Keine Gentechnik: Verzicht mit Fragezeichen

Lebensmittelunternehmen erklären öffentlich, in ihren Produkten keine gentechnisch veränderten Zutaten zu verwenden. Sie gehen damit Protestaktionen von Greenpeace und anderen Gentechnik-Kritikern aus dem Weg. Doch die Verzichtserklärungen lassen viele Fragen offen.

Einerseits: Lebensmittelhandel und viele herstellende Unternehmen erklären öffentlich, keine gentechnisch veränderten Zutaten mehr zu verwenden. Greenpeace feiert sich sich selbst und lobt die Lebensmittelbranche, dass es gelungen sei, das Sortiment weitgehend „gentechnikfrei“ zu halten.

Andererseits: Die Anbauflächen für gentechnisch veränderte Pflanzen sind 1999 weltweit noch einmal gestiegen. Der Einsatz der Gentechnik bei der Herstellung von Lebensmittelenzymen setzt sich immer mehr durch. Die Öffentlichkeit und viele Konsumenten sind verwirrt; die Lage ist unübersichtlich. Wem ist zu glauben? Ist die Gentechnik weiter auf dem Siegeszug oder schon am Ende? Gibt es überhaupt genug „gentechnikfreie“ Rohstoffe auf den Weltmärkten, um die deutsche und europäische Lebensmittelindustrie zu versorgen?

Sicher ist: Nach dem Rückzug des Nestlé-Butterfingers gibt es kaum noch Produkte mit Kennzeichnung. Das bedeutet jedoch nicht, dass damit auch die Gentechnik im Lebensmittelbereich verschwunden ist.

Soja: Aufpreise für gentechnikfreie Rohwaren

In den USA hat die Sojaernte begonnen, die Silos im mittleren Westen füllen sich. Auf 55-60 Prozent ist inzwischen der Flächenanteil gestiegen, auf dem gentechnisch veränderte Sojabohnen heranwachsen. Als im Frühjahr 1999 ausgesät wurde, sahen die amerikanischen Sojafarmer keinen Anlass, ihre Praxis zu ändern: Bis auf ein neues Gen, das den Pflanzen eine Resistenz gegen Herbizide verleiht, gelten gentechnisch veränderte und konventionelle Sojabohnen als gleichwertig. Daher werden beide „Qualitäten“ bei der Ernte nicht getrennt; sie vermischen sich beim Transport, im Verlauf von Lagerung und Verarbeitung. Zehn Mio. Tonnen Soja liefern die USA jährlich in die Europäische Union.

Ohne Logistiksysteme, die beide Stoffströme vom Feld bis zum Endverbraucher voneinander getrennt führen, besteht die gesamte Sojaeinfuhr aus den USA zwangsläufig zu einem Anteil aus gentechnisch veränderten Pflanzen.

Erst nach der 1999er-Aussat, vor allem unter dem Druck der öffentlichen Meinung in Großbritannien, erklärten viele Unternehmen der europäischen Lebensmittelwirtschaft, künftig auf Rohstoffe aus gv-Soja und gv-Mais zu verzichten. Plötzlich hatte sich eine große Nachfrage nach „gentechnik-freien“ Soja-Rohstoffen entwickelt.

Vieles deutet darauf hin, dass diese Nachfrage nur zu einem geringen Anteil gedeckt werden kann.

  • Um tatsächlich „gentechnik-freie“ Soja zu erzeugen, muss einVertragsanbau vereinbart werden, in dem die Aussaat konventioneller Sorten festgelegt ist. 1999 gab es nur vereinzelt einen derartigen Vertragsanbau. Auch wurden die erforderlichen separaten Lager- und Transportkapazitäten für die „gentechnik-freie“ Ernte nicht rechtzeitig aufgebaut.
  • Inzwischen bieten Agrarhändler den US-Farmern Preisaufschläge (5-25 cts/bushel) für „gentechnik-freie“ Sojabohnen mit Zertifikat. Auch dies deutet darauf hin, dass die Nachfrage nach konventionellen Sojabohnen deutlich höher ist als das Angebot.
  • Von den Preisaufschlägen profitieren vor allem die STS-Sojabohnen des Agrokonzerns DuPont, die ebenfalls eine Resistenz gegen ein Herbizid (Synchrony) besitzen. Anders als bei den _Roundup-Ready-_Sojabohnen von Monsanto ist diese Resistenz nicht mit gentechnischen Verfahren erzeugt worden.

Erst im nächsten Jahr wird sich die Lage ändern. Bis dahin sind die technischen und logistischen Voraussetzungen vorhanden, um „gentechnik-freie“ Sojabohnen in größeren Mengen nach Europa und Asien zu exportieren.

Auch die anderen Soja-Erzeugerländer können nur bedingt die Nachfrage nach „gentechnik-freien“ Rohstoffen decken: Argentinien (Export in die EU ca. fünf Mio.Tonnen) hat im Frühjahr 1999 zu einem Anteil von 50-60 Prozent gentechnisch veränderte Sojabohnen geerntet. Wie in den USA werden diese nicht von der konventionellen Ernte getrennt.

Brasilien (ca. zwei Mio. Tonnen ) hat inzwischen die herbizidresistente Roundup-Ready-Sojabohnen ebenfalls zugelassen. Jedoch blockiert eine noch nicht entschiedene Klage vor einem Bundesgericht, dass sie bereits in der im Herbst 1999 beginnenden Saatperiode verwendet werden dürfen. Bisher ist Soja aus Brasilien „gentechnik-frei“. Allerdings importierte Brasilien 1998 aus den USA 1,5 Mio. Tonnen Soja, um den eigenen Lieferverpflichtungen nachkommen zu können. Zudem soll Gerüchten zufolge gentechnisch verändertes Soja-Saaatgut in nicht unerheblichen Mengen aus Argentinien ins Land geschmuggelt werden.

  • Fazit: Die Nachfrage nach „gentechnik-freien“ Soja-Rohstoffen übersteigt offenbar das Angebot. Außerdem haben vermutlich einige große Lebensmittel- hersteller etwa beim Sojalecithin „gentechnik-freie“ Bestände aus früheren Ernten aufgekauft. Es dürfte daher vielen Unternehmen schwer fallen, auf Zutaten aus gv-Soja vollständig zu verzichten.
  • Viele Futtermittel, die indirekt an der Erzeugung vieler tierischer Lebensmittel beteiligt sind, enthalten Sojabestandteile. Auch hier ist der Verzicht auf Gentechnik nur mit hohem und kostspieligem Aufwand zu realisieren.

Mais: US-Importe nach Europa im Sinkflug

Ganz anders ist die Situation beim Mais. Verglichen mit Soja sind US-Mais-Exporte in die EU wirtschaftlich weniger bedeutend.

Beim Mais sind in den USA derzeit elf verschiedene gentechnisch veränderte Sorten bzw. Genkonstrukte zugelassen, in der EU dagegen nur vier. Weitere Zulassungen sind nicht in Sicht. Die gerade in den USA eingebrachte Maisernte besteht schon zu ca. 35 Prozent aus transgenen Pflanzen, darunter auch jene sieben gentechnisch veränderten Sorten, welche in Europa noch nicht zugelassen sind. In den USA wurden diese 1999 auf einer Fläche von 1,5 Mio. Hektar angebaut.

Mais-Importe nach Europa sind nur rechtmäßig, wenn sie ausschließlich aus Sorten stammen, die in der EU zugelassenen sind.Ihre vollständige Trennung von den übrigen transgenen Sorten erscheint jedoch aufwendig und technisch kaum möglich. Ohne Garantien ist vielen Agrarhändlern das Risiko zu groß, dass in US-Importen nicht genehmigte Maissorten nachgewiesen werden und die europäischen Behörden ihre Einfuhr verbieten.

Das Hauptproblem ist nicht die generelle Trennung von konventionellem und gentechnisch verändertem Mais, sondern die Bedingung, dass keine Körner oder Kolben nach Europa gelangen, die dort nicht verkehrsfähig sind. Die Folge: Die Einfuhr von US-Mais in die EU sinkt rapide; sie ging von 2,7 Mio. Tonnen (1996/97) über 1,3 Mio. Tonnen (1998/99) auf vermutlich nur noch 0,8 Mio. Tonnen in diesem Wirtschaftsjahr zurück. Im nächsten Jahr, so wird erwartet, wird aus USA kein Mais importiert werden.

Bei Mais ist die EU nahezu Selbstversorger. Nur Spanien und Portugal führen jährlich 2,0 Mio.Tonnen Mais ein, traditionell aus den USA, zunehmend jedoch aus Argentinien und Osteuropa.

  • Fazit: Die Mais-Einfuhren aus USA in die EU sind deutlich gesunken und fallen kaum noch ins Gewicht. Rohstoffe aus Mais sind in Europa daher in der Regel „gentechnik-frei“ und stehen in genügenden Mengen zur Verfügung . Lediglich in Spanien wird auf 25.000 Hektar gentechnisch veränderter Mais (mit Bt-Insektenresistenz) angebaut, dazu ca. 500 Hektar Versuchsanbau in Deutschland.

Enzyme, Aromen, Zusatzstoffe - Gentechnik kein Thema

Gentechnische Verfahren sind bei der Herstellung von Enzymen, Vitaminen, Aromen und Zusatzstoffen längst etabliert sind. Die Verzichtserklärungen von Handel und Herstellern klammern diesen Anwendungsbereich mehr oder weniger bewusst aus.

  • Enzyme werden heute zunehmend mit Hilfe gentechnisch veränderter Mikroorganismen gewonnen. Etwa bei der Stärkeverzuckerung sind einzelne Enzyme nur noch gentechnisch hergestellt erhältlich. Eine Reihe von Enzymen, die bei einer Vielzahl von Produkten und Zutaten beteiligt sind, können inzwischen gentechnisch produziert werden, etwa Amylasen (Backwaren, Alkoholindustrie), Pektinasen (Fruchtsaft), Xylanasen (Backwaren) und Chymosin (Käse).
  • Für die Vitamine B2 und B12 sind gentechnische Verfahren weit verbreitet.
  • Zusatzstoffe wie Nisin, Beta-Carotin, Lysozym oder Xanthan können mit gentechnisch veränderten Mikroorganismen hergestellt werden, ebenso verschiedene Aminosäuren, die etwa in Süßstoffen (Aspartam) oder Geschmacksverstärkern (Glutamat) enthalten sind.
  • Aromen werden bisher in aller Regel noch nicht aus gentechnisch veränderten Mikroorganismen gewonnen, doch auch hier können gentechnische Verfahren oder gentechnisch gewonnene Substanzen beteiligt sein.

Verzicht auf Gentechnik - aber kaum präzise Informationen

Bei genauerer Prüfung zeigt sich, dass die in der Öffentlichkeit verbreiteten Erklärungen der Lebensmittelwirtschaft kaum präzise beschreiben, auf welche gentechnische Anwendungen sich ihr Verzicht bezieht:

  • auf alle Zutaten und Zusatzstoffe, bei denen die Gentechnik beteiligt war, also auch Enzyme, Zusatzstoffe oder Aromen;
  • auf alle Zutaten und Zusatzstoffe, die aus gentechnisch veränderten Pflanzen - konkret: Mais oder Soja - stammen;
  • oder nur auf solche Zutaten aus gentechnisch veränderten Pflanzen, die unter die gesetzliche Kennzeichnungspflicht fallen.

Einige Erklärungen sprechen von „Bestandteilen aus gentechnisch veränderten Pflanzen“, andere von „gentechnisch veränderte Zutaten“ oder gar „Zusatzstoffen“. Einiges deutet darauf hin, dass die Hersteller etwas anderes meinen als es in den öffentlich verbreiteten Presseerklärungen der Kritikergruppen - vor allem Greenpeace - zum Ausdruck kommt.

Trotz einer rasanten Entwicklung bei den Analysemethoden ist es bei vielen gentechnischen Anwendungen immer noch schwierig, sie im Endprodukt nachzuweisen. Dies ist nur möglich, wenn dort noch DNA aus einem gentechnisch veränderten Organismus vorhanden ist. Oft wird die DNA jedoch im Verlauf der Verarbeitung der jeweiligen Rohstoffe, etwa durch Hitze oder Behandlung mit Säuren der Lösungsmitteln, vollständig zerstört.

Fazit: In diesem Jahr sind „gentechnik-freie“ Rohstoffe auf Sojabasis knapp; die Nachfrage ist weitaus höher als das Angebot. Mais-Zutaten ohne Gentechnik sind in ausreichenden Mengen erhältlich. Enzyme, Vitamine und Zusatzstoffe, die unter Einsatz gentechnisch veränderter Mikroorganismen hergestellt werden, sind so weit verbreitet, dass ein Ersatz durch „konventionelle“ Produkte kaum oder nur mit einem hohen Aufwand zu realisieren ist. * Gentechnische Anwendungen sind im Lebensmittelsortiment weiterhin präsent. Vermieden werden in erster Linie kennzeichnungspflichtige Zutaten aus gv-Mais und gv-Soja.