
Fleisch aus Zellkultur: Ohne Tiere, aber mit viel High-Biotech
„Echtes“ Fleisch, kultiviert im Labor, ohne dafür Tiere halten und schlachten zu müssen: Vor wenigen Jahren war das noch eine ferne Utopie. Inzwischen wetteifern Unternehmen und potente Investoren, in diesem Zukunftsmarkt die Nase vorn zu haben. In Singapur ist Hühnchenfleisch aus Zellkultur bereits zu kaufen, in den USA erhielt im November 2022 das erste Produkt eine amtliche Zulassung. Inzwischen ist man bei den Kulturmedien nicht mehr auf das Serum ungeborener Kälber angewiesen. Die sind nicht nur extrem teuer, sondern auch mit den hohen ethischen Ansprüchen unvereinbar. Der Schlüssel zu tierfreien Alternativen sind moderne, leistungsfähige Bio- und Labortechnologien.

Mark Post, Professor an der Universität Maastricht und Gründer von Mosa Meat präsentiert den ersten Hamburger aus Fleisch, das in Zellkulturen „vermehrt“ worden war.

So lecker und appetitlich wie vom Tier: Zielgruppe für Zellkulturfleisch sind nicht Vegetarier wie bei Fleischimitaten auf Pflanzenbasis, sondern überzeugte Fleischesser.
Fotos: Mosa Meat; großes Foto oben: iStock
Der erste Rindfleisch-Burger, der „im Labor“ aus sich vermehrenden Muskelzellen herangewachsen war, kostete noch 300.000 Dollar. Mark Post, Physiologie-Professor an der Universität Maastricht, hatte über Jahre daran gearbeitet.
Als er ihn 2013 öffentlich verkostete, wollte Post auf großer Bühne zeigen, dass sich „echtes“, schmackhaftes Fleisch in Zellkulturen erzeugen lässt, ohne dafür Tiere halten und schlachten zu müssen. Etwa zehn Jahre werde es dauern, bis eine Massenproduktion möglich sei, meinte Post damals. Inzwischen rückt dieses Ziel näher. Und längst ist Post mit seinem Unternehmen Mosa Meat nicht mehr allein.
Nach einem Bericht in Nature waren es 2021 bereits 50 Unternehmen, die Fleisch und Fisch im Labor produzieren wollen, dazu kommen 30 weitere als Zulieferer. Good Food Institute, ein Think Tank der jungen Branche, listet 107 Unternehmen auf, die daran arbeiten, verschiedene, ursprünglich tierische Produkte - Fleisch, Fisch, Milch, Eier - auf Basis der „zellulären Landwirtschaft“ herzustellen.
Es herrscht Goldgräberstimmung. Große internationale Konzerne aus der Fleisch- und Lebensmittelbranche beteiligen sich mit viel Geld an Startups und Pionierunternehmen. Bekannte Kapitalgeber wie Bill Gates, Sergey Brin, Mitbegründer von Google, der britische Milliardär Richard Bronson (Virgin) oder grüne Prominenz wie Leonardo DiCaprio feuern den Hype um das tierfreie Zellkultur-Fleisch weiter an. Allein 2021 flossen 1,9 Milliarden Dollar Risikokapital in die Branche.
Gleich ob Rind, Lamm, Huhn oder Fisch - um In vitro-Fleisch zu erzeugen, gehen alle ähnlich vor: Mittels Biopsie werden aus dem Muskelgewebe von Tieren bestimmte Zellen entnommen, die sich in der Kultur immer wieder teilen und vermehren. Dabei differenzieren sich die Zellen und es entsteht ein Muskelgewebe mit einer faserigen Textur, ganz ähnlich wie im natürlichen Tier. Inzwischen lässt sich auch das für gutes Fleisch so wichtige Fettgewebe im Labor erzeugen, doch die richtige produkttypische Mischung aus Muskelfleisch und Fett ist noch immer schwierig.
Deswegen präsentieren die Zellkultur-Pioniere in ihren Versuchsküchen bislang vor allem Burger-Patties, Nuggets oder Hackfleisch. Viel anspruchsvoller ist es, ganze Fleischstücke so „wachsen“ zu lassen, dass sie nach Form, Textur und Aussehen dem echten Vorbild entsprechen. Ein Steak aus dem Labor ist so schnell noch nicht in Sicht.
Die große Herausforderung: Zellwachstum ohne Rinderserum
Damit sich die Fleischzellen in der Kultur immer wieder teilen und dabei zu verschiedenen Zelltypen ausdifferenzieren, sind geeignete Kulturmedien erforderlich: Nährstoffe, Fette, spezielle Proteine, Hormone, Signalmoleküle und vor allem Wachstumsfaktoren - ein hochkomplexes Gemisch. Lange Zeit war man dafür auf Rinderserum (FBS) angewiesen, das aus dem Blut ungeborener Kälber gewonnen wird. Ein „wunderbarer Saft, mit dem wir fast alles machen können“, schwärmt ein Entwickler, doch er ist nicht nur extrem teuer, sondern mit den eigenen hohen moralischen Ansprüchen kaum vereinbar.
Etwa 400 bis 800 Euro kostet ein Liter Serum, bis zu 50 Liter wurden anfangs für einen Beef Burger benötigt. 55 bis 95 Prozent der Kosten für Zellkulturfleisch entfallen auf die Nährmedien, schätzt das Merck Innovation Center. Billigere und tier-freie Alternativen zum FBS-Serum sind nicht nur der Schlüssel für eine Massenproduktion, sondern auch für eine breite öffentliche Akzeptanz.
Die Zellfleisch-Startups, aber auch erfahrene Biotech-Unternehmen arbeiten mit Hochdruck an tierfreien Kulturmedien. Sie alle wollen in einem künftigen Wachstumsmarkt die Nase vorn haben. Welche Technologien sie dabei einsetzen und wie weit sie sind, verraten sie in der Regel nicht. Doch inzwischen scheint einigen der Durchbruch gelungen.
So hat man hat inzwischen in Pflanzen oder Algen Wachstumsfaktoren und Proteine entdeckt, welche die Teilung der kultivierten Muskelzellen anregen. Meist sind die natürlichen Konzentrationen dieser Substanzen jedoch extrem gering. Der Weg, „um solche Stoffe in großen Mengen und zu bezahlbaren Kosten herzustellen, ist die Biotechnologie“, so Post. Mit den Konzepten der Synthetischen Biologie können Stoffwechselwege in Mikroorganismen „eingebaut“ werden, damit sie die benötigten Stoffe ohne Mengenbegrenzung produzieren.
ORF Genetics, ein junges isländisches Biotech-Unternehmen, will die begehrten Wachstumsfaktoren aus Pflanzen gewinnen und dafür seine Erfahrungen nutzen, die es bei der Produktion von ähnlichen Wirkstoffen für Kosmetika und Anti-Aging-Produkte gewonnen hat – hergestellt in gentechnisch veränderter Gerste (Molecular Farming), die in großen abgeschlossenen Gewächshäusern angebaut wird. Inzwischen bietet das Unternehmen eine ganze Palette „tierähnlicher“ Wachstumsfaktoren für die Kulturfleisch-Branche an (Markenname Mesokine).
Einen Schritt weiter scheint Mosa Meat zu sein. Schon 2019 hatte das Unternehmen erklärt, es könne „vollständig auf fötales Rinderserum und andere tierische Komponenten verzichten“ und zugleich die Kosten für Zellkultur-Fleisch um das 80-fache senken – ohne jedoch genauer darzulegen, wie es dieses für die Zukunft der Branche so wichtige Ziel erreicht wurde. Inzwischen hat Mosa Meat sein patentiertes Verfahren in einem wissenschaftlichen Artikel in Natur Food vorgestellt (Januar 2022).
Ein Forscherteam des Unternehmens hatte sich auf molekularer Ebene den Prozess näher angeschaut, in dem die Ausgangszellen zu verschiedenen Muskelzellen differenzieren. „Wir haben uns besonders für Proteine auf der Oberfläche von Zellen interessiert, die während der Differenzierung zunehmen“, so Tobias Messmer, Erstautor und Doktorand. Diese Proteine – auch als „Rezeptoren“ bezeichnet – werden nun durch genau für diesen Zweck designte Stoffe aktiviert. Dadurch „sind wir in der Lage, den gleichen Übergang in Abwesenheit von FBS-Rinderserum nachzubilden.“
Der Erfolg von Mosa Meat zeigt auch, was heute mit modernen, hochentwickelten Labor- und Analyseverfahren – unterstützt durch künstliche Intelligenz bei der Auswertung riesiger Datenmengen – möglich ist: Wenn man auf molekularer Ebene ermittelt hat, was Zellen in einer bestimmten Phase für Wachstum und Differenzierung benötigen, können Hunderte von Komponenten systematisch darauf untersucht werden, ob sie diese Anforderungen erfüllen. Auf Basis dieser Daten lässt sich dann ein optimales Medium „entwerfen“, das - biotechnologisch hergestellt - den gleichen Zweck erfüllt wie bisher die Rinderseren.
Zulassung, Kosten, Umweltbilanzen - der lange Weg zum Markterfolg
Doch bis Fleisch aus Zellkultur tatsächlich einen nennenswerten Teil des aktuellen Fleischverbrauchs ersetzt, ist es noch ein langer Weg. Kommerziell erhältlich ist bisher nur ein Laborfleisch-Produkt: Seit dem Frühjahr 2021 werden in einem exklusiven Club in Singapur Chicken Nuggets serviert, die allerdings nur zu drei Vierteln aus Zellkultur stammen, der Rest besteht aus pflanzlichen Ersatzstoffen. Inzwischen gibt es ein In vitro-Hühnchen-Curry schon für vier US-Dollar. Zwei Jahre haben sich die Behörden in Singapur mit dem alternativen Hühnchenfleisch beschäftigt, bevor sie eine offizielle Zulassung erteilten.
Mehrere Länder – Kanada, Australien, Israel und auch die Europäische Union – haben vor Jahren besondere gesetzliche Vorschriften für „neuartige Lebensmittel“ (Novel Food) eingeführt, unter die auch die neuen „tierfreien“ Fleischprodukte aus Zellkultur fallen. So dürfen in Europa solche Produkte nur dann auf den Markt, wenn die Hersteller deren Sicherheit und Verträglichkeit nach wissenschaftlichen Standards nachweisen können. Zudem dürfen die Verbraucher nicht getäuscht werden. Schon jetzt wird darum gestritten, ob Laborfleisch an der Ladentheke als „Fleisch“ deklariert werden darf. Dennoch: Das Good Food Institute erwartet, dass „schon bald“ erste Zulassungs-Dossiers bei der EU-Kommission eingereicht werden.
Auch die zuständigen Behörden in den USA beschäftigen sich mit der Zulassung von Zellkultur-Fleisch. Inzwischen sind Verfahren und Zuständigkeiten rechtlich geregelt. Im November 2022 wurde erstmals Zellkultur-Fleisch zugelassen: Hühnchen von Upside Foods. Die Lebensmittelbehörde FDA erklärte in einem Schreiben an das Unternehmen, alle Fragen zur Sicherheit seien geklärt und der Verzehr unbedenklich.
Ob die Euphorie um das tierfreie Laborfleisch anhält, ist noch lägst nicht ausgemacht. Inzwischen beschäftigen sich erste Studien mit Stoffströmen und Energiebilanzen. Auch wenn vieles nur vorläufig ist: Einiges deutet darauf hin, dass In vitro-Fleisch zwar weniger Flächen benötigt und eine bessere CO2-Bilanz hat als konventionelles Fleisch, jedoch deutlich mehr Energie benötigt. Derzeit, so eine erste Bilanz der finnischen Agrarwissenschaftlerin Hanna Tuomisto in Nature Food (2022) sind die Unsicherheiten in Bezug auf Umweltauswirkungen und Nachhaltigkeitspotenziale groß.
Doch Mosa Meat, das Unternehmen des Kulturfleisch-Pioniers Mark Post, expandiert weiter. Im niederländischen Maastricht, gegenüber der bestehenden Pilotanlage, wird gerade eine neues, größeres Entwicklungszentrum errichtet, in dem „Produktionslinien in Industriegröße“ untergebracht werden sollen. Das, so Mosa Meat-Chef Marten Bosch „macht uns zum weltweit größten Campus für kultiviertes Fleisch und bietet eine solide Grundlage für unsere europäischen und globalen Vermarktungspläne.“
Diskussion / Kommentare

Themen
Noch unbezahlbar. Mark Post präsentiert den ersten Hamburger aus Zellkultur-Fleisch. (London, August 2013)
Leckeres in-vitro Fleisch. Wie hier Memphis Meets (inzwischen. Upside Foods) seine Fried Chicken zeigen alle Hersteller, wie sich ihre Produkte zubereiten lassen und wie wunderbar sie schmecken. Hühnchenfleisch von Upside Foods erhielt im November 2022 als erstes Zellkulturprodukt eine Zulassung in den USA.
Im Web
- Nature Food, October 2022; Focus on cellular agriculture
- Emily Waltz, Club-goers take first bites of lab-made chicken; Nature 10 March 2021
- Merck, Innovation Center; Future Food Tech: Discussion Cell Culture Media for Cultured Meat
- The clean meat industry is racing to ditch its reliance on foetal blood; Matt Reynolds, Wired 20.03.2018
- Mosa Meet
- Mosa Meat Blog; Cultivation beef without FBS; 13.01.2022
- T. Messmer et al, A serum-free media formulation for cultured meat production supports bovine satellite cell differentiation in the absence of serum starvation; Nature Food, 13. Jan 2022
- Upside Foods (früher: Memphis Meats)
- ORF Genetics, Animal-like growth factors for the cell cultured meat market (Mesokine)
- EU-Commission: Novel Food
- Good Food Institute (GFI), Reimagination protein
- USDA and FDA Announce a Formal Agreement to Regulate Cell-Cultured Food Products from Cell Lines of Livestock and Poultry; 07 March 2021
- FDA Spurs Innovation for Human Food from Animal Cell Culture Technology; FDA 16 Nov 2022
- Kultivieren statt Schlachten? Margareta Hellmann, Progressive Agrarwende 15.10.2020