Gentechnik-Kennzeichnung: Das große Durcheinander

(28.05.2015) Die Gentechnik-Kennzeichnung bleibt wie sie ist. Das hat die Bundesregierung in ihrem aktuellen agrarpolitischen Bericht festgestellt. In der EU gebe es weder in der Kommission noch bei der Mehrheit der Mitgliedstaaten politische Unterstützung für eine Ausweitung der Kennzeichnungspflicht. Gerade in Deutschland wird sie immer wieder gefordert - inzwischen nicht nur von Gegnern, sondern auch von Befürwortern der Grünen Gentechnik. Doch die Begründungen sind widersprüchlich.

Christiane Nüsslein-Volhard

Prof. Christiane Nüsslein-Volhard, Nobelpreisträgerin, gehört zu den Erstunterzeichnern der Petition für eine umfassende Kennzeichnungspflicht. Damit solle „echte Wahlfreiheit“ ermöglicht werden.

Foto: Rama; CC BY-SA2.0 fr

Label ohne Gentechnik

Ohne Gentechnik: Auch bei einigen Lebensmitteln mit diesem Label sind derzeit bestimmte Anwendungen der Gentechnik erlaubt. Gäbe es eine umfassende Kennzeichnung, wäre eine „ohne Gentechnik“-Deklaration in vielen Fällen wohl nicht mehr möglich.

Infografik: BMEL

„Wir treten für eine EU-Kennzeichnungspflicht für Produkte von Tieren, die mit genveränderten Pflanzen gefüttert wurden, ein“ - so hatten es CDU/CSU und SPD zu Beginn ihrer Großen Koalition in Berlin vereinbart. Doch realistische Chancen, das in der EU tatsächlich durchzusetzen, gab es nie. Kaum ein Mitgliedstaat und auch nicht die Kommission wollte sich den deutschen Wünschen anschließen.

Denn die Ausweitung der Kennzeichnungspflicht auf Futtermittel würde sowohl bei den Unternehmen als auch bei den staatlichen Stellen einen immensen Überwachungsaufwand mit sich bringen - nur um die Konsumenten über den Einsatz der Gentechnik bei Futterpflanzen zu informieren, der auf die stoffliche Beschaffenheit der betroffenen Lebensmittel - Milch, Eier, Fleisch - keinen messbaren Einfluss hat.

Jetzt zog die Bundesregierung selbst den Schlussstrich: „Die Pflichtkennzeichnung von gentechnisch veränderten Bestandteilen in Lebens- und Futtermitteln ist auf EU-Ebene abschließend geregelt.“

Das sei „Betrug“, polterte der Grüne Bundestagsabgeordnete Harald Ebner und verwies auf eine Unterschriftenaktion des Münchener Umweltinstituts und Foodwatch, in der eine „Kennzeichnungspflicht für Produkte aus genmanipulierten Futtermitteln“ gefordert wird und die bereits von mehr als 144.000 Menschen unterzeichnet worden ist.

Im Kern haben sie nicht Unrecht. Denn die in der EU seit 2003 geltende Kennzeichnung soll grundsätzlich über die Verwendung von gentechnisch veränderten Organismen (GVO) bei der Herstellung von Lebensmitteln informieren. Diese Kennzeichnungspflicht gilt unabhängig davon, ob der verwendete GVO im Endprodukt nachweisbar ist oder nicht: Etwa bei raffiniertem Öl oder Lecithin, wo es keine stofflichen Unterschiede gibt, ob sie aus gentechnisch veränderten oder herkömmlichen Sojabohnen gewonnen wurden.

Auch wenn es oft anders aufgefasst wird: Die EU-Kennzeichnung ist kein Warnhinweis, sie liefert dem Konsumenten Hinweise über die Anwendung einer gesellschaftlich umstrittenen Technologie. Allerdings: In der Praxis hat dieses Prinzip große Lücken. Ausgenommen von der Kennzeichnung am Endprodukt sind neben Futtermitteln aus gv-Pflanzen auch Zusatzstoffe, Vitamine oder Enzyme, die mit gv-Mikroorganismen hergestellt sind, sowie „zufällige technisch unvermeidbare“ Beimischungen zugelassener GVO unterhalb des Schwellenwerts von 0,9 Prozent.

Eine lückenlose Kennzeichnung würde nicht nur aufwändige, sich über die gesamte Warenkette erstreckende Rückverfolgbarkeitssysteme erfordern. Sie würde auch dazu führen, dass etwa 60 bis 70 Prozent aller Lebensmittel gekennzeichnet werden müsste.

Genau darauf zielt eine Petition an den Bundestag, die von Gentechnik-Befürwortern um das Forum Grüne Vernunft und einigen Wissenschaftlern eingereicht wurde und die derzeit unterzeichnet werden kann. Sie fordert, „dass alle Lebens-, Arznei-, Futter-, Reinigungs- und Waschmittel, Textilien und anderen Produkten, bei deren Herstellung und Weiterverarbeitung gentechnologische Verfahren eingesetzt wurden, auf der Verpackung zu kennzeichnen sind.“ Doch die Zahl der Mitunterzeichner ist bisher überschaubar. Eine ausnahmslose, pauschale Kennzeichnung von allem, „was mit der Gentechnik in Berührung gekommen ist“, wird offenbar von vielen nicht als Transparenzgewinn empfunden, sondern verstärkt das ohnehin verhandene Gefühl, einer wenig akzeptierten Technologie hilflos ausgeliefert zu sein.

Dass die Gentechnik-Gegner sich dieser Petition der Befürworter nicht anschließen, verwundert nicht. Eine umfassende Kennzeichnung würde auch den „ohne Gentechnik“ deklarierten Produkten die Geschäftsgrundlage entziehen, bei denen derzeit vor allem bei Fleisch, Milch und Eiern bestimmte Anwendungen der Gentechnik erlaubt sind.

Man müsse unterscheiden etwa zwischen einem Stück Tofu aus Gentechnik-Soja und der Milch einer Kuh, die ein mit gentechnisch veränderten Bakterien hergestelltes Vitaminpräparat erhalten hat, begründet der Verband Lebensmittel ohne Gentechnik(VLOG) seine Ablehnung der Petition des Forums Grüne Vernunft. Doch genau so wenig, wie die gentechnische Herstellung das Vitamin stofflich verändert, ist es bei gv-Futterpflanzen: Auf die Lebensmittel selbst hat es nicht den geringsten Einfluss. Konsequent wäre es dann, alle Produkte, bei denen die verwendeten GVO nicht nachweisbar sind, von den Kennzeichnungspflicht auszunehmen.

Die Debatte wird zwar immer verworrener und widersprüchlicher - doch die Gentechnik-Kennzeichnung wird wohl auf Jahre hinaus so bleiben wie sie ist.