Palmöl Ecover

Synthetische Biologie: Eine bessere Welt durch „extreme Gentechnik“?

Himmel und Hölle zugleich – und das bei einem Ökoprodukt. Hier: „Wenn wir in unseren Produkten anstelle von Palmöl Öl aus Algen verwenden, muss weniger Regenwald abgeholzt werden. So schützen wir den Lebensraum für den Orang Utan und andere bedrohte Tierarten.“ Dort: „Extreme Gentechnik, deren Risiken nicht abzusehen sind. Es ist eine Täuschung der Verbraucher, wenn diese Produkte als natürlich und nachhaltig beworben werden.“ Rettung der Welt oder Untergang, da gibt es keine Zwischentöne. Aber es griffe zu kurz, das als schrillen ideologischen Streit zwischen verbohrten Hardlinern irgendwo in einer Öko-Nische abzutun. Da zieht ein Grundsatzkonflikt herauf, der uns vermutlich in Zukunft noch öfter beschäftigen wird.

Die belgische Firma Ecover ist ein Öko-Pionier. Vor 35 Jahren hat sie als erste phosphatfreie Waschmittel herausgebracht. Heute ist sie nach eigenen Angaben das weltweit größte Unternehmen für ökologische Wasch-, Putz- und Reinigungsmittel. Ecover-Produkte gibt es von Australien bis Singapur in mehr als 40 Ländern. In Deutschland werden sie vor allem über Bioläden und den Naturkosthandel vertrieben. Und ausgerechnet dieses durch und durch „grüne“ Unternehmen schwenkt jetzt um: Es hat angekündigt, zunächst bei seinen Flüssig-Waschmitteln auf das „natürliche“ Palmöl zu verzichten und gegen ein besonderes, biotechnologisches Algenöl auszutauschen.

Dieses Öl bezieht Ecover aus einer Anlage in Brasilien, die gerade mit einer Jahreskapazität von 100.000 Tonnen pro Jahr in Betrieb gegangen ist. Dort produzieren einzellige Algen aus Zuckerrohr Öl, dessen Zusammensetzung ähnlich und genau so hochwertig ist wie Palmöl. In die Mikroalgen hat Solazyme, ein innovatives Biotechnologie-Unternehmen aus Kalifornien, einen neuen Stoffwechselweg „eingebaut“, so dass die Algen nun Zuckerrohr, aber auch Miscanthus und andere nicht als Lebensmittel genutzte Pflanzen, sogar Reststoffe aus der Forst- und Landwirtschaft zu hochwertigen Ölen umwandeln können. Ecover plant bereits eine eigene Algen-Produktionsanlage in Belgien.

Ecover
Palmöl Ecover

Infografik von Ecover: Algenöl – die Alternative zu Palmöl (Inzwischen hat Ecover die Infografik von seiner englischsprachigen Website entfernt. Dafür gib es einen erklärenden Text zu Palmöl-Alternative aus Algen.)

Das so hergestellte Öl könnte das weltweit begehrte Palmöl ersetzen, das heute in unzähligen Kosmetik- und Reinigungsprodukten, aber auch in vielen Lebensmitteln enthalten ist. In jedem zweiten Supermarkt-Produkt stecken Zutaten und Inhaltsstoffe aus Palmöl. Die Nachfrage nimmt weltweit zu. Mit einem Anteil von einem Drittel am Gesamtverbrauch ist Palmöl das weltweit wichtigste Pflanzenöl. Allein der Waschmittelhersteller Henkel benötigt davon 400.000 Tonnen im Jahr.

Allerdings hat Palmöl schon lange seine ökologische Unschuld verloren. Überall in den Tropen werden in großem Stil Regenwälder gerodet und in Palmölplantagen umgewandelt. Seit 1990 haben sich die Flächen für Ölpalmen verdoppelt, in Malaysia sogar verzehnfacht. „Während Du das hier liest, wird Regenwald abgeholzt mit einer Fläche so groß wie 282 Tennisplätze“, wirbt Ecover für seine Abkehr vom Palmöl. „Mit der Rodung von Regenwäldern werden auch viele Tierarten aussterben. In 5 bis 10 Jahren ist der Orang-Utan ausgerottet“, sagt Ecover und kann sich hier von WWF über Nabu und Greenpeace der Unterstützung vieler Naturschutz- und Entwicklungshilfegruppen sicher sein.

Doch es gibt nicht nur Beifall. Im Gegenteil: In einem offenen, von Anti-Gentechnik-Gruppen aus mehreren Ländern unterzeichneten Brief setzt die kanadische ETC-Group Ecover bzw. seinen US-amerikanischen Ableger Method massiv unter Druck. Ausgerechnet Ecover bringe grüne Markenprodukte mit Inhaltsstoffen auf den Markt, bei deren Produktion „künstlich geschaffene“ Organismen eingesetzt werden. Für die ETC Group sind solche Mikroalgen „extreme Gentechnik“. Es gebe keine unabhängigen Untersuchungen zur gesundheitlichen Sicherheit oder einer möglichen Allergenität der Algenöle. Und wenn die synthetischen Algen erst in die Umwelt entweichen, seien Mensch und Umwelt in Gefahr.

In der Tat: Die Mikroalgen, die in der Anlage von Solazyme stecken, sind Produkte der Synthetischen Biologie. Während bei der klassischen Gentechnik meist einzelne Gene isoliert und auf andere Organismen übertragen werden, versucht die Synthetische Biologie komplexe biologische Prozesse zu entwerfen und in Zellen oder biologische Systeme einzubauen. Um etwa einen bestimmten „natürlichen“ Stoff herzustellen, wird ein entsprechender Stoffwechselweg kopiert und in einfache, wissenschaftlich gut erforschte Mikroorganismen eingeführt, etwa Hefen, Mikroalgen oder Bakterien. Damit sie ihre Aufgabe erfüllen, sind sie zwingend auf ein geschlossenes technisches System angewiesen. Außerhalb der Anlagen sind sie – auch wenn die ETC-Group es anders darstellt – nicht lebensfähig.

Ganz so simpel ist es zwar nicht, aber im Kern kann so ein bestimmter Syntheseweg – etwa der zu Palmöl – von seiner „natürlichen“ Herkunft – in diesem Fall die allein in tropischen Regionen kultivierbare Palme – entkoppelt werden. Die Produktion mit synthetischen Mikroorganismen verbraucht weniger Flächen und Ressourcen. Damit schwächt sich der Nutzungsdruck auf Regenwälder und andere für die Biodiversität wichtige Lebensräume ab. Eine wachsende Nachfrage nach solchen Naturprodukten müsste nicht mehr zwangsläufig zu einer immer weiter durchrationalisierten landwirtschaftlichen Produktion mit Monokulturen und Plantagen führen – allenfalls zu einem Ausbau der Produktionskapazitäten.

Palmöl ist nicht das erste Produkt, dessen Produktion mit Hilfe der Synthetischen Biologie aus seinem natürlichen Organismus in eine optimierte technische Anlage verlagert wurde. So hat sich Evolva, ein Schweizer Unternehmen, auf Hefen spezialisiert, um damit hochwertige „natürliche“ pflanzliche Stoffe zu gewinnen: sündhaft teures Safran – ursprünglich aus den Blütenstempeln einer Krokus-Art, Vanille aus einer Orchidee, den natürlichen Süßstoff Stevia aus der Stevia-Pflanze, Resveratrol, das (angebliche) Wundermittel aus der Weintraube, oder Pomecins, eine antimikrobielle Substanz aus Granatäpfeln. Gerade hat Evolva in Malaysia mit dortigen Partnern den Aufbau eines Kompetenzzentrums mit „Fokus auf Biosynthese hochwertiger einheimischer Naturprodukte“ vereinbart.

Andere Unternehmen wie Gingko Bioworks oder Amyris – bekannt durch das Vorzeigeprodukt der Synthetischen Biologie, dem Anti-Malaria-Mittel Artemisinin – arbeiten an biotechnischen Plattformen für spezielle Öle und Schmierstoffe, Kosmetik, Duft- und Aromastoffe. Solazym gewinnt inzwischen Biodiesel und Flugbenzin mit seinen Mikroalgen.

Auch bei Ecover hatte es interne Diskussion gegeben, ob die überwiegend grünen Kunden den Schwenk zu Algenöl mitmachen würden. „Wir sind jedoch zu dem Schluss gekommen, dass die Umweltvorteile ganz klar höher zu gewichten sind als negative Reaktionen der Konsumenten“, sagte Tom Domen, Ecover-Manager für Innovationen gegenüber der New York Times. Doch inzwischen, aufgeschreckt durch die heftige Kritik und die Sorge, das Negativ-Image der „extremen Gentechnik“ so schnell nicht mehr los zu werden, rudert Ecover zurück. Die Erklärung des Vorstandes – einschließlich eines Videos mit Ecover-Chef Philip Malmberg – sind von der Webseite des Unternehmens verschwunden. Auf der englischsprachigen Seite werden stattdessen die Kunden zu kritischen Fragen und Diskussionen eingeladen. Man sei noch in einer frühen Phase der Entscheidung. Wenn Algenöl breiter bei Ecover-Produkten eingesetzt wird, werde es klar gekennzeichnet, heißt es auf der englischen Website.

Die Synthetische Biologie wirft eine Reihe wichtiger Fragen auf. Spätestens jetzt, wo sie auf dem Sprung vom Labor in die Produkte des Alltags ist, lohnt es sich, darüber zu debattieren. Aber sie gleich als „extreme Gentechnik“ zu brandmarken und die fruchtlosen, ritualisierten Debatten um die Gentechnik einfach weiterzuführen – das würde der Synthetischen Biologie und ihren Potenzialen nicht gerecht.

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