Fleisch aus Zellkultur

Ohne Tiere, aber mit viel High-Biotech: Fleisch aus Zellkultur wird bald Realität

„Echtes“ Fleisch, kultiviert im Labor, ohne dafür Tiere halten und schlachten zu müssen: Vor wenigen Jahren war das noch eine ferne Utopie. Inzwischen wetteifern zahlreiche Unternehmen und potente Investoren, in diesem Zukunftsmarkt die Nase vorn zu haben. In Singapur ist Hühnchenfleisch aus Zellkultur bereits zu kaufen, in den USA erhielten zwei Produkte eine amtliche Zulassung. Auch die wohl entscheidende Hürde scheint überwunden: Bei den Kulturmedien gibt es „tierfreie“ Alternativen zu den bisher notwendigen Kälberseren. Der Schlüssel sind moderne, leistungsfähige Bio- und Labortechnologien.

Mark Post

Mark Post, Professor an der Universität Maastricht und Gründer von Mosa Meat präsentiert den ersten Hamburger aus Fleisch, das in Zellkulturen „vermehrt“ worden war.

Hamburger aus Zellkultur Fleisch

So lecker und appetitlich wie vom Tier: Zielgruppe für Zellkulturfleisch sind nicht Vegetarier wie bei Fleischimitaten auf Pflanzenbasis, sondern überzeugte Fleischesser.

Fotos: Mosa Meat; großes Foto oben: iStock

Der erste Rindfleisch-Burger, der „im Labor“ aus sich vermehrenden Muskelzellen herangewachsen war, kostete noch 250.000 Euro. Mark Post, Physiologie-Professor an der Universität Maastricht, hatte über Jahre daran gearbeitet.

Als er ihn 2013 öffentlich verkostete, wollte Post auf großer Bühne zeigen, dass sich „echtes“, schmackhaftes Fleisch in Zellkulturen erzeugen lässt, ohne dafür Tiere halten und schlachten zu müssen. Etwa zehn Jahre werde es dauern, bis eine Massenproduktion möglich sei, meinte Post damals. Nun rückt dieses Ziel näher. Und längst ist Post mit seinem Unternehmen Mosa Meat nicht mehr allein.

Nach einem Bericht in Nature waren es 2021 bereits 50 Unternehmen, die Fleisch und Fisch im Labor produzieren wollen, dazu kommen 30 weitere als Zulieferer. Good Food Institute, der Think Tank der jungen Branche, listet 107 Unternehmen auf, die daran arbeiten, verschiedene, ursprünglich tierische Produkte - Fleisch, Fisch, Milch, Eier - auf Basis der „zellulären Landwirtschaft“ herzustellen.

Es herrscht Goldgräberstimmung. Große internationale Konzerne aus der Fleisch- und Lebensmittelbranche beteiligen sich mit viel Geld an Startups und Pionierunternehmen. Bekannte Kapitalgeber wie Bill Gates, Sergey Brin, Mitbegründer von Google, der britische Milliardär Richard Bronson (Virgin) oder grüne Prominenz wie Leonardo DiCaprio feuern den Hype um das tierfreie Zellkultur-Fleisch weiter an. Allein 2021 flossen 1,9 Milliarden Dollar Risikokapital. Inzwischen sind es nicht mehr kleine Pionier-Unternehmen, welche die Entwicklung vorantreiben, sondern auch etablierte Player aus der Fleisch- oder Pharmabranche.

Gleich ob Rind, Lamm, Huhn oder Fisch - um In vitro-Fleisch zu erzeugen, gehen alle ähnlich vor: Mittels Biopsie werden aus dem Muskelgewebe von Tieren bestimmte Zellen entnommen, die sich in der Kultur immer wieder teilen und vermehren. Dabei differenzieren sich die Zellen und es entsteht ein Muskelgewebe mit einer faserigen Textur, ganz ähnlich wie im natürlichen Tier. Inzwischen lässt sich auch das für gutes Fleisch so wichtige Fettgewebe im Labor erzeugen, doch die richtige produkttypische Mischung aus Muskelfleisch und Fett ist noch immer schwierig.

Deswegen präsentieren die Zellkultur-Pioniere in ihren Versuchsküchen bislang vor allem Burger-Patties, Nuggets oder Hackfleisch. Viel anspruchsvoller ist es, ganze Fleischstücke so „wachsen“ zu lassen, dass sie nach Form, Textur und Aussehen dem echten Vorbild entsprechen. Auch wenn mit 3D-Biodruckern inzwischen vieles möglich ist - ein bezahlbares Rindersteak aus dem Labor ist so schnell noch nicht in Sicht.

Die große Herausforderung: Zellwachstum ohne Rinderserum

Damit sich die Fleischzellen in der Kultur immer wieder teilen und dabei zu verschiedenen Zelltypen ausdifferenzieren, sind geeignete Kulturmedien erforderlich: Nährstoffe, Fette, spezielle Proteine, Hormone, Signalmoleküle und vor allem Wachstumsfaktoren - ein hochkomplexes Gemisch. Lange Zeit war man dafür auf Rinderserum (FBS) angewiesen, das aus dem Blut ungeborener Kälber gewonnen wird. Ein „wunderbarer Saft, mit dem wir fast alles machen können“, schwärmt ein Entwickler, doch er ist nicht nur extrem teuer, sondern mit den eigenen hohen moralischen Ansprüchen kaum vereinbar.

Etwa 400 bis 800 Euro kostet ein Liter Serum, bis zu 50 Liter wurden anfangs für einen Beef Burger benötigt. 55 bis 95 Prozent der Kosten für Zellkulturfleisch entfallen auf die Nährmedien, schätzt das Merck Innovation Center. Billigere und tier-freie Alternativen zum FBS-Serum sind nicht nur der Schlüssel für eine Massenproduktion, sondern auch für eine breite öffentliche Akzeptanz.

Die Zellfleisch-Startups, aber auch erfahrene Biotech-Unternehmen arbeiten mit Hochdruck an tierfreien Kulturmedien. Sie alle wollen in einem künftigen Wachstumsmarkt die Nase vorn haben. Welche Technologien sie dabei einsetzen und wie weit sie sind, verraten sie in der Regel nicht. Doch inzwischen scheint einigen der Durchbruch gelungen.

So hat man hat inzwischen in Pflanzen oder Algen Wachstumsfaktoren und Proteine entdeckt, welche die Teilung der kultivierten Muskelzellen anregen. Meist sind die natürlichen Konzentrationen dieser Substanzen jedoch extrem gering. Der Weg, „um solche Stoffe in großen Mengen und zu bezahlbaren Kosten herzustellen, ist die Biotechnologie“, so Post. Mit den Konzepten der Synthetischen Biologie können Stoffwechselwege in Mikroorganismen „eingebaut“ werden, damit sie die benötigten Stoffe ohne Mengenbegrenzung produzieren.

ORF Genetics, ein junges isländisches Biotech-Unternehmen, will die begehrten Wachstumsfaktoren aus Pflanzen gewinnen und dafür Erfahrungen nutzen, die es bei der Produktion von ähnlichen Wirkstoffen für Kosmetika und Anti-Aging-Produkte gewonnen hat – hergestellt in gentechnisch veränderter Gerste (Molecular Farming), die in großen abgeschlossenen Gewächshäusern angebaut wird. Inzwischen bietet das Unternehmen eine ganze Palette „tierähnlicher“ Wachstumsfaktoren für die Kulturfleisch-Branche an (Markenname Mesokine).

Einen Schritt weiter scheint Mosa Meat zu sein. Schon 2019 hatte das Unternehmen erklärt, es könne „vollständig auf fötales Rinderserum und andere tierische Komponenten verzichten“ und zugleich die Kosten für Zellkultur-Fleisch um das 80-fache senken – ohne jedoch genauer darzulegen, wie es dieses für die Zukunft der Branche so wichtige Ziel erreicht wurde. Inzwischen hat Mosa Meat sein patentiertes Verfahren in einem wissenschaftlichen Artikel in Natur Food vorgestellt (Januar 2022).

Ein Forscherteam des Unternehmens hatte sich auf molekularer Ebene den Prozess näher angeschaut, in dem die Ausgangszellen zu verschiedenen Muskelzellen differenzieren. „Wir haben uns besonders für Proteine auf der Oberfläche von Zellen interessiert, die während der Differenzierung zunehmen“, so Tobias Messmer, Erstautor und Doktorand. Diese Proteine – auch als „Rezeptoren“ bezeichnet – werden nun durch genau für diesen Zweck designte Stoffe aktiviert. Dadurch „sind wir in der Lage, den gleichen Übergang in Abwesenheit von FBS-Rinderserum nachzubilden.“

Der Erfolg von Mosa Meat zeigt auch, was heute mit modernen, hochentwickelten Labor- und Analyseverfahren – unterstützt durch künstliche Intelligenz bei der Auswertung riesiger Datenmengen – möglich ist: Wenn man auf molekularer Ebene ermittelt hat, was Zellen in einer bestimmten Phase für Wachstum und Differenzierung benötigen, können Hunderte von Komponenten systematisch darauf untersucht werden, ob sie diese Anforderungen erfüllen. Auf Basis dieser Daten lässt sich dann ein optimales Medium „entwerfen“, das - biotechnologisch hergestellt - den gleichen Zweck erfüllt wie bisher die Rinderseren.

Zulassung, Kosten, Umweltbilanzen - der lange Weg zum Markterfolg

Doch bis Fleisch aus Zellkultur tatsächlich einen nennenswerten Teil des aktuellen Fleischkonsums ersetzt, ist es noch ein langer Weg. Das erste, zunächst nur in einem ausgewählten Restaurant erhältliche Produkt waren Chicken Nuggets und andere geformte Hühnchenstücke. Nach zweijähriger Prüfung waren sie 2019 in Singapur zugelassen worden. Im März 2023 erhielt GOOD Meat dafür auch in den USA grünes Licht. Alle Fragen zu Sicherheit seien geklärt und der Verzehr unbedenklich, teilte die Lebensmittelbehörde FDA in einem Schreiben an das Unternehmen mit, ganz ähnlich wie zuvor schon bei In vitro-Hühnchen-Fleisch des Konkurrenten Upside Foods.

GOOD Meat Pilotanlage

Bioreaktor für Hühnchenfleisch: Pilotanlage von GOOD Meat

Hühnchen aus Zellkultur

Hühnchen: Wohl bald das erste Zellkultur-Produkt aus dem Markt

Fotos: GOOD Meat

Schon bald will GOOD Meat mit der Produktion beginnen. Ein 6000-Liter-Bioreaktor in Singapur stehe kurz vor der Fertigstellung, ein weiterer mit einer Kapazität von 3000 Litern soll in Kalifornien noch 2023 in Betrieb gehen, so das Unternehmen.

Doch perfekt sind diese Hühnchenstücke noch nicht: Nur zu drei Vierteln bestehen sie aus einer „tierfreien“ Zellpaste, ergänzt mit pflanzlichen Füllstoffen. Zudem ist GOOD Meat derzeit noch auf FBS-Serum aus Rindern angewiesen, kündigte jedoch an, schon bald serum-freie Nährmedien einzusetzen.

Mehrere Länder – Kanada, Australien, Israel und auch die Europäische Union – haben vor Jahren besondere gesetzliche Vorschriften für „neuartige Lebensmittel“ (Novel Food) eingeführt, unter die auch die neuen „tierfreien“ Fleischprodukte aus Zellkultur fallen. So dürfen in Europa solche Produkte nur dann auf den Markt, wenn die Hersteller deren Sicherheit und Verträglichkeit nach wissenschaftlichen Standards nachweisen können. Zudem dürfen die Verbraucher nicht getäuscht werden. Schon jetzt wird darum gestritten, ob Laborfleisch an der Ladentheke als „Fleisch“ deklariert werden darf. Dennoch: Das Good Food Institute erwartet, dass „schon bald“ erste Zulassungs-Dossiers bei der EU-Kommission eingereicht werden.

Ob die Euphorie um das tierfreie Laborfleisch anhält, ist noch lägst nicht ausgemacht. Inzwischen beschäftigen sich erste Studien mit Stoffströmen und Energiebilanzen. Auch wenn vieles nur vorläufig ist: Einiges deutet darauf hin, dass In vitro-Fleisch zwar viel weniger Flächen beansprucht und eine bessere CO2-Bilanz hat als konventionelles Fleisch, jedoch deutlich mehr Energie benötigt. Derzeit, so eine erste Bilanz der finnischen Agrarwissenschaftlerin Hanna Tuomisto in Nature Food (2022) sind viele Fragen zu Umweltauswirkungen und Nachhaltigkeitspotenzialen bisher allenfalls oberflächlich untersucht.

Doch Mosa Meat, das Unternehmen des Kulturfleisch-Pioniers Mark Post, expandiert weiter. Im niederländischen Maastricht, gegenüber der bestehenden Pilotanlage, wird gerade eine neues, größeres Entwicklungszentrum errichtet, in dem „Produktionslinien in Industriegröße“ untergebracht werden sollen. Das, so Mosa Meat-Chef Marten Bosch „macht uns zum weltweit größten Campus für kultiviertes Fleisch und bietet eine solide Grundlage für unsere europäischen und globalen Vermarktungspläne.“

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