Kennzeichnung: Verwirrung hält an

Das unendliche Trauerspiel geht weiter: Noch immer ist nicht abzusehen, wann die im Grundsatz längst beschlossene Europa-einheitliche Kennzeichnungs- Regelung für Produkte und Zutaten aus Gen-Mais und Gen-Soja in Kraft tritt. Die Mitgliedsländer können sich nicht auf eine mehrheitsfähige Position einigen. Inzwischen hat die deutsche Lebensmittelindustrie angekündigt, „freiwillig“ zu kennzeichnen.

Anfang Dezember hatte die EU-Kommission endlich einen konkreten Vorschlag für die Kennzeichnung von Lebensmitteln und Zutaten aus gentechnisch verändertem Mais bzw. Sojabohnen vorgelegt. Mit dieser „Ablöseverordnung“ (Dok III/5565/97 Rev.3) wollte die Kommission zugleich die seit 1.11.97 gültige Verordnung 1813/97 aufheben. In dieser war eine Kennzeichnung für Gen-Mais und Gen-Soja-Produkte zwar festgelegt worden, doch da es an Ausführungsbestimmungen fehlte, galt diese Verordnung aus Sicht der Mitgliedsländer und der Lebensmittelindustrie als „nicht anwendbar.“

Nach langem Zögern hat sich die EU-Kommission nun festgelegt: Zu kennzeichnen sei immer dann, wenn die auf die gentechnisch Veränderung der Pflanze zurückzuführende Erbsubstanz DNA im Lebensmittel mit wissenschaftlich anerkannten Methoden nachgewiesen werden kann.

Doch wieder einmal bleibt eine längst überfällige Regelung in den komplizierten Entscheidungsprozessen hängen. In der Sitzung des Ständigen Lebensmittelausschusses am 16. Januar 1998 fand die Kommission nicht die erforderliche Mehrheit. Die meisten Länder, auch Deutschland, enthielten sich. Am Vorschlag der Kommission wurde vor allem bemängelt, dass einheitliche Ausführungsbestimmungen für den DNA-Nachweis fehlen. Auf Kritik stieß auch die umstrittene „kann“-Kennzeichnung. Danach sind Zutaten aus Soja oder Mais, mit der Formulierung „kann aus genetisch veränderten …. hergestellt worden sein“ zu versehen, wenn eine gentechnische Anwendung zwar nicht nachweisbar, aber wahrscheinlich ist. Erfasst werden sollen damit vor allem Mais- und Sojaimporte, die in einem gewissen, jedoch schwankenden Anteil mit Ernteprodukten aus gentechnisch veränderten Sorten vermischt sind.

Der Streit unter den Mitgliedstaaten und die starre Haltung der Kommission verzögern erneut die längst überfällige Umsetzung der Kennzeichnung. Da die Kommission erklärt hat, ihren Verordnungsvorschlag nicht ändern zu wollen, muss nun der Ministerrat befinden. Dieser kann sich jedoch gegenüber der Kommission nur durchsetzen, wenn der Ministerrat innerhalb von drei Monaten mit einer qualifizierten Mehrheit gegen diesen Vorschlag stimmt - ein eher unwahrscheinlicher Fall. Doch so oder so - es wird bis weit in den Sommer dauern, bevor eine verbindliche Regelung in Kraft treten kann - die Mais- und Sojaernte des Jahres 1997, die besonders bei aus den USA eingeführten Sojabohnen einen erheblichen Anteil aus gentechnisch veränderten Pflanzen enthielt, dürfte dann längst verarbeitet sein.

Als sich vor Weihnachten das Scheitern in Sachen Mais- und Sojakennzeichnung abzeichnete, entschloss sich die deutsche Lebensmittelindustrie zur Flucht nach vorn. Am 18.12.97 - immerhin sechs Monate, nachdem grundsätzliche eine Kennzeichnungspflicht vorgeschrieben ist - erklärte deren Dachverband, der BLL, er habe seinen Mitgliedsfirmen empfohlen, „freiwillig“ zu kennzeichnen. Gekennzeichnet werden sollen etwa Sojaprotein, Sojamehl, Sojadrinks, Maismehl oder Maisgries, wenn sie Bestandteile aus den gentechnisch veränderten Pflanzen enthalten. Ohne Kennzeichnung bleiben raffiniertes Sojaöl, Sojalecithin, Sojasauce sowie Maisstärke und deren Verarbeitungsprodukte. Bei diesen Zutaten ist der bei der gentechnischen Veränderung neu eingeführte Eiweißstoff nicht mehr nachweisbar.

Damit weicht die Kennzeichnungsverpflichtung des BLL in einem wichtigen Punkt vom Vorschlag der EU-Kommission ab: Diese will den Nachweis einer gentechnischen Veränderung über die DNA führen, ein sehr empfindliches Verfahren, mit dem selbst geringste Konzentrationen eines DNA-Abschnitts aufgespürt werden können. Zufällige DNA- „Verunreinigungen“ sind mit dieser Methode nur schwer von gezielten gentechnischen Anwendungen zu unterscheiden. Dennoch: PCR-Verfahren zum Nachweis von Gen-Mais bzw. Gen-Soja werden in Kürze amtlich anerkannt. Dagegen liefert eine Analyse auf Proteinbasis zwar eindeutige Ergebnisse, jedoch stehen praxiserprobte Testverfahren bislang nicht zur Verfügung.

Wann die ersten Produkte mit dem Hinweis „hergestellt aus gentechnisch verändertem Soja“ (oder Mais) in den Regalen der Supermärkte stehen werden, ist nicht bekannt. Termine nannte der BLL nicht; er wies darauf hin, dass die Umstellung auf neu bedruckte Etiketten und der Abverkauf vorhandener Produkte einige Zeit dauern könne. Hans Güldenberg, Chef der Nestlé-Deutschland, kündigte auf der Bilanzpressekonferenz 1997 an, sein Unternehmen werde im Laufe des Jahres mehrere Produkte mit entsprechenden Hinweisen auf den Markt bringen. Nestlé hatte sich schon im letzten Jahr für eine freiwillige Kennzeichnung entschieden - allerdings in der „holländischen“ Formulierung: „modifiziert mit Hilfe der modernen Biotechnologie“.