Die Kanzler-Initiative zur Grünen Gentechnik

Nach dem chaotischen Hin und Her um die Zulassung des insektenresistenten Bt-Maises im Frühjahr hat der Bundeskanzler die Grüne Gentechnik zur Chefsache erklärt: In Gesprächen mit der Biotechnologie- Industrie soll ein Konsens erzielt werden. Bis 2003 sollen keine gentechnisch veränderten Pflanzen angebaut werden. Im Gegenzug will die Regierung ein Forschungsprogramm auflegen, um die Umweltauswirkungen der kommerziellen Verwendung und des großflächigen Anbaus transgener Pflanzen zu ermitteln.

Offenbar haben die Gespräche im Kanzleramt noch nicht zu einer Einigung geführt. Während die Financial Times bereits ein dreijähriges Moratorium für den kommerziellen Anbau gentechnisch veränderter Pflanzen meldete, erklärte der Geschäftsführer der Deutschen Industrievereinigung Biotechnologie, Gerd Romanowski, ein Moratorium komme nicht in Frage. Die Industrie sei jedoch bereit, die Anbauflächen schrittweise und behutsam auszubauen.

Bundeskanzler Gerhard Schröder hatte den Vorschlag einer Anwendungspause bei der Grünen Gentechnik erstmals öffentlich geäußert, als er am 21.Juni die Ausstellung Faszination Pflanzenzüchtung eröffnete, ein EXPO-Projekt, das im neuen Biotechnikum der KWS Saat AG im niedersächsischen Einbeck zu besichtigen ist. Die Industrie solle in einer freiwilligen Selbstverpflichtung darauf verzichten, die bereits erhaltenen und künftigen Zulassungen für gentechnisch veränderte Pflanzen kommerziell zu nutzen. Ihr Anbau soll vorerst nur im Rahmen eines Forschungs- und Beobachtungsprogramms der Bundesregierung stattfinden, in dem mögliche Folgen für Umwelt und Landwirtschaft unter Praxisbedingungen untersucht werden. Aus Sicht der Bundesregierung könne ein entsprechendes Abkommen dazu beitragen, der Bevölkerung die Besorgnis über gentechnisch veränderte Pflanzenprodukte zu nehmen.

Zwar ist die Substanz eines möglichen „Gentechnik- Konsenses“ nur schemenhaft erkennbar - dennoch: Der Vorschlag, die zugelassenen gentechnisch veränderten Mais- und Rapssorten vorerst nur innerhalb eines öffentlichen Forschungs- und Beobachtungsprogramms anzusäen, weist in die richtige Richtung.

Im Wortlaut: Die Kanzler-Rede zur Grünen Gentechnik

… In Deutschland haben sich die pflanzlichen Erträge gewaltig gesteigert: In den vergangenen 50 Jahren haben sich die Hektarerträge bei Weizen nahezu verdreifacht. Den Anteil der Pflanzenzüchtung an diesem Produktivitätszuwachs schätzen die Fachleute auf etwa fünfzig Prozent. Es ist davon auszugehen, dass dieser Anteil in den nächsten Jahrzehnten weiter steigt. Ob sich diese Prognose tatsächlich erfüllt, wird auch davon abhängen, ob sich die beeindruckende Entwicklung der Methoden der Pflanzenzüchtung fortsetzen wird. Ein zentrales Moment ist dabei zweifellos die Gentechnologie. Von der Gen- und Biotechnologie kann eine ähnliche Dynamik für das wirtschaftliche Wachstum ausgehen wie von den Informations- und Kommunikationstechnologien. Bei der Gen- und Biotechnologie handelt es sich unbestreitbar um Schlüsseltechnologien für die moderne Landwirtschaft, für die Medizin, die Pharmazie, die Chemie, die Lebensmittelindustrie, den Umweltschutz und viele andere Wirtschaftsbereiche.

Die Haltung der Bundesregierung dazu ist in der Koalitionsvereinbarung festgeschrieben: Wir stehen dafür, die verantwortbaren Innovationspotenziale dieser Technologien systematisch weiterzuentwickeln und zu nutzen. Die Bereiche, um die es dabei vornehmlich geht, sind von einem außerordentlich hohen Wettbewerbsdruck geprägt. Die Bundesregierung hat darauf reagiert. Sie fördert nach Kräften Unternehmensgründungen in dieser Branche. Damit wollen wir die internationale Wettbewerbsfähigkeit unseres Standorts stärken und Impulse für die Schaffung neuer, hoch qualifizierter Arbeitsplätze setzen. Die jüngsten Erfolgsmeldungen der Branche geben uns recht: Nach Startschwierigkeiten nimmt Deutschland im Bereich der Biotechnologie in Europa einen Spitzenplatz ein. Bei Unternehmensgründungen standen wir 1998 und auch 1999 an der Spitze.

Diese erfreuliche Dynamik, die bisher noch hauptsächlich vom Einsatz gentechnischer Methoden im medizinisch- pharmazeutischen Bereich getragen wird, gilt es, auch auf dem Gebiet der Pflanzenzüchtung anzustoßen. Ein wichtiger Faktor - ich will das nicht verschweigen - sind natürlich auch Unsicherheiten auf den Märkten für neu- artige Pflanzensorten. Gentechnik wird in Pflanzenzucht- betrieben in unserem Land nur dann Normalität beanspruchen können, wenn die Verbraucher die aus gen- technisch veränderten Pflanzen erzeugten Produkte akzeptieren. Deshalb müssen vor allem die Produzenten das Vertrauen der Menschen für die Biotechnologie gewinnen …, damit Deutschland an den Erträgen der biotechnologischen Forschung aus einer führenden Position heraus partizipieren kann, setzt die Bundesregierung bei der Förderung der Biotechnologie und der Genomforschung Schwerpunkte ihrer Forschungspolitik. Im vergangenen Jahr hat die Bundesregierung gemeinsam mit den Pflanzenzüchtern, der Pflanzenschutzindustrie und der verarbeitenden Industrie ein Förderprogramm zur Erforschung der pflanzlichen Genome aufgelegt. Dieses Programm mit dem hübschen Namen „Gabi“ (Genomanalyse im biologischen System Pflanze) soll erstens die Voraussetzungen für wissenschaftliche Spitzenleistungen in der Forschung schaffen. Zweitens soll es die rasche Umsetzung der Forschungsergebnisse in die Praxis ermöglichen.

Es entspricht allerdings dem verantwortlichen Umgang mit neuen Technologien und dem Vorsorgeprinzip des Staates, der biologischen Sicherheitsforschung dabei einen hohen Stellenwert einzuräumen. Gleichwohl ist der Eindruck sicher zutreffend, dass sich die bislang erreichte Akzeptanz noch deutlich verbessern lässt … Es muss gemeinsames Ziel aller Beteiligten sein, durch mehr Transparenz der wissenschaftlichen Forschungsergebnisse und bessere Information der Öffentlichkeit eine solide Grundlage dafür zu schaffen, dass wir die verantwort- baren Innovationspotenziale der Gentechnologie auch wirklich nutzen können.

Darum wird die Bundesregierung allen Beteiligten, zunächst vor allem der Wirtschaft, folgenden Vorschlag unterbreiten: Wir bitten Sie zu prüfen, ob - auf freiwilliger Basis - für den Bereich der grünen Gentechnik ein Forschungs- und Beobachtungsprogramm vereinbart werden kann. Die Bundesregierung strebt an, dass alle von gentechnischen Zulassungen betroffenen Unter- nehmen sich verpflichten, Genehmigungen, die sie bereits erhalten haben oder während der Dauer des Programms noch erhalten werden, nur im Rahmen dieses Programms zu nutzen. Es geht also nicht darum, irgendeinen Still- stand zu produzieren. Damit könnte sowohl den Besorgnissen der Bevölkerung als auch der Forderung der Wirtschaft nach ausreichender Planungssicherheit Rechnung getragen werden. Von der Bundesregierung sind hierzu die ersten Überlegungen gerade abgeschlossen worden.

Allem Anschein nach ist die KWS bereits gut unterrichtet. Denn in einer ersten Stellungnahme haben Sie grundsätzlich positiv auf diesen Vorschlag reagiert. Dies freut mich, weil damit ein wichtiger Partner auf Seiten der Wirtschaft seine Bereitschaft zur Zusammenarbeit signalisiert. Es wäre wünschenswert, wenn diese Haltung in Wirtschaft und Gesellschaft beispielgebend sein könnte …, ich hoffe, ich habe Ihnen deutlich machen können, warum ich einen offenen, einen sachlichen und verständlichen Dialog über die Einführung gentechnisch veränderter Pflanzen als Voraussetzung ansehe, damit wir die damit verbundenen Fortschritte zu unserem gemeinsamen Nutzen einsetzen können …