Ergebnisse veröffentlicht: Weiter Streit um Pusztai


Der Streit um die Lektin-Kartoffeln ist nicht zu Ende. Noch immer werden die Ergebnisse der von Prof. Arpad Pusztai durchgeführten Fütterungsversuche außerordentlich kontrovers beurteilt.

Daran hat sich auch nach ihrer Veröffentlichung in der britischen medizinischen Fachzeitschrift Lancet wenig geändert. Im Gegenteil: Dass der Artikel im Oktober 1999 überhaupt gedruckt wurde, hat die Diskussion erneut angeheizt. Sechs anstelle der üblichen drei Gutachter hatten die Lancet-Redaktion eingeschaltet. Doch auch die Experten waren sich nicht einig. Für den Abdruck sprach, dass so die Puztai-Studie endlich der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurde.

Die Studie. Der Lancet-Artikel stellt die Ergebnisse einer Versuchsreihe vor, bei der Pusztai an Ratten zehn Tage lang eine spezielle Nahrung mit unterschiedlichen Merkmalen verfütterte:

  • gentechnisch veränderte Kartoffeln, die infolge eines übertragenen Schneeglöckchen-Gens GNA-Lektin produzieren,
  • Kartoffeln mit zugesetztem GNA-Lektin,
  • herkömmliche Kartoffeln der Ausgangslinie, jeweils in roher oder gekochter Form.

Von Professor Ewen, einem Wissenschaftler aus Aberdeen, ließ Pusztai daraufhin verschiedene Darmabschnitte der Ratten auf Veränderungen untersuchen. Zusätzlich wurde die Zahl der weißen Blutzellen (Leukozyten) in den Darmwänden bestimmt.

Die Ergebnisse. Der Schwerpunkt der Auswertung liegt auf den Untersuchungen der Darmgewebeproben, die in den vorigen Berichten noch nicht erwähnt wurden. Der Lancet-Artikel enthält dagegen keine Aussagen über Organverkleinerungen oder Schwächungen des Immunsystems, von denen Pusztai zuvor berichtet hatte

  • Bei den Tieren, die rohe, gentechnisch veränderte Kartoffeln erhalten hatten, beobachteten Pusztai und Ewen längere Dünndarmzotten als bei denen, die herkömmliche Kartoffeln oder solche mit zugesetztem GNA-Lektin gefressen hatten.
  • Die Blinddarmschleimhaut war nach Fütterung mit gekochten gentechnisch veränderten Kartoffeln dünner als bei den anderen beiden Versuchsgruppen.
  • In den Darmwänden der Ratten, die rohe oder gekochte gentechnisch veränderte Kartoffeln gefressen hatten, wurden mehr Lymphozyten gefunden als bei den anderen Tieren (erhöhte Lymphozytenzahlen können auf Gewebeschädigungen hinweisen).

Pusztai vermutet, dass die beobachteten Effekte nicht auf das Lektin zurückzuführen, sondern eine Folge des Gentransfers sind. Teile des Genkonstruktes, mit dem das Lektin-Gen in die Kartoffeln eingeführt wurde – es enthält neben dem Lektin-Gen noch Steuersequenzen – könnten zur Produktion weiterer Stoffe geführt haben, die von den Darmzellen aufgenommen wurden und diese beeinflusst haben. Denkbar sei auch, dass die Position, an der das Genkonstrukt in das Kartoffel-Genom eingebaut wurde, zu einem veränderten Gehalt bestimmter Inhaltsstoffe in der Kartoffel führe. Diese könnten die beobachteten Effekte hervorgerufen haben.

Die Kritik. In der gleichen Lancet-Ausgabe, in der Pusztai und Ewen ihre Studie publizierten, erschien ein weiterer Artikel zum Thema. Harry Kuiper von der Universität Wageningen (NL) setzte sich kritisch mit Durchführung und Auswertung des Lektin-Versuchs auseinander.

  • Die Zahl der Versuchstiere pro Versuchsgruppe (6) war zu klein, um statistisch verlässliche Aussagen zu erhalten.
  • Die Nahrung der Tiere wies mit einem Eiweiß-Gehalt von sechs Prozent einen Protein-Mangel auf. Eine solche auch kurzfristige Unterernährung kann Wachstum und Immunfunktionen von Ratten stören und die beobachteten Effekte verursacht oder zumindest überlagert haben.
  • Pusztai vermutet, dass andere Bestandteile des Genkonstrukts (nicht das GNA-Gen) die Veränderungen bei den Ratten verursacht haben könnten. Diese These ist experimentell nicht überprüft worden, etwa durch Kontrollversuche mit einem „leeren“ Konstrukt, also ohne das GNA-Gen.
  • Bei der Aufzucht von Kartoffeln in Gewebekultur und sogar in konventionellen Züchtung sind häufig spontane genetische Veränderungen zu beobachten. Daher können die Gehalte einzelner Inhaltsstoffe schwanken. Auch bei den gentechnisch veränderten GNA-Kartoffeln wichen die Gehalte etwa an Stärke und Glucose gegenüber den konventionellen Kartoffeln ab. Der Frage, ob die inhaltlichen Unterschiede tatsächlich auf die Genveränderung oder aber auf natürliche Schwankungen zurückzuführen sind, geht Pusztai nicht nach.
  • Bei den beobachteten Veränderungen des Darmwachstums sind keine einheitlichen Tendenzen zu erkennen. Einmal werden Effekte bei rohen Kartoffeln beobachtet, ein anderes mal bei gekochten. Einmal handelt es sich um wachstumsfördernde, einmal um wachstumshemmende Effekte. Es erscheint fragwürdig, diese widersprüchlichen Effekte auf eine Ursache, nämlich die gentechnische Veränderung zurückzuführen.

Dass die Ergebnisse der Pusztai-Versuche nun in einer Fachzeitschrift publiziert sind, hat an der Auseinandersetzung kaum etwas geändert. Beide Seiten halten an ihren Argumenten fest: Pusztai sieht in seiner Studie Hinweise, dass die derzeitigen Konzepte zur Sicherheitsbewertung gentechnisch veränderter Pflanzen „Lücken“ haben. Seine Kritiker sehen sich auch nach der Veröffentlichung des Lancet-Artikels bestätigt: Die Fütterungsstudie weise in Durchführung und Ausführung erhebliche Mängel auf; ihre Ergebnisse seien daher nicht stichhaltig. Es erscheint daher sinnvoll, Pusztais Fütterungsversuche von einer internationalen Expertengruppe unter Berücksichtigung anerkannter Standards zu wiederholen.