten als bei denen, die herkömmliche Kartoffeln oder solche mit zugesetztem GNA-Lektin gefressen hatten.
  • Die Blinddarmschleimhaut war nach Fütterung mit gekochten gentechnisch veränderten Kartoffeln dünner als bei den anderen beiden Versuchsgruppen.
  • In den Darmwänden der Ratten, die rohe oder gekochte gentechnisch veränderte Kartoffeln gefressen hatten, wurden mehr Lymphozyten gefunden als bei den anderen Tieren (erhöhte Lymphozytenzahlen können auf Gewebeschädigungen hinweisen).

Pusztai bekräftigte seine Ansicht, dass die beobachteten Effekte nicht auf das Lektin zurückzuführen, sondern eine Folge des Herstellungsverfahrens der transgenen Kartoffel seien.

Anders als im Alternative Report, in dem Pusztai das Herstellungsverfahren allgemein als Ursache für diese Veränderung annimmt, zieht er im Lancet-Artikel nur noch Auswirkungen des übertragenen Genkonstruktes in Betracht. Teile des Genkonstruktes, mit dem das Lektin-Gen in die Kartoffeln eingeführt wurde – es enthält neben dem Lektin-Gen noch Steuersequenzen – könnten zur Produktion weiterer Stoffe geführt haben, die von den Darmzellen aufgenommen wurden und diese beeinflusst haben. Denkbar sei auch, dass die Position, an der das Genkonstrukt in das Kartoffel-Genom eingebaut wurde, zu einem veränderten Gehalt bestimmter Inhaltsstoffe in der transgenen Kartoffel führe.