Doudna, Charpentier

Nobelpreis 2020. Was man zur Gen-Schere CRISPR/Cas wissen sollte

CRISPR/Cas9 - dieses merkwürdige Kürzel steht für ein neues Verfahren, um DNA-Bausteine im Erbgut zu verändern, so einfach und präzise wie es bis vor kurzem unvorstellbar war. Obwohl es aus Bakterien stammt, funktioniert diese „Gen-Schere“ in nahezu allen lebenden Zellen und Organismen: Sie verspricht neue Möglichkeiten gegen Aids, Krebs und eine Reihe von Erbkrankheiten – aber auch bei der Züchtung von Pflanzen und Tieren. Emmanuelle Charpentier und Jennifer Doudna, zwei Molekularbiologinnen, erhielten dafür den Chemie-Nobelpreis 2020. Doch auch über zehn Jahre nach ihrer ersten Veröffentlichung: Europa tut sich noch immer schwer damit, die Chancen zu nutzen. Andere Länder sind längst weiter.

CRISPR/Cas9 (eine Erläuterung des komplizierten Namens gibt es hier) ist eine neue, molekularbiologische Methode, um DNA gezielt zu schneiden und anschließend zu verändern. Auf diese Weise können einzelne Gene – genauer: DNA-Bausteine – umgeschrieben oder „editiert“ werden. Solche Verfahren, zu denen etwa auch Zinkfinger-Nukleasen oder TALEN gerechnet werden, bezeichnet man daher zusammenfassend als Genome Editing (oder Gene Editing), inzwischen auch „Gen-Schere“ oder „Gen-Chrirurgie“.

Doudna, Charpentier

Jennifer Doudna und Emmanuelle Charpentier, die beiden „Erfinderinnen“ des CRISPR/Cas-Verfahrens, sind inzwischen gefeierte, mit Preisen überhäufte Popstars der Wissenschaft. 2020 erhielten die den Nobelpreis für Chemie. (Foto: Verleihung des Breakthrough Prize for Life Sciences 2015).

Feng Zhang

Feng Zhang vom Broad Institut in Boston hat CRISPR/Cas zum ersten Mal bei Maus- und menschlichen Zellen angewandt. Nach einem langen Streit haben US-Gerichte auch ihm eigene Patentrechte zuerkannt.

Fotos: Breakthrough Prize; MIT. Oben: Nobel Media / Niklas Elmehed

CRISPR/Cas

Gezielte Mutation in drei Schritten. Das CRISPR/Cas-System besteht aus einer molekularen „Sonde“ (Guide RNA), die im Genom genau die zu verändernde Zielstelle findet, und einer „Schere“ (Cas9-Protein), welche den DNA-Doppelstrang dort durchtrennt. Anschließend wird er durch zelleigene Reparaturmechanismen wieder zusammengefügt: Im Regelfall gehen dabei einzelne DNA-Bausteine verloren oder sie werden fehlerhaft „geflickt“ (unten rechts). Die Folge: Das betreffende Gen kann nicht mehr richtig abgelesen werden und wird so blockiert. Möglich ist auch, bei der Reparatur des Bruchs einzelne DNA-Bausteine nach einer Vorlage auszutauschen oder sogar neue Gen-Sequenz einzufügen wird. (links).

Eigentlich stammt das CRISPR/Cas-System aus Bakterien. Es dient ihnen als eine Art Immunsystem, mit dem sie „feindliche“ Viren anhand zuvor gespeicherter DNA-Fragmente erkennen und abwehren können. Erst nach einigen zufälligen Entdeckungen und jahrelanger Grundlagenforschung gelang wuchs allmählich das Verständnis, wie dieser komplexe Mechanismus funktioniert und was er bewirkt. 2012 hatten zwei Wissenschaftlerinnen – die späteren Nobelpreis-Trägerinnen Jennifer Doudna und Emmanuelle Charpentier – die geniale Idee, den CRISPR-Mechanismus als molekularbiologisches Werkzeug zu nutzen. Überraschenderweise funktioniert es nicht nur bei Bakterien, sondern universal bei allen lebenden Zellen – in menschlichen, aber auch in denen von Tieren und Pflanzen.

Im Kern laufen CRISPR und andere Genome Editing-Verfahren in drei Schritten ab (siehe Kasten links): Zunächst muss im riesigen Genom – das oft aus Milliarden Basenpaaren besteht – genau die Stelle gefunden und angesteuert werden, bei der einzelne DNA-Bausteine verändert werden sollen. Dazu konstruiert man eine molekulare „Sonde“. Beim CRISPR-Verfahren besteht sie aus einem kurzen RNA-Strang (auch Guide RNA genannt), der genau der DNA-Sequenz am Zielort entspricht. Wenn die Sonde diese „gefunden“ hat, dockt sie dort an, um den DNA-Doppelstrang exakt an dieser Stelle mit einer molekularen „Schere“ zu durchschneiden – bei CRISPR ist es das Cas9-Protein, das an die RNA-Sonde gekoppelt ist.

Anschließend treten die zelleigenen Reparatursysteme in Aktion: Sie flicken den durchtrennten DNA-Strang wieder zusammen, allerdings meist mit kleinen Fehlern. Die Folge: Das betreffende Gen kann nicht mehr richtig abgelesen werden, das entsprechende Genprodukt - ein bestimmtes Protein wird nicht mehr gebildet. Möglich ist auch, nach dem Schnitt im Zuge der Reparatur einzelne DNA-Bausteine auszutauschen oder auch kurze Sequenzen neu in den DNA-Strang einzubauen.

Der grundlegende Mechanismus – das Herbeiführen eines Doppelstrangbruchs und seine anschließende Reparatur – ist derselbe wie bei jeder zufälligen natürlichen Mutation. Auch die Mutationszüchtung nutzt solche Vorgänge. Nur sind es Bestrahlung oder Chemikalien, die solche Brüche auslösen, unkontrolliert und in großer Zahl. Der entscheidende Unterschied: Beim Genome Editing geschieht es präzise nur an einer einzigen vorbestimmten Stelle im Genom – genau an der, die für zu verändernde Eigenschaft verantwortlich ist.

Gibt es bei CRISPR und den anderen Genome Editing-Verfahren ähnliche Risiken wie bei der Gentechnik?

Genome Editing – vor allem CRISPR – verringert die Schwierigkeiten, die aus den Zufälligkeiten der Züchtung erwachsen. Das bedeutet Zeit- und Kostenersparnis, aber auch mehr Sicherheit und Kontrolle durch mehr Präzision. Jede Züchtung verändert Gene, aber nur bei den neuen Genome Editing-Verfahren sind diese Veränderungen im Einzelnen bekannt – damit unterscheiden die sich grundlegend von der herkömmlichen Züchtung, aber auch von der Gentechnik.

Bei der klassischen Gentechnik ist es vom Zufall abhängig, an welcher Stelle im Genom einer Pflanze das neue, zusätzliche Gen integriert wird. Zudem sind noch weitere Elemente, etwa Start- und Stoppsignale oder Regulatoren (Genkonstrukt) notwendig, die mit dem Gen übertragen werden müssen. Daraus leiten Kritiker ein grundsätzliches Risiko der Gentechnik ab: Der ungezielte Einbau des „fremden“ Gens an irgendeiner Stelle im Genom kann Gen-Funktionen beeinträchtigen und möglicherweise so die Eigenschaften einer Pflanze nachteilig verändern.

Solche „unbeabsichtigten Nebenwirkungen“ sind ein wesentlicher Grund dafür, dass für gentechnisch veränderte (gv-) Pflanzen in fast allen Ländern der Welt Zulassungsverfahren vorgeschrieben sind. Die Hersteller müssen die Sicherheit ihrer Produkte nachweisen, bevor sie auf den Markt kommen. Bisher hat dieses seit 30 Jahren praktizierte Konzept gut funktioniert. Die Zulassungsverfahren für gv-Pflanzen sind jedoch so zeit- und kostenintensiv, dass nur noch große internationale Konzerne dazu in der Lage sind.

Ein solches „Risiko“ zufälliger oder unbeabsichtigter Veränderungen gibt es bei editierten Pflanzen kaum. Zwar ist es durchaus möglich, dass das CRISPR/Cas-System den DNA-Strang ungewollt an einer falschen Stelle schneidet. Doch solche off Target-Effekte sind eigentlich nichts anderes als eine weitere Mutation, wie sie bei jeder natürlicher Vermehrung und Fortpflanzung in großer Zahl stattfindet. Selbst zwei Pflanzen derselben Sorte, wie sie scheinbar gleichförmig auf einem Feld stehen, unterscheiden sich durch jeweils andere Mutationen. Bei Weizen mit seinem großen Genom sind es von einer Pflanze zur anderen etwa 100 Mutationen, beim Reis nur drei. Bei der Mutationszüchtung (Mutagenese), seit Jahrzehnten praktiziert und selbst im Öko-Landbau akzeptiert, wird die Mutationsrate um das 1000fache erhöht. Das ergibt etwa 100.000 zusätzliche Mutationen bei Weizen, 4000 bei Reis - alle zufällig und im einzelnen unbekannt.

Dennoch will man off-Target-Effekte – unbeabsichtigte Mutationen – bei CRISPR-Anwendungen möglichst vermeiden. Inzwischen wurden die molekularen Werkzeuge – CRISPR-Sonden und vor allem weitere Varianten der Cas-Proteinscheren (etwa Cpf1) – weiterentwickelt und ihre Zielgenauigkeit noch einmal deutlich verbessert. Und: Je länger eine RNA-Sonde (Guide RNA) angelegt ist, mit der die jeweilige Zielregion im Genom aufgespürt wird, um so unwahrscheinlicher ist es, dass genau diese Sequenz zufällig noch einmal im Genom vorhanden ist. Nur wenn die Sonden-RNA mit Abschnitten im Genom genau übereinstimmt, kann es dort zu Fehlschnitten kommen.

„Keine Gentechnik durch die Hintertür“ – Ist diese Kampagne gegen das Genome Editing gerechtfertigt?

Organisationen und Aktionsgruppen, die von Anfang an die klassische Gentechnik bei Pflanzen abgelehnt haben, wollen auch die neuen Verfahren blockieren. „Gentechnik strikt regulieren“, fordern sie und werfen damit alte Gentechnik und neue Gen-Schere in den gleichen Topf – obwohl sich beide fundamental voneinander unterscheiden. Die seit vielen Jahren unverändert wiederholten Pauschal-Einwände gegen Gentechnik werden einfach auf CRISPR-Pflanzen übertragen. Mit ihnen seien „große Risiken für Mensch, Tier und Umwelt verbunden“. Das Vorsorgeprinzip gebiete es, „Maßnahmen zum Schutz von Umwelt und menschlicher Gesundheit zu ergreifen“.

Vererbungsschema Mendel

Ausmendeln. Unter den Nachkommen von zwei Pflanzen mit gentechnisch eingefügten CRISPR-Werkzeugen (rot) sind nach den Mendelschen Erbregeln ein Viertel „transgen-frei“ (unten rechts). Mit diesen wird weitergearbeitet.
Grafik: pigurdesign/ www.transgen.de

Zwar werden die für das Editieren erforderlichen CRISPR-Werkzeuge – Guide-RNA und Cas-Schneideproteine – bisher meist mit gentechnischen Verfahren in eine Zelle eingeführt. Wenn sie jedoch ihren Zweck erfüllt und die beabsichtigte Mutation ausgelöst haben, werden die CRISPR-Werkzeuge nicht mehr benötigt und in der Zelle abgebaut.

Das zuvor eingeführte Genkonstrukt mit der „Bauanleitung“ für die CRISPR-Werkzeuge unterliegt den Vererbungsgesetzen: Nach der Vermehrung ist es in einem Viertel der Nachkommen nicht mehr vorhanden. Um diese Pflanzen geht es: Erfolgreich editiert, aber ohne eingeführte Fremdgene. Sie sind überprüfbar „transgen-frei“. Nur mit diesen wird weitergearbeitet, etwa um damit eine neue Sorte zu züchten. Im Saatgut ist dann nur das neue, editierte Merkmal vorhanden – zum Beispiel eine Resistenz gegen Pilzkrankheiten – und wird bei jeder Vermehrung weitergegeben. DNA-Spuren, die eindeutige Rückschlüsse auf das genutzte Verfahren zulassen, gibt es nicht. Daher ist ein Nachweis, ob das Merkmal aus herkömmlicher Züchtung stammt, oder mit der Gen-Schere hineineditiert wurde, nicht möglich. (Mehr dazu im transGEN-Video CRISPR bei Pflanzen: Zum Beispiel Weizen)

Zudem entwickelt sich die Technologie rasch weiter. Neue DNA-freie Verfahren schaffen es, die für ein neues Merkmal verantwortlichen DNA-Bausteine direkt zu editieren. Sie kommen ohne den Umweg aus, ein für die CRISPR-Operation erforderliches Genkonstrukt gentechnisch einführen zu müssen. Künftig könnten RNA-Sonde und Schneideprotein auch mit Nanopartikeln in die Pflanzenzelle transportiert werden.

CRISPR ist gezielte Mutation, keine „Neue Gentechnik“

In den einfachen Varianten führt Genome Editing zu Pflanzen mit punktuellen Veränderungen einzelner DNA-Bausteine - wie sie auch zufällig, ohne jeden technischen Eingriff unter natürlichen Bedingungen entstehen können. Am Ende ist in den editierten Produkten – etwa Saatgut – kein fremdes, von außen eingeführtes Gen-Material vorhanden. Anders als gentechnisch veränderte Pflanzen sind sie „transgen-frei“.

Allerdings entschied der EuGH (Europäische Gerichtshof) am 25. Juli 2018, dass die neuen Genome Editing-Verfahren als Gentechnik anzusehen sind und den gleichen Zulassungs- und Kennzeichnungsvorschriften unterliegen wie gentechnisch veränderte Organismen (GVO). Grundlage des Urteils war eine rein juristische Interpretation des bestehenden EU-Gentechnikrechts. Doch das ist mehr als 30 Jahre alt und stammt aus einer Zeit, als sich niemand ein Verfahren wie Genome Editing vorstellen konnte.

Dennoch legen diese überholten Gesetze die Bedingungen fest, unter denen CRISPR&Co angewandt werden müssen. De facto wirken sie als Verbote: Die teuren, aufwändigen Zulassungsverfahren sind für Forschungsreinrichtungen oder kleine Unternehmen kaum zu erfüllen. Zudem müssten genom-editierte Pflanzen und Produkte als „gentechnisch verändert“ gekennzeichnet werden – was nicht nur wissenschaftlich falsch ist, sondern das Negativ-Image der Gentechnik auf die neuen Verfahren überträgt.

Andere Länder, etwa USA, Kanada, Argentinien, Brasilien, Australien, Japan oder Israel haben einen anderen Weg eingeschlagen. Einige gehen fallweise vor, andere geben einfache editierte Pflanzen ohne „fremdes“ DNA-Material generell frei. In den USA sind bereits zahlreiche editierte Pflanzen, die sich derzeit in der Entwicklung befinden, als „nicht-GVO“ klassifiziert worden, etwa Weizen, Sojabohnen, Kartoffeln, Mais oder Tomaten mit verschiedenen neuen Merkmalen. Weder bei Freilandversuchen, noch im Falle eines kommerziellen Anbaus gelten für diese Pflanzen dort besondere Regeln. Wie Agrarimporte aus solchen Ländern ohne Nachweismöglichkeiten „Genome Editing-frei“ gehalten werden sollen, ist völlig ungeklärt.

Seit dem EuGH-Urteil haben sich mittlerweile alle großen Wissenschaftsorganisationen für eine Überarbeitung der veralteten GVO-Definition ausgesprochen. Sie empfehlen, genom-edierte Pflanzen dann von den Gentechnik-Vorschriften auszunehmen, wenn keine artfremde genetische Information eingeführt wurde und die Veränderung sich auch natürlich-zufällig oder durch herkömmliche Züchtung hätte ergeben können.

Und auch in den EU-Institutionen wächst die Einsicht, dass ein Verzicht auf Genome Editing mit den ambitionierten Zielen einer nachhaltigen, klimaresilienten Landwirtschaft kaum zu vereinbaren ist. „Mit Pflanzen, die gegenüber Krankheiten, Umweltbedingungen und Auswirkungen des Klimawandels widerstandsfähiger sind, können die Neuen Züchtungstechniken zu nachhaltigen Lebensmittelsystemen beitragen,“ so das Fazit einer Studie der EU-Kommission. Es sei Zeit, die Gentechnik-Gesetze „an den wissenschaftlichen und technischen Fortschritt anpassen“ und so „Innovationen in der Landwirtschaft zu ermöglichen.“

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