Jeff Schell, Marc van Montagu

Vor 40 Jahren in Köln: Die „Erfindung“ der Grünen Gentechnik

Es war ein Meilenstein: In den 1980er Jahren gelang es Wissenschaftlern in Köln und Gent erstmals, ein „fremdes“ Gen in das Erbgut einer Pflanze einzuschleusen. Dazu nutzten sie ein weit verbreitetes Bodenbakterium und dessen besondere Fähigkeit, Pflanzenzellen umprogrammieren zu können. Dieser natürliche Vorgang ist der Kern des bis heute weltweit eingesetzten Standardverfahrens, um neue Gene - und neue Merkmale - in Pflanzen hineinzubringen. Zugleich begann auch ein mehr als zwanzig Jahre dauernder Patentstreit.

Agrobakterien, Wurzelhalsgallen Apfelbaum

Tumore (Wurzelhalsgallen) an einem Apfelbaum. Agrobakterien, wie sie überall im Boden vorkommen, sind in der Lage, Pflanzenzellen genetisch umzuprogrammieren, sodass tumorartige Wucherungen entstehen.

Jeff Schell (oben rechts) und Marc Van Montagu entwickelten ein bis heute gebräuchliches Standardverfahren, um neue Gene in Pflanzen einzuschleusen.

Fotos: VIB /GNU Free Documentation License (oben); APSnet / A.L.Jones (unten)

Die gentechnisch veränderten Tabakpflanzen, die der belgische Molekularbiologe Jeff Schell, von 1978 bis 2000 Direktor am damaligen Max-Planck-Institut für Züchtungsforschung in Köln, zusammen mit seinem Genter Kollegen Marc Van Montagu erzeugte, markiert so etwas wie die Geburtsstunde der Grünen Gentechnik. Sie hat eine erstaunliche, fast hundert Jahre lange Vorgeschichte.

Bereits 1907 entdeckten zwei amerikanische Wissenschaftler, dass tumorartige Wucherungen, die häufig im Wurzelbereich verschiedener Pflanzenarten - vor allem bei Blumen und Obstbäumen - auftraten, von einem gewöhnlichen Bodenbakterium ausgelöst werden. Wie es dieses Bakterium, nun Agrobacterium tumefaciens genannt, jedoch schafft, die Pflanzen zu infizieren und deren Zellen zu verändern, blieb lange Zeit rätselhaft.

Nach und nach, in vielen kleinen Erkenntnisfortschritten wurde dieser Mechanismus aufgeklärt. Dabei gelangen grundlegende, manchmal auch völlig überraschende Entdeckungen zur Molekularbiologie der Bakterien und ihrer Interaktion mit Pflanzen.

Eine davon: Bei Bakterien ist die Erbsubstanz DNA nicht nur als meist ringförmiges Chromosom angeordnet, sondern auch auf weiteren ringförmigen Elementen, den Plasmiden. Diese können ihre angestammte Zelle verlassen und in andere wandern - auch über Artgrenzen hinweg etwa von Bakterien auf Pflanzen. Solche Plasmide sind es auch, welche die Tumor-Wucherungen auslösen, indem sie einen Teil ihrer eigenen Gene in das Genom der befallenen Pflanzen einbauen und damit normale Pflanzenzellen zu Tumorzellen umprogrammieren.

Könnte man nicht die Tumorgene aus dem Plasmidring herausschneiden und durch andere, für die Pflanzenzüchtung interessante Gene ersetzen? Und diese dann mit Hilfe der besonderen Fähigkeiten der Agrobakterien in Pflanzen einbringen? Nicht nur Jeff Schell und Marc Van Montagu verfolgten diese Idee, sondern auch weitere Arbeitsgruppen in den USA, etwa die von Mary-Dell Chilton, die später zu Ciba-Geigy, dem Vorläufer des heutigen Agro-Biotech-Unternehmens Syngenta wechselte. Bis jedoch die Funktionsweise des tumor-induzierenden (ti-) Plasmids so weit verstanden war, um als „Fähre“ für andere Gene praktisch genutzt zu werden, sollte es noch weitere zehn Jahre dauern.

Die erfolgreiche Transformation einer Tabakpflanze durch Schell und seine Arbeitsgruppe in Köln hatte den Molekularbiologen einen Weg aufgezeigt, neue Gene und Genelemente in das Genom einer Pflanze einzufügen. Rasch wurde das Verfahren weiterentwickelt, sodass es nicht nur bei zweikeimblättrigen Pflanzen wie Tabak, Kartoffeln oder Sojabohnen gut funktionierte, sondern auch bei einkeimblättrigen wie Reis oder Mais. Inzwischen sind weitere Gentransfer-Methoden (etwa die als Gene Gun bekannte Partikelkanone) hinzugekommen, doch die Transformation mit Agrobakterien ist bis heute Standard - sowohl in der Grundlagen- oder Genomforschung, als auch bei der Entwicklung gentechnisch veränderter Pflanzen. Gut zehn Jahre nach dem Durchbruch in Köln kamen die ersten herbizidresistenten Sojabohnen auf den Markt, Mais und Baumwolle mit Resistenzen gegen Schädlinge (Bt-Protein) folgten wenig später.

Doch als sich die kommerzielle Bedeutung des Gentransfers mit Agrobakterien für die Agro-Biotechnologie abzeichnete, setzte auch der Streit um die Patentrechte ein - es wurde der längste in der Geschichte der Agrobiotechnologie. Erst 2003 konnten sich die Max-Planck-Gesellschaft, für die Jeff Schell in Köln tätig war, und die Bayer CropScience, zu der nach mehreren Übernahmen auch das von Montagu gegründete Institut Plant Genetic Systems (PGS) in Gent gehörte, auf einen gemeinsamen Lizenzvertrag einigen. Monsanto, dessen späterer Chef-Wissenschaftler Robert T. Fraley in den 1980er Jahren parallel zu Schell, Van Montagu und Chilton an der Agrobakterien-Transformation arbeitete, akzeptierte diese Entscheidung der Patentämter in Europa und den USA nicht. Erst nach weiteren Auseinandersetzungen legten die Max-Planck-Gesellschaft, Bayer und Monsanto 2005 ihren Streit bei.

Die großen Erwartungen, welche Pioniere wie Schell oder Van Montagu mit der Pflanzen-Gentechnik verbanden, erfüllten sich jedoch nur bedingt. Doch es liegt nicht an ihrer „Erfindung“, wenn sich die bisher landwirtschaftlich genutzten gv-Pflanzen auf wenige neue Merkmale beschränken - im wesentlichen Resistenzen gegen Schädlinge und Herbizide. An Eigenschaften wie höheren Erträgen oder einer besseren Anpassung an schwierige Umweltbedingungen wie Trockenheit, Hitze oder Überschwemmungen sind in der Regel mehrere Gene beteiligt. Zudem sind die Interaktionen zwischen Genen, ihre Regulation und die Umsetzung in Proteine (Genetischer Code) komplexer als damals gedacht. Es reicht in der Regel nicht aus, einzelne Gene einfach in andere Pflanzen zu übertragen.

Doch um den genetischen Hintergrund solcher Merkmale zu finden, die Funktion der Gene und ihre Wechselwirkungen zu verstehen - dazu werden Verfahren, die sich der Tricks der Agrobakterien bedienen, auch in Zukunft benötigt.