Ratten-Studie zu Gentechnik-Mais: Einhellige Ablehnung durch die Behörden für Lebensmittelsicherheit

(04.10.2012) Die in Deutschland und in der EU für die Lebensmittelsicherheit zuständigen wissenschaftlichen Behörden haben die aktuelle Ratten-Studie französischer Wissenschaftler zu gentechnisch verändertem Mais NK603 einhellig abgelehnt. Kritisiert werden vor allem methodische Mängel, ein unzureichendes Versuchsdesign sowie Fehler bei der Interpretation der Ergebnisse. So hält das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) die Schlussfolgerungen der Autoren um Gilles-Eric Séralini für „nicht nachvollziehbar“. Noch deutlicher die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA): Die Studie genüge „nicht wissenschaftlichen Ansprüchen“.

Ratten, Versuchstiere

Ratten: Häufiger Krebs und kürzere Lebensdauer bei Fütterung mit gentechnisch verändertem Mais NK603? Die Séralini-Studie liefert dazu keinen Beweis, so die offiziellen Stellungnahmen der Behörden.

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Unter Verschluss: Séralini und die Daten

Jede Stellungnahme der Behörden weist darauf hin: In der publizierten Fassung der Séralini-Studie werden zu wenig Daten genannt, um sie seriös und gründlich prüfen zu können.

EFSA und BfR haben die Séralini-Gruppe daher gebeten, ihnen alle Daten - insbesondere die zu den einzelnen Tieren des Versuchs - sowie den vollständigen Studienbericht zur Verfügung zu stellen.

Inzwischen hat Seralini erklärt, er werde der EFSA keine Einsicht in weiteren Daten gewähren. Zunächst solle die EFSA selbst ihre Daten veröffentlichen, die sie für die Bewertung von NK603-Mais herangezogen habe. Doch: Alle nicht vertraulichen Unterlagen aus den Zulassungsverfahren können bei der EFSA auf Anfrage erhalten werden.

Mit einem spektakulären Artikel, der Mitte September exklusiv in der französischen Zeitung Le Nouvel Observateur erschien, war dem für seine gentechnik-kritische Einstellung bekannten Wissenschaftler Gilles-Eric Séralini ein Medien-Coup gelungen.

Seralini hatte Ratten über zwei Jahre mit gentechnisch verändertem Mais NK603 sowie mit dem Herbizid Roundup (Glyphosat) gefüttert. Diese Tiere litten häufiger unter Tumoren, Leber- und Nierenschäden und starben früher als in der mit normalem Mais gefütterten Kontrollgruppe.

Die Studie und die daraus abgeleiteten Schlussfolgerungen fanden ein großes - und für einige Tage kaum widersprochenes - Echo in der europäischen Öffentlichkeit. Viele Zeitungen, Rundfunk- und Fernsehanstalten übernahmen in ihren Berichten Séralinis Sichtweise, ohne andere Experten um eine fachliche Einschätzung zu fragen.

Inzwischen hatte die EU-Kommission die für Lebensmittelsicherheit zuständige europäische Behörde, die EFSA, eingeschaltet. Auch die Bundesregierung forderte bei den deutschen Behörden - dem unabhängigen Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) und dem Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) - Stellungnahmen an.

Zwei Wochen nach den ersten Medienberichten zu der Ratten-Studie liegen nun auch Bewertungen der Behörden vor. Im Kern stimmen sie in ihrer Kritik überein - und sie ist deutlich.

„Die Studie hat sowohl Schwächen im Design als auch in der statistischen Auswertung, so dass die Schlussfolgerungen der Autoren nicht nachvollziehbar sind“, fasst Professor Dr. Reiner Wittkowski, Vizepräsident des BfR zusammen. Auch die Stellungnahme der EFSA bemängelt vor allem die Methodik der Studie. „Ohne einwandfreies Studiendesign und methodisches Vorgehen“, so EFSA-Direktor Per Bergmann, der die Zusammenarbeit der Experten aus verschiedenen Gremien koordinierte, „ist es unwahrscheinlich, dass eine Studie zuverlässig und valide ist.“

Die Behörden verweisen darauf, dass die Größe der Versuchsgruppen von je zehn Tieren viel zu klein sei, um abgesicherte, nicht zufallsbedingte Ergebnisse zu bekommen. Die OECD-Richtlinien für Langzeit-Fütterungsstudien schreiben fünfzig Tiere pro Gruppe und Geschlecht vor. Gerade bei Studien, die an die „natürliche“ Lebenszeit der Tiere heranreichen, müssten altersbedingte Folgen von möglichen Effekten des zu untersuchenden Stoffes - in diesem Fall des NK603-Maises bzw. Glyphosats - unterschieden werden können. Ohne eine ausreichende Zahl von Versuchstieren sei eine statistisch saubere Auswertung nicht möglich.

Hinzukommt, dass Séralini für seine Versuche einen Rattenstamm (Sprague-Dawley) verwendet hat, der unter Fachleuten für seine Tumoranfälligkeit bekannt ist. Die Stellungnahmen der Behörden zitieren mehrere Untersuchungen zu diesen Ratten, bei denen auch ohne äußere Einflüsse nach zwei Jahren eine ähnliche Tumorhäufigkeit beobachtet wurde. Mit dem von Séralini gewählten Versuchsdesign ließe sich nicht unterscheiden, ob für die Tumore der Ratten tatsächlich der NK603-Mais ursächlich sei oder ob sie bei Ratten dieses Stamms nach zwei Jahren ohnehin entstanden wären.

Für die Behörden ist die aktuelle Séralini-Studie kein Anlass, frühere Sicherheitsbewertungen zu NK603-Mais und zum Herbizid Glyphosat zu revidieren. Sollte Séralini die angeforderten Daten zugänglich machen, wollen die Behörden sich noch einmal eingehender mit seiner Studie und ihren Ergebnissen beschäftigen.

Inzwischen wehren sich Séralini und weitere Wissenschaftler in einem offenen Brief gegen die Kritik an der Studie. Sie sehen darin eine Kampagne großer Konzerne und eine „systematische Unterdrückung von unabhängigen Wissenschaftlern.“