Pflanzenforschung 2

„Von herkömmlichen nicht unterscheidbar.“ Neue Züchtungstechniken führen nicht zu Gentechnik-Pflanzen

(16.11.2015) Mit neuen Züchtungstechniken erzeugte Pflanzen sind in der Regel nicht als „gentechnisch verändert“ anzusehen und fallen daher nicht unter die strengen Auflagen des Gentechnik-Gesetzes. Zu diesem Ergebnis kommt eine aktuelle Stellungnahme des BVL (Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit). Sie bezieht sich auf bestimmte, als Genome Editing bezeichnete Techniken, mit denen einzelne Bausteine im Erbgut von Pflanzen abgeschaltet oder ausgetauscht werden können, ohne jedoch neue Gene einzuführen. Zuvor waren zwei Rechtsgutachten, die vom Bundesamt für Naturschutz (BfN) und mehreren gentechnik-kritischen Gruppen in Auftrag gegeben wurden, zu gegenteiligen Schlussfolgerungen gekommen. Ende des Jahres wird auch die EU-Kommission darüber entscheiden.

Bestrahlungsanlage für Mutationszüchtung

Bestrahlungsanlage für Mutationszüchtung. Pflanzensorten, die auf durch Bestrahlung oder Chemikalien ausgelöste Mutationen zurückgehen, unterliegen keinen besonderen gesetzlichen Bestimmungen.

Foto: Institute for Radiation Breeding, Kamimurata, Japan

Genome Editing steht für mehrere neue molekularbiologische Verfahren, mit denen gezielt Mutationen in ganz bestimmten Abschnitten der DNA herbeigeführt werden.

Meist bestehen die Verfahren aus zwei Elementen oder Schritten:

(1) Es weden dafür konstruierte „Sonden“ eingeführt - Proteine, DNA- oder RNA-Abschnitte, welche die jeweilige Zielsequenz „erkennen“ können und den DNA-Strang genau dort aufschneiden.

(2) Mit Hilfe natürlicher Reparaturmechanismen der Zelle wird die DNA an der Schnittstelle verändert. Dabei können einzelne DNA-Bausteine (Basenpaare) an- oder abgeschaltet, ausgetauscht oder hinzugefügt werden.

Zu den Genome Editing-Verfahren zählen etwa: Oligonukleotid gerichtete Mutagenese (ODM), Zinkfinger-Nukleasen (ZFN), TALEN und das CRISPR-Cas9-System.

Die BVL-Stellungnahme bezieht sich insbesondere auf zwei der neuen Züchtungsverfahren - ODM und die gerade viel beachtete CRISPR-Cas9-Technik. Mit beiden ist es möglich geworden, an ganz bestimmten Stellen im Erbgut einer Pflanze – wie auch bei allen anderen Organismen – mit einer bisher nicht vorstellbaren Präzision Punktmutationen hervorzurufen, um so vorhandene Merkmale zu verbessern und zu modifizieren. Die auf diese Weise veränderten Pflanzen sind von natürlich vorkommenden nicht unterscheidbar. Die herbeigeführte Veränderung wäre genau so auch durch Kreuzen oder natürliche Mutationen möglich gewesen. Der einzige Unterschied: Es ist nicht mehr ein zufälliges Ereignis, sondern wird gezielt herbeigeführt - eine große Zeit- und Kostenersparnis in der Grundlagenforschung wie auch in der praktischen Pflanzenzüchtung.

Nach den Kriterien des deutschen Gentechnik-Gesetz wie der entsprechenden europäischen Vorschriften bringen die neuen Verfahren keine GVO (gentechnisch veränderte Organismen) hervor. „Denn der Begriff des GVO setzt voraus,“ so die BVL-Stellungnahme, „dass dessen genetisches Material eine Veränderung erfahren hat, die auf natürliche Weise nicht vorkommt.“ Zudem seien die Verfahren als Mutagenese einzustufen, die in den Gentechnik-Gesetzen ausdrücklich von einer Regulierung ausgenommen ist.

Die Gutachten der gentechnik-kritischen Seite sind anderer Ansicht. Sie leiten ihre Einschätzung, mit Genome Editing-Verfahren erzeugte Pflanzen müssten den gleichen Vorschriften unterworfen werden wie gentechnisch veränderte, nicht aus den Eigenschaften des damit erzeugten Produkts ab, sondern aus dem jeweils eingesetzten Verfahren. Die Konstrukte, mit denen die gewünschte Schnittstelle im Erbgut gefunden, der DNA-Strang dort aufgetrennt und wieder repariert wird, seien nicht natürlich, sondern eigens zu dem Zweck künstlich erzeugt. Zudem würden sie mit gentechnik-ähnlichen Verfahren in Pflanzenzellen eingeführt. Deswegen seien die damit erzeugten Pflanzen nicht als natürlich anzusehen, auch wenn sie von herkömmlichen nicht unterscheidbar seien.

Auch die Forderung, dass allein aufgrund der Neuartigkeit der Verfahren die Pflanzen vorsorglich der gleichen Sicherheitsüberprüfung unterzogen werden müssten wie GVO, weist das BVL zurück. In der Wissenschaft bestehe Einigkeit, „dass die durch ODM oder CRISPR-Cas9 erzeugten gezielten Punktmutationen in Pflanzen weniger unbeabsichtigte Effekte mit sich bringen als Verfahren, bei denen mit Hilfe von Chemikalien oder ionisierenden Strahlen zufällige Mutationen erzeugt werden.“

In den nächsten Monaten will auch die EU-Kommission darüber entscheiden, wie die neuen Züchtungsverfahren in Bezug auf die Gentechnik-Gesetze einzustufen sind. Auch in einigen Ländern außerhalb Europas hat ein intensiver Beratungsprozess über den rechtlichen Status der mit Genome Editing-Verfahren erzeugten Pflanzen begonnen. Die meisten Länder wollen darüber fallweise entscheiden. So werden etwa in Australien, Indien, Argentinien und USA ODM-Pflanzen als nicht-GVO eingestuft. Ähnliches gilt für weitere Genome Editing-Verfahren, wenn sie nicht unterscheidbare Pflanzen hervorbringen. In den USA sollen bereits mehrere damit gezüchtete Pflanzensorten von den Behörden dereguliert worden sein. Freilandversuche, aber auch Anbau und Vermarktung sind in diesen Fällen ohne besondere Auflagen möglich.

Sollte die EU einen anderen Weg einschlagen, hätte das erhebliche Probleme im internationalen Agrarhandel zur Folge.

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