Stacheldraht

Grenzen dicht. Lebensmittelhandel will strikte Abschottung gegen Genome-Editing-Pflanzen

(18.07.2018) Die Spannung steigt: Am 25. Juli entscheidet der Europäische Gerichtshof (EuGH), wie die neuen Genome Editing-Verfahren (CRISPR/Cas & Co) reguliert werden sollen. Doch egal wie das Urteil ausfällt: Der Druck auf EU-Kommission und Politiker nimmt zu. Gerade haben die führenden Konzerne des Lebensmittelhandels gefordert, die neuen Verfahren und damit veränderte Pflanzen genauso zu behandeln wie die Gentechnik. Eine Chance in Europa hätten sie dann wohl nicht.

Robert Habeck

Robert Habeck, Bundesvorsitzender B90/Grüne) stellt das pauschale Nein seiner Partei zur Gentechnik in Frage. Die Gen-Schre CRISPR/Cas „bringt kein artfremdes Gen ein, sondern simuliert einen natürlichen Prozess im Schnellverfahren“. (FAZ, 18.07.2018).

Foto: Raimund Spekking, CC BY-SA 4.0.

Foodprint Unterschriften

Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD, links im Bild) sieht sich selbst auf Seiten der Gentechnik-Gegner: „Ich will keine Gentechnik durch die Hintertür!“ Hier bei der Übergabe der Unterschriftenliste der Aktion FOODprint mit Josef Wilhelm (Rapunzel) und Elke Röder (BNN).

Foto: BNN; großes Foto oben: welcomia / 123RF

Die großen Ketten des Lebensmitteleinzelhandels haben viel investiert, um ihre Eigenmarken - vor allem bei wenig verarbeiteten Milchprodukten, Eiern und zunehmend auch Geflügelfleisch - unter dem Label „ohne Gentechnik“ vermarkten zu können. Dazu haben sie Landwirte verpflichtet, auf gv-Sojabohnen im Futter ihrer Tiere zu verzichten. Das alles war „mit beträchtlichem logistischem und finanziellem Aufwand verbunden“. Genau das sehen sie nun gefährdet – nicht etwa durch ein knapper werdendes Angebot an nicht-GVO-Sojabohnen auf den 2Weltmärkten, sondern durch neue Züchtungsverfahren - weit entfernt von möglichen Anwendungen bei Futterpflanzen.

In einem offenen Brief an die EU-Kommission haben Edeka, Rewe, Lidl und weitere Unternehmen aus Deutschland und Österreich gefordert, dass die „neue Gentechnik“ genauso streng reguliert werden müsse wie die klassische Gentechnik. Gemeint sind die neuen Genome Editing-Verfahren wie CRISPR, TALEN & Co („Gen-Schere“). Im Kern wollen sie solche Pflanzen und daraus gewonnene Produkte vom Markt fernhalten und sie einem de-facto-Verbot unterwerfen – genau wie es bei der Gentechnik der Fall ist.

Es ist sicherlich kein Zufall, dass der Brief gerade jetzt erscheint – wenige Tage bevor der Europäische Gerichtshof (EuGH) seine lang erwartete Entscheidung über die rechtliche Einordnung der Genome Editing-Verfahren verkündet. Folgt der Gerichtshof dem bereits im März veröffentlichten Plädoyer seines Generalanwalt, wird einfaches Genome Editing, bei dem keine neuen, „artfremden“ Gen-Abschnitte eingeführt werden, künftig nicht der GVO-Regulierung unterworfen, sondern so eingestuft wie es wissenschaftlich angemessen ist: als Mutation.

Letztlich basiert Genome Editing auf den gleichen Vorgängen wie jede natürliche Mutation – nur weniger zufällig und damit kontrollierter. Immer wenn der unendliche Faden des Erbguts - der DNA-Strang - an irgendeiner Stelle durchtrennt wurde, treten die natürlichen Reparaturwerkzeuge der Zelle in Aktion und flicken den Bruch wieder zusammen. Dabei schleichen sich kleine Fehler ein – Abweichungen von der ursprünglichen Reihenfolge der DNA-Bausteine. Was immer auch den Bruch ausgelöst hat – der danach folgende Vorgang ist im Kern immer der gleiche. Das ist bei zufälligen, in der Natur millionenfach stattfindenden Mutationen genauso wie bei der Mutationszüchtung oder beim Genome Editing, wo mit molekularbiologischen Werkzeugen eine Mutation an einer bestimmten, vorher definierten Stelle im Genom herbeigeführt wird und so einzelne DNA-Bausteine umgeschrieben werden können.

Genau deswegen sehen die allermeisten Wissenschaftler einfaches Genome Editing als kontrollierte Mutation, nicht als Gentechnik. Denn anders als bei ihr werden keine Gene oder Genkonstrukte dauerhaft ins Erbgut eingeführt. Daher sind die Nachkommen editierter Pflanzen „transgen-frei“.

Dennoch: Für die Handelsketten und die meisten Gentechnik-kritischen Organisationen spielt das alles keine Rolle. Für sie sind die Verfahren ausnahmslos „Neue Gentechnik“, die den gleichen Regeln und Auflagen unterworfen werden sollen wie sie seit 25 Jahren für die klassische Gentechnik gelten. Das bedeutet: Lange, politisierte Zulassungsverfahren, Kennzeichnungspflichten, Anbauverbote und vor allem keine Akzeptanz bei den Verbrauchern. „In Europa wären solche Produkte damit unverkäuflich“, freut sich etwa das Münchener Umweltinstitut.

Die Grenzen, welche die „ohne Gentechnik“-Unternehmen und viele NGOs zwischen „verbotener“ Gentechnik und „guten“ Züchtungsverfahren ziehen, sind willkürlich. Auch bei der Mutationszüchtung werden durch Strahlung oder Chemikalien unzählige genetische Veränderungen – Mutationen – herbeigeführt. Doch solche Pflanzen sind in den aktuellen Gentechnik-Gesetzen von jeder besonderen Regulierung ausgenommen. Auch im Biosektor sind seit Jahren zahlreiche, aus Mutagenese hervorgegangene Sorten – etwa Durum-Weizen für Nudeln – selbstverständlich. Bei der Atomenergiebehörde (IAEA) in Wien sind über 3000 Sorten aus Mutationszüchtung registriert.

Pflanzen, die ihre Eigenschaften durch Strahlung ausgelösten Mutationen verdanken, sind in Bio- und „ohne Gentechnik“-Produkten präsent, ohne dass es außer Fachleuten jemand kümmert. Auch Hybridzüchtung, diverse Zellkulturtechniken oder markergestützte Selektion (Smart Breeding) werden den „natürlichen“ Verfahren zugerechnet. Niemand interessiert es, in welchen Lebensmitteln solche Pflanzen verwendet werden. Und niemand warnt vor „Gentechnik durch die Hintertür“ oder fordert „Wahlfreiheit“, damit Konsumenten mit ihren Kaufentscheidungen auch über solche Züchtungsverfahren abstimmen können. Doch sollten Lebensmittel aus genom-editierten Pflanzen als „gentechnisch verändert“ gekennzeichnet werden müssen, würde kein Unternehmen solche Produkte auf den Markt bringen.

Setzen sich Öko-Branche und Lebensmittelhandel mit ihren Forderungen durch, hätten die neuen Verfahren zumindest in Deutschland und Europa wohl kaum eine Zukunft. Vieles, was mit Genome Editing weitaus besser erreichbar ist als mit herkömmlicher Züchtung, käme nie aus den geschlossenen Gewächshäusern heraus, etwa krankheitsresistente Kartoffeln oder Weizen, die nur wenig chemische Pflanzenschutzmittel benötigen, oder Nutzpflanzen, die Hitze und Trockenheit besser vertragen als es aktuell zu beobachten ist.

Einige große Agrarländer, etwa USA, Kanada, Argentinien, Brasilien oder Chile haben längst einen anderen Weg eingeschlagen: Dort werden editierte Pflanzen fallweise überprüft. Wenn keine größeren Gen-Abschnitte neu eingeführt wurden, dürfen sie ohne weitere Auflagen auf die Felder.

Am Produkt selbst lässt es sich in der Regel nicht nachweisen, ob Genome Editing angewandt wurde. Sollte sich Europa dennoch dazu entschließen, solche Pflanzen – anders als im Erzeugerland – den Auflagen des Gentechnik-Recht zu unterwerfen – dann bliebe wohl kaum anderes übrig, als die Grenzen dicht zu machen.

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