Kennzeichnung: Der Schwellenwert kommt - aber welcher?

Gefordert wird er schon lange - aber endlich hat sich die EU-Kommission festgelegt: Erst wenn der Rohstoffanteil aus gv-Soja oder gv-Mais den Schwellenwert von einem Prozent übersteigt, soll eine Zutat kennzeichnungspflichtig sein.

Im Grundsatz sind sich alle einig: Ein verbindlicher Schwellenwert ist längst überfällig. Derzeit führen bereits minimale, vielfach unvermeidbare „Verunreinigungen“ aus gentechnisch veränderten Pflanzen zu einer Kennzeichnung. Selbst Hersteller, die sich um „gentechnik-freie“ Rohstoffe bemühen und sich entsprechende Zertifikate vorlegen lassen, sind immer wieder überrascht, wenn in ihren Produkten dennoch DNA-Spuren aus Gen-Mais oder Gen-Soja nachgewiesen werden. Betroffen waren sogar schon Öko- oder Reformhausprodukte.

Vor allem bei Mais und Soja lässt sich „100% ohne Gentechnik“ kaum noch garantieren. In den USA werden bereits zur Hälfte gentechnisch veränderte Sorten angebaut. Ob durch Pollenflug auf dem Feld, nicht vollständig gereinigte Silos, Transportschiffe oder Mühlen, in denen die Rohstoffe zu Futter- oder Lebensmitteln verarbeitet werden - es lässt sich kaum verhindern, dass Spuren von gentechnisch veränderten Pflanzen auch in konventionelle Produkte gelangen. Diese bleiben den modernen, extrem empfindlichen Nachweisverfahren nicht verborgen: Zeigen sie an, dass Fremd-DNA aus einem gentechnisch veränderten Organismus in einem Lebensmittel vorhanden ist, dann fällt es im Grundsatz unter die gesetzliche Kennzeichnungspflicht. Allerdings haben bisher solche Nachweise in aller Regel nicht dazu geführt, dass die betroffenen Produkte tatsächlich gekennzeichnet wurden.

Mit einem Schwellenwert soll die Rechtssicherheit erhöht werden. Die Schweiz hat eine derartige Toleranzgrenze für zufällige, unbeabsichtigte „Gen-Verschmutzungen“ bereits eingeführt. Erst wenn der Anteil aus Gen-Pflanzen ein Prozent übersteigt, wird dort ein Produkt kennzeichnungspflichtig. Auch die EU-Kommission will einen Schwellenwert vorschreiben und hat sich auf eine Höhe von ein Prozent festgelegt. Doch nun beginnen wieder die bekannten Diskussionen.

Wie hoch darf oder soll der Schwellenwert sein? Die Lebensmittelchemiker fordern drei Prozent, die Industrie zwei Prozent. Umwelt- und Verbraucherorganisationen wollen ihn auf 0,1 Prozent begrenzen. Ein Prozent halten sie für „willkürlich und zu hoch“. Was ist eine zufällige, unvermeidbare Verunreinigung, wo beginnt die unnötige Vermischung, die durch mehr Sorgfalt oder technischen Aufwand zu unterbinden wäre? Ist nicht gar zu befürchten, dass gentechnisch veränderte Rohstoffe bis zur Höhe des Schwellenwert gezielt untergemischt werden?

  • Absichtliche Beimischung sollen verhindert werden. Wenn in einem Lebensmittel Zutaten aus Gen-Pflanzen unterhalb des Schwellenwerts gefunden werden, ist sie nur von der Kennzeichnungspflicht ausgenommen, wenn sie dort zufällig vorhanden ist. In diesem Fall schreibt die von der EU-Kommission vorgelegte Verordnung vor, „müssen die Handelnden gegenüber den zuständigen Behörden nachweisen, dass sie es vermeiden haben, gentechnisch veränderte Organismen als Ausgangsprodukte zu verwenden.“
  • Der geplante Schwellenwert bezieht sich immer auf die jeweilige Zutat, nicht auf das gesamte Lebensmittel.
  • Die Einführung eines Schwellenwerts ist nur sinnvoll, wenn der die Höhe des GVO-Anteils gemessen werden kann. Inzwischen sind Verfahren praxisreif, die nicht nur die generelle Anwesenheit von DNA aus gentechnisch veränderten Pflanzen nachweisen, sondern auch deren zahlenmäßigen Anteil ermitteln. Zumindest bei Gen-Soja steht die amtliche Anerkennung dieser neuen „quantitativen“ Nachweisverfahrenbevor.

Ob - und vor allem: wann - sich die Kommission mit ihrem 1%-Schwellenwert durchsetzt, ist völlig offen. Hinter den Kulissen wird bereits gerangelt. Auch Ministerrat und Europäisches Parlament müssen noch zustimmen. Es kann also noch dauern, bis die Kennzeichnung tatsächlich praktiziert wird.