Maiskolben 2

Das Zulassungs-Paradox MON810: In Europa genehmigt, in den meisten Mitgliedstaaten verboten

Nachdem die erste EU-Zulassung für den gentechnisch veränderten MON810-Mais nach zehn Jahren ausgelaufen war, musste sie 2007 neu beantragt werden. Wieder wurde eine Sicherheitsbewertung durchgeführt, diesmal nach den inzwischen verschärften Anforderungen. Auch neue wissenschaftliche Untersuchungen über mögliche Umweltauswirkungen flossen darin ein. Doch die Entscheidung über die erneute Zulassung schleppt sich seit Jahren hin. Doch egal wie dieses zweite Verfahren ausgeht: Der Anbau von MON810-Mais bleibt in den meisten EU-Ländern verboten.

EU-Zulassung 1998. Der MON810-Mais wurde in den 1990er Jahren von dem Agrobiotech-Unternehmen Monsanto (St. Louis, USA) entwickelt. Er produziert einen Wirkstoff (Bt-Protein), der spezifisch gegen bestimmte Schadinsekten (Maiszünsler) wirkt. Der Anbau von MON810 wurde in der EU auf der Grundlage der damals geltenden Freisetzungsrichtlinie (90/220) zugelassen, die Verwendung als Lebensmittel nach der Novel Food-Verordnung.

Maisernte

MON810-Mais ist nicht neu in Deutschland. Seit 1998 wurde er in Deutschland angebaut, zunächst auf begrenzten Versuchsflächen. Zwischen 2005 und 2008 gab es einen „regulären“ Anbau von MON810-Mais.

Foto: Feld mit MON810, Erprobungsanbau in Sachsen-Anhalt 2004.

Schmetterlinge

Neue Erkenntnisse. Bei der Neuzulassung von MON810 wurden auch neuere Ergebnisse aus der Sicherheits- und Begleitforschung berücksichtigt, etwa Studien über schädliche Auswirkungen auf Schmetterlinge und andere „Nicht-Zielorganismen“.

Foto: Kohlweißling; Felke/JKI

Voraussetzung für die Zulassung war eine wissenschaftliche Sicherheitsüberprüfung. Das damals dafür zuständige Expertengremium (Scientific Committee on Plants) kam zu dem Ergebnis, dass Anbau und Verwendung von MON810 nach dem damaligen Stand des Wissens genau so sicher sei wie bei konventionellen Maissorten. Der MON810-Mais enthält außer dem Gen für das Bt-Protein keine weiteren Fremdgene, auch keine Antibiotika-Resistenzmarker.

MON810 ist seit Jahren die einzige zugelassene gv-Pflanze, die in der EU angebaut wird. Größere Anbauflächen gibt es nur in Spanien, kleinere in Portugal, Tschechien und in der Slowakei. 2016 beträgt die in der EU mit MON810 bewirtschaftete Fläche etwa 130.000 Hektar.

Neben der EU ist MON810 in 14 Ländern für den Anbau zugelassen, in vielen weiteren als Futter- und Lebensmittel.

Nationale Verbote. Mehrere EU-Länder, darunter auch Deutschland (2009) und Frankreich (2008 und 2014) haben die EU-weite Zulassung für MON810 außer Kraft gesetzt und nationale Anbauverbote erlassen. Dabei beriefen sie sich auf eine Klausel in den EU-Gesetzen, nach denen einzelne Mitgliedstaaten solche Verbote aussprechen können, wenn neue wissenschaftliche Erkenntnisse die bisherige Sicherheitsbewertung in Zweifel ziehen.

Mehrfach sind solche nationale Verbote von der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) überprüft worden, etwa 2012 und 2014 aus Anlass der Verbote in Frankreich und 2013 in Bezug auf Italien und Luxemburg. Dabei wurden auch neuere Untersuchungen über mögliche Auswirkungen auf bestimmte Tiere, etwa Marienkäfer, Köcherfliegen und andere Schmetterlinge hinzugezogen. Auch die Frage einer möglichen Anreicherung von Bt-Protein im Boden wurde erneut geprüft. Mehrere unter Praxisbedingungen durchgeführte Langzeitstudien, so die EFSA, hätten keine Hinweise auf solche Effekte geliefert.

Mehrere der damaligen nationalen Verbote landeten vor dem vom Europäischen Gerichtshof (EuGH), zuletzt die von Italien. In allen Fällen wurden mit Sicherheitslücken begründete Verbote von den Luxemburger Richtern als unbegründet zurückgewiesen. „Wenn nicht erwiesenermaßen davon auszugehen ist,“ so der EUGH (Urteil 13.09.2017), dass „ein ernstes Risiko für die Gesundheit von Mensch oder Tier oder die Umwelt darstellt, haben weder die Kommission noch die Mitgliedstaaten die Befugnis, Sofortmaßnahmen wie das Verbot des Anbaus von MON-810-Mais zu ergreifen.“

Mittlerweile sind die der EU neue Rechtsvorschriften in Kraft. Seit 2015 können Mitgliedstaaten den Anbau in der EU zugelassener gv-Pflanzen bei sich verbieten, ohne wie bisher dafür wissenschaftliche Gründe anführen zu müssen. Dies ist auch für MON810 geschehen: Neunzehn Länder haben diese Ausstiegsklausel gezogen, in allen Fällen hat Monsanto das akzeptiert. Im März 2016 hat die EU-Kommission auch formell eine Änderung der aktuellen MON810-Zulassung beschlossen: Sie gilt nunmehr nur noch in neun Ländern sowie in Teilgebieten von Belgien und Großbritannien.

Die zweite Zulassung für MON810. Wie bei allen nach den früheren Vorschriften genehmigten gv-Pflanzen und deren Produkten lief die Zulassung von MON810 nach neun Jahren am 18. April 2007 aus. Zuvor hatte Monsanto fristgemäß einen Antrag auf eine Erneuerung der Zulassung gestellt und die für eine erneute Sicherheitsüberprüfung erforderlichen Unterlagen vorgelegt. Bis zum Abschluss dieses neuen Verfahrens ist die alte MON810-Zulassung von 1998 weiter gültig - wenn auch mit den inzwischen rechtskräftigen regionalen Einschränkungen des Geltungsbereichs.

2009 veröffentlichte das für Gentechnik zuständige Expertengremium der EFSA die neue Sicherheitsbewertung. Weitaus intensiver als bei der Erstzulassung hatte es sich damit beschäftigt, ob das im MON810-Mais gebildete Bt‑Protein nicht nur den Schädling Maiszünsler, sondern auch andere Tierarten gefährdet. Die neue EFSA-Stellungnahme zu MON810 hat zahlreiche Einzel- und zusammenfassende Studien (Metastudien) etwa zu Wasser bewohnenden Insekten, Bienen und Regenwürmern ausgewertet. Eine besondere Gefährdung durch MON810 konnten die EFSA-Experten nicht erkennen. Bei Schmetterlingen sei zwar eine schädliche Wirkung des Bt-Proteins durchaus möglich, jedoch kommen die Schmetterlingslarven mit dem Bt-Protein des MON810-Maises unter natürlichen Bedingungen kaum in Kontakt. Modellrechnungen haben ergeben, dass etwa bei Kohlmotten 0,3 bis 0,8 Prozent der Tiere sterben könnten, wenn in einer Region MON810-Mais angebaut würde. Ähnliche Modellrechnungen wurden auch für andere Schmetterlingsarten durchgeführt. Danach schließen die EFSA-Experten eine Gefährdung ganzer Schmetterlingsarten aus.

Sicherheitsforschung zu MON810-Mais. In Deutschland hat das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) über viele Jahren zahlreiche Projekte der biologischen Sicherheitsforschung gefördert, die sich mit möglichen Umweltauswirkungen von Bt-Mais beschäftigen. Dabei wurden auch mögliche Auswirkungen eines Anbaus von MON810-Mais auf andere Insekten und Organismen (Nicht-Zielorganismen) untersucht sowie die Frage einer möglichen Anreicherung von Bt-Protein im Boden.

Insgesamt wurden etwa eine Millionen Tiere gesammelt, bestimmt und ausgewertet. Die wenigen Effekte, die auf das in MON810 aktive Bt-Protein zurückgeführt werden konnten, waren gering und lagen deutlich unter denen konventioneller Insektizidbehandlungen.

Entscheidung über die erneute Anbau-Zulassung von MON810. Obwohl die neue wissenschaftliche Sicherheitsbewertung für MON810-Mais bereits 2009 abgeschlossen wurde, hat die EU-Kommission die Zulassung noch immer nicht erteilt. Wie üblich hatten sich die Mitgliedstaaten bei den politischen Abstimmungen in den zuständigen Ausschüssen nicht mit der erforderlichen qualifizierten Mehrheit auf einen gemeinsamen Standpunkt verständigen können. Die erneute Importzulassung für Lebens- und Futtermittel aus MON810-Mais ist dagegen erteilt. (Stand: September 2017)

Sollte MON810 erneut für den Anbau in der EU zugelassen werden, hätte das keine Auswirkungen auf die inzwischen beschlossenen nationalen Verbote. Ein Anbau von MON810-Mais bliebe etwa in Deutschland, Frankreich, Italien oder Österreich verboten, auch wenn MON810 nach dem aktuellen Stand des Wissens erneut als sicher für Mensch, Tier und Umwelt eingestuft ist.