Cyanobakterien mit PHB-Bioplastik

Klimaneutral und schnell abbaubar: Bio-Kunststoff aus Cyanobakterien

Von Tobias Brügmann

Plastik, das CO2 aus der Luft als Ressource nutzt, schnell abgebaut wird und sich nicht in der Umwelt ansammelt – noch ist es eine Vision, aber sie wird konkreter. Cyanobakterien, auch als Blaualgen bekannt, können einen Grundstoff dafür herstellen, als Nebenprodukt der Fotosynthese. Doch noch sind die Mengen zu gering für eine industrielle Nutzung. Einem Tübinger Forschungsprojekt ist es nun gelungen, die Ausbeute drastisch zu erhöhen. Der Schlüssel dazu ist die Genetik.

Cyanobakterien

Cyanobakterien, auch Blaualgen, können Fotosynthese und damit das Sonnenlicht direkt als Energiequelle nutzen - auch für PHB-Bioplastik, allerdings in nur geringen Mengen. Foto oben: Natürliche Bakterien-Zelle (oben links) und optimierte Variante mit einem deutlich höheren PHB-Gehalt (rechts)

Plastikflasche im Meer

Problem Plastik. Auch Bio-Plastik ist nicht immer biologisch abbaubar.

Großes Foto: Moritz Koch, EKU Tübingen (2); alphaspirit,123RF)

Gleich, ob chemisch-synthetisch oder bio - Plastik ist in Verruf geraten.

Konventionelle Kunststoffe wie PET oder PE werden aus fossilen Ressourcen hergestellt und sind häufig Produkte mit kurzer Lebens- oder Nutzungsdauer, wie Jogurtbecher oder Gemüseverpackungen. Zum Schutz der Umwelt und der Meere hat die Europäische Union ein Verbot von diversen Einwegartikeln wie Plastikgeschirr oder Strohhalmen erlassen. Ab Sommer 2021 greift das Verbot auch in Deutschland.

Bei der Produktion von Bio-Kunststoffen werden dagegen keine fossilen Rohstoffe verbraucht: Biogenes Plastik wird heute vornehmlich aus Maisstärke hergestellt. Die Nutzung von Maisstärke und der Flächenverbrauch zum Anbau der dazugehörigen Pflanzen wirft allerdings ethische Fragen auf: Sollten Ressourcen, die der Ernährung dienen können, für die Produktion von Verpackungsmaterial verwendet werden? Der Anbau nachwachsender Rohstoffe in großem Stil würde den Nutzungsdruck auf die ohnehin knappen Flächen weiter erhöhen.

Diese Probleme stellen sich nicht, wenn spezielle Mikroalgen, sogenannte Cyanobakterien für die Produktion von Bio-Kunststoffen eingesetzt werden. Cyanobakterien sind Einzeller, die im Gegensatz zu anderen Bakteriengruppen Chlorophyll besitzen und dadurch wie Pflanzen Fotosynthese betreiben können. In diesem Prozess gewinnen die Cyanobakterien mit Sonnenlicht Energie, um CO2 zu fixieren und zu Zucker umwandeln. Aufgrund ihrer Ähnlichkeiten zu Algen werden diese Bakterien auch als Blau- oder Mikroalgen bezeichnet. Cyanobakterien können auch auf nicht landwirtschaftlich nutzbaren Flächen kultiviert werden.

In den Cyanobakterien kommt als natürliches Makromolekül die Substanz Polyhydroxybutyrat (PHB) vor. Die physiologische Funktion des PHB ist bislang unklar, es könnte aber den Bakterien als Speicher für Energie und Kohlenstoff dienen. Vom Menschen kann das PHB jedoch als biogener Kunststoff genutzt werden. Neben der ressorcenschonenden und nachhaltigen Herstellung hat PHB auch hinsichtlich der biologischen Abbaubarkeit günstige Eigenschaften: Dieser Bio-Kunststoff wird von Bakterien, Pilzen und Algen zersetzt, sodass eine PHB-Folie in einer Kompostieranlage innerhalb von zwei Wochen und selbst in Seewasser innerhalb von 15 Wochen abgebaut wird.

Für die Produktion von PHB setzen die Cyanobakterien CO2 unter Lichteinwirkung in einigen Zwischenschritten zu diesem Biopolymer um. Für die Bildung des Bio-Kunststoffs werden lediglich drei Gene benötigt. In ihrem DNA-Code sind die Enzyme verschlüsselt, welche für die biochemische Umsetzung des Ausgangsstoffs Acetyl-CoA in das komplexere PHB erforderlich sind. Unter natürlichen Umständen produzieren Cyanobakterien das PHB in einer Größenordnung zwischen 0,5 und 6 Prozent ihrer eigenen Trockenmasse, was allerdings eine zu niedrige Konzentration für eine mögliche industrielle Nutzung ist.

Wissenschaftler*innen an der Universität Tübingen forschen an der PHB-Produktion in Cyanobakterien, um sie für eine bioökonomische Nutzung zu optimieren. Zu ihnen gehört auch Dr. Moritz Koch, inzwischen einer der weltweiten Experten auf diesem speziellen Gebiet.

Durch „genetische Kniffe“, so Koch, ist es der Tübinger Arbeitsgruppe gelungen, die PHB-Produktion in Cyanobakterien drastisch zu erhöhen. Dazu gehören gentechnische Veränderungen, die auf bestimmte Gene zielen, etwa eine gezielte Überexpression von Synthesegenen. Aber nicht nur die Gene für die eigentliche PHB-Produktion, sondern auch andere Regulatoren im Kohlenstoffkreislauf bieten geeignete Ziele für eine Produktionssteigerung. Wie aus ihren aktuellen wissenschaftlichen Publikationen hervorgeht, konnten die Wissenschaftler*innen damit „eine massive Steigerung“ der PHB-Produktion herbeiführen. In den optimierten Cyanobakterien beträgt der PHB-Anteil nun etwa 80 Prozent der gesamten Zellmasse (Foto oben).

Der Bio-Kunststoff PHB kann bereits heute im industriellen Maßstab von sogenannten heterotrophen Bakterien wie Cupriavidus necator produziert werden, also von Bakterien, die ihre Energie über ihre Nahrung aufnehmen und nicht selbst mit Hilfe des Sonnenlichts produzieren können. Als Energieträger dient diesen Bakterien Zucker, der häufig aus Nutzpflanzen gewonnen wird – und demnach nicht für die Lebensmittelerzeugung zur Verfügung steht. Hier zeigt sich der große Vorteil einer PHB-Produktion durch Cyanobakterien: Die Mikroalgen fixieren Sonnenlicht und gewinnen daraus selbst Energie. Somit ist diese Art der PHB-Produktion CO2-neutral und bietet ökologische und ethische Vorteile gegenüber der Nutzung von heterotrophen Bakterien.

Koch bremst allerdings die Erwartungen: „Noch wird im Bereich der PHB-Produktion durch Cyanobakterien Grundlagenforschung betrieben. Es dauert noch Jahre oder Jahrzehnte bis zur praktischen Umsetzung im groß-industriellen Maßstab.“ Der Tübinger Wissenschaftler sieht bis dahin zunächst die Politik am Zuge: „Die PHB-Produktion durch heterotrophe Bakterien ist momentan einfach günstiger. Sollte es allerdings zu einer deutlich höheren CO2-Bepreisung kommen, dann würde sich die CO2-neutrale Produktion mit Cyanobakterien lohnen. Das könnte der Forschung in diesem Bereich neuen Antrieb geben.“ Zusätzlich sei es wichtig, Produkte so zu designen, dass sie leicht in ihre Ausgangsstoffe zerlegt und so einem effizienten Recycling-System zugeführt werden können.

Über eine wirtschaftlich interessante PHB-Produktion hinaus illustriert das Tübinger Forschungsprojekt aber auch das Potenzial von Cyanobakterien: Mit der richtigen genetischen Ausstattung können sie durch Sonnenlicht angetriebene Bio-Fabriken werden. Das Licht sorgt für die nötige Energie, mit der sie – je nach eingesetzten Genen – klimafreundlich ganz unterschiedliche Substanzen synthetisieren können.

Cyanobakterien: Fotosynthese seit 3,5 Milliarden Jahren
Cyanobakterien werden häufig auch als Blau- oder Mikroalgen bezeichnet. Ähnlich wie Algen können sie mit Hilfe ihres Chlorophylls (Chlorophyll a) im Prozess der Fotosynthese Licht als Energiequelle nutzen. Sie gehören demnach zu den photoautotrophen Bakterien. Ein Produkt der Fotosynthese ist Sauerstoff. Dieser durch Blaualgen produzierte Sauerstoff führte zu einem Anstieg des Sauerstoffgehalts in der Atmosphäre der frühen Erde, der überhaupt das heutige Leben ermöglichte. Cyanobakterien gehörten zu den ersten lebenden Organismen auf der Erde. Fossilbelege finden sich in südafrikanischem und australischem Gestein, dessen Alter auf 3,5 bis 3,3 Milliarden Jahre geschätzt wird.
Im Sommer werden Blaualgen manchmal zu einem Problem: In nährstoffreichen Gewässern können sie sich bei höheren Temperaturen rasch vermehren, sodass sie das Gewässer flächig bedecken. Diese Algenblüte kann insbesondere bei Allergikern zu schweren Gesundheitsproblemen führen. Von den Cyanobakterien produzierte Toxine können zudem Fische und andere Wasserorganismen schädigen.
Cyanobakterien gelten als „Big Player“ in der Biotechnologie. Drei Beispiele aus verschiedenen Bereichen:
Energie: Als Nebenprodukt ihres Stoffwechsels produzieren viele Cyanobakterien Wasserstoff, der Brennstoffzellen als emissionsfreie Energiequelle dienen kann. Durch genetisch veränderte Bakterienstämme können in näherer Zukunft die Blaualgen für eine bio-basierte Wasserstoffproduktion im größeren Maßstab genutzt werden.
Dünger: Als natürliche Stickstoff-Fixierer binden viele Cyanobakterien Stickstoff aus der Luft, sodass sie als natürliche Düngerquelle genutzt werden können.
Medizin, Wirkstoffe: Das in einer Cyanobakterien-Gattung (Nostoc) entdeckte Protein Cyanovirin-N hemmt die Aktivität der Reversen Transkriptase des HI-Virus (AIDS), eines für dieses Virus essenziellen Enzyms. Dadurch inaktiviert die Substanz einige HI-Virusstämme und blockiert die Übertragung von Zelle zu Zelle.
Bio-Kunststoffe: Biogen ist nicht gleich biologisch abbaubar
Zu unterscheiden ist zwischen biobasierten Kunststoffen, die eine biogene Herkunft haben, und biologisch abbaubaren Kunststoffen. Auch wenn es auf dem ersten Blick paradox scheint: Biogene Kunststoffe sind nicht zwangsläufig auch biologisch abbaubar.
Zu den Kunststoffen aus nachwachsenden Rohstoffen zählen beispielsweise CA (Celluloseacetat), PEF (Polyethylenfuranoat) oder PLA (Polylaktid). Davon ist aber nur PLA biologisch abbaubar, wofür allerdings bestimmte Umweltbedingungen notwendig sind. So lässt sich PLA nur in einer industriellen Kompostieranlage bei 58 °C innerhalb von zwei Monaten abbauen. In Meerwasser wird PLA fast gar nicht abgebaut. Zwischenzeitlich kann es hier zur Schädigung von Meereslebewesen kommen: In einer Studie von 2018 wurde in Miesmuscheln eine Stoffwechselveränderung nach Aufnahme von PLA-Mikropartikeln nachgewiesen.
Grundsätzlich können aber auch einige Kunststoffe aus konventioneller Herstellung, die auf fossilen Rohstoffen basiert, biologisch abbaubar sein. Hierzu zählen PCL (Polycaprolacton), PBAT (Polybutylenadipat-terephthalat) oder PBS (Polybutylensuccinat). Notwendig sind allerdings auch hier die richtigen Abbaubedingungen, die oft nur in Industrieanlagen erreicht werden. Eine koreanische Studie aus dem Jahr 2016 zeigte beispielsweise, dass ein Fischernetz einer Mischung aus 82 Prozent PBS und 18 Prozent PBAT nach zwei Jahren lediglich erste, oberflächliche Zersetzung aufwies.


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