Großbritannien: Aufregung nach Fütterungsversuchen

Heftiger denn je wird in Großbritannien um Genfood gestritten. Anlass dafür sind Fütterungsversuche mit gentechnisch veränderten Kartoffeln, deren Ergebnisse unter Wissenschaftlern äußerst kontrovers beurteilt werden. Für die einen deuten die Versuche darauf hin, dass die derzeitigen Verfahren zur Sicherheitsbewertung von GVO-Lebensmitteln nicht ausreichen. Andere halten die Durchführung des Versuchs für so mangelhaft, dass die Ergebnisse nicht verwertbar sind.

Bereits im Oktober hatten sie weltweit Schlagzeilen gemacht: die gentechnisch mit Lektin angereicherten Kartoffeln des Dr. Arpad Pusztai. Nachdem er diese Kartoffeln an Ratten verfüttert hatten, warnte er in einer Fernsehsendung vor gentechnisch veränderten Lebensmitteln. Zunächst schien es, als habe Pusztai wissenschaftlich nicht korrekt gearbeitet und die

Aufregung legte sich. Pusztai wurde entlassen, seine Studien blieb unter Verschluss. Das Leitung des Rowett Research Instituts (RRI) im schottischen Aberdeen, an dem Pusztai forschte, kritisierte, die Studie sei fehlerhaft und nach wissenschaftlichen Standards für eine Veröffentlichung nicht geeignet.

Nun aber hat der Fall neue Brisanz bekommen: Mehr als zwanzig Wissenschaftler aus verschiedenen Ländern stärken in einem Memorandum Pusztai den Rücken. Seine Studie genüge durchaus den üblichen wissenschaftlichen Anforderungen, ihre Ergebnisse seien seriös und Pusztais öffentlich geäußerten Bedenken gerechtfertigt. Zumindest seien weitere Untersuchungen erforderlich. Inzwischen hat Pusztai seinen Bericht über Fütterungsversuchen mit den Lektin-Kartoffeln („Alternative Report“) zugänglich gemacht. Danach entwickelte sich eine wissenschaftliche und gesellschaftliche Debatte, weitaus heftiger als nach Pusztais Maßregelung im Herbst.

  • Pusztai fand nach Auswertung seiner Fütterungsversuche veränderte Organgewichte und Anzeichen für eine Schädigung des Immunsystems - allerdings nur bei denjenigen Ratten, welche Kartoffeln gefressen hatten, in denen das Lektin gentechnisch angereichert war. Zur Kontrolle erhielten andere Tiere normale Kartoffeln, eine weitere Gruppe bekam Kartoffeln, denen das Lektin in isolierter Form beigemischt war. Bei diesen Ratten konnte Pusztai die Hinweise auf Schädigungen nicht oder weniger deutlich erkennen. Sind die Versuche korrekt durchgeführt, dann ist die Schussfolgerung in der Tat brisant: Nicht die chemische Natur des Lektins wäre dann die Ursache für die schädlichen Wirkungen bei den Ratten, sondern das gentechnische Verfahren, mit dem es auf Kartoffeln übertragen wurde.
  • Doch die wissenschaftliche Kritik an Pusztais Studie und den Schlussfolgerungen ist nicht verstummt. Haupteinwand ist, dass die bei den Ratten beobachteten Störungen bei Organen und Immunsystem auf gravierende Fehler im Design der Fütterungs- versuche zurückzuführen seien. Danach habe die Nahrung der Ratten zu wenig Protein enthalten, die Schädigungen seien eine Folge eines in der Studie angelegten Ernährungsmangels. Zudem sei die Nahrungsaufnahme in den drei Kontrollgruppen unterschiedlich gewesen.
  • Andere Experten bieten verschieden Erklärungen an, wie es zu den Veränderungen bei den mit Lektin-Kartoffeln gefütterten Ratten gekommen sein könnte.

Vor allem in Großbritannien haben Pusztais Kartoffeln der öffentlichen Kontroverse um Genfood neue Nahrung gegeben. Viele fordern nun ein Moratorium für den Anbau gentechnisch veränderter Pflanzen und keine weiteren Zulassungen, bis die gesundheitliche Unbedenklichkeit zweifelsfrei erwiesen sei. Verschiedene Handelsunter- nehmen, Restaurants, Kantinen und sogar eine Fast-Food- Ketten haben erklärt, künftig auf gentechnisch veränderte Zutaten verzichten zu wollen. Am 8. März hat ein Ausschuss des britischen Parlaments über den „Fall Pusztai“ und mögliche Konsequenzen beraten. Prof. James, Leiter des Rowett-Instituts räumte ein, dass die Zulassungsverfahren für gentechnisch veränderte Pflanzen verschärft werden sollten.

In Deutschland sind die Reaktionen bisher weitaus gelassener. Das Öko-Institut fordert, bei der Zulassung von Gen-Lebensmittel sorgfältige Fütterungsstudien verbindlich vorzuschreiben. In der Novel Food-Verordnung ist dieses bislang nicht eindeutig geregelt. Allerdings haben die jeweiligen Unternehmen mit gentechnisch veränderten Sojabohnen und Mais Fütterungsstudien an verschiedenen Tierarten durchgeführt, ohne dass Auffälligkeiten wie bei Pusztais Kartoffeln bekannt geworden wären.

Die Kartoffeln, die Prof. Pusztais an Ratten verfütterte, wurden gentechnisch mit einem Lektin aus Schneeglöckchen angereichert, um sie vor bestimmten Schadinsekten zu schützen. Sie sind weit von einer Markteinführung entfernt.