Pflanze mit DNA vor EU-Flagge

Neue genomische Techniken: In der EU künftig nur noch wenige Auflagen für damit gezüchtete Pflanzen

Seit Sommer 2023 liegt der Vorschlag der EU-Kommission für eine Reform der Gentechnik-Gesetze auf dem Tisch. Kernpunkt sind Erleichterungen für Pflanzen, die mit neuen Verfahren wie der Gen-Schere CRISPR/Cas gezüchtet wurden. Es ist die vor allem aus der Wissenschaft geforderte Kehrtwende weg von den alten, überholten Gentechnik-Gesetzen. Für neue Pflanzen, in die kein artfremdes Genmaterial eingeführt wurde, soll es zwar eine Anmeldepflicht geben, sonst aber praktisch keine Sonderregeln mehr. Die neue Verordnung wird jedoch erst rechtskräftig, wenn auch EU-Parlament und eine qualifizierte Mehrheit der Mitgliedstaaten zugestimmt haben. Die Beratungen sind in vollem Gange.

Mehr als fünf Jahre ist es her, dass der Europäische Gerichtshofs (EuGH) entschied, auch für genom-editierte Pflanzen müssten die Auflagen der Gentechnik-Gesetze ohne Abstriche gelten – selbst dann, wenn diese auch zufällig „in der Natur“ oder durch traditionelle Züchtung hätten entstehen können. Spätestens da war eine Reform der veralteten Gentechnik-Gesetze überfällig geworden. Nach vielen, oft kontroversen Diskussionen und einem langwierigen Beratungsprozess hat die EU-Kommission einen Vorschlag für eine neue Verordnung erarbeitet und im Juli 2023 offiziell beschlossen..

Maroš Šefčovič

Maroš Šefčovič, Vize-Präsident der EU-Kommission, ist nach dem Ausscheiden von Frans Timmermans für die Umsetzung des Green Deal zuständig.

Danach werden die Auflagen für einfache editierte Pflanzen deutlich gelockert. Es wird künftig keine so aufwändigen, oft endlos langen Zulassungsverfahren mehr geben wie bei der Gentechnik, auch keine allgemeine Kennzeichnungspflicht. Freilandversuche – die für erste realistische Tests nach der Entwicklung im Labor und Gewächshaus so wichtig sind – werden einfacher. Und: Anders als bei herkömmlichen gentechnisch veränderten Pflanzen können einzelne EU-Mitgliedstaaten weder den Anbau dieser editierten Pflanzen bei sich verbieten noch Freilandversuche untersagen.

Die am weitesten gehenden Lockerungen gelten für NGT-Pflanzen (NGT, Neue genomische Techniken) der Kategorie 1. Das sind Pflanzen, die mit Hilfe von gezielter Mutagenese – etwa CRISPR/Cas oder TALEN – erzeugt wurden und die nur ausschließlich Genmaterial enthalten, das sich im züchterisch genutzten Genpool der jeweiligen Art befindet. Auch cisgene Pflanzen gehören damit künftig in diese Kategorie, etwa die in Wageningen (NL) entwickelten Kartoffeln, in die mehrere Resistenz-Gene aus Wildkartoffeln eingeführt wurden, die gegen die Kraut- und Knollenfäule wirksam sind und so dazu beitragen, dass 80 Prozent weniger Pflanzenschutzmittel gespritzt werden müssen.

Welche Kriterien mit neuen Verfahren gezüchtete Pflanzen erfüllen müssen, um als NGT1 zu gelten, wird in einem Annex zu den bestehenden Gentechnik-Gesetzen festgelegt (siehe Infobox unten). So dürfen gegenüber der Ausgangspflanze höchstens 20 Basenpaare modifiziert worden sein. Alle NGT1-Pflanzen könnten auch herkömmlich gezüchtet werden oder durch zufällige Mutation unter natürlichen Bedingungen entstanden sein.

Anders als bisher sollen NGT1-Pflanzen von den meisten für GVO geltenden Auflagen befreit bleiben, so sieht es der Vorschlag der EU-Kommission vor.

Freilandversuche mit NGT1-Pflanzen sind künftig nur noch bei der zuständigen nationalen Behörde anzumelden. Diese prüft, ob die NGT1-Kriterien bei der jeweiligen Pflanze tatsächlich zutreffen. Dann kann der Versuch ohne weitere Auflagen durchgeführt werden. Eine Veröffentlichung des jeweiligen Versuchs und seines Standorts ist nicht vorgeschrieben, die Kommission wird lediglich zusammenfassende Berichte herausgeben.

Neue molekulare Züchtungstechniken erlauben eine bisher nie dagewesene Präzision und Effizienz in der Verbesserung von Nutzpflanzen. Dieses Potenzial sollte zur Erreichung der Nachhaltigkeitsziele ausgeschöpft werden.

Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina, Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG)

Sollen NGT1-Pflanzen auf den Markt gebracht werden – als Saatgut für den Anbau oder als Lebens- und Futtermittel – muss zunächst bei der jeweils zuständigen nationalen Behörde ein „Überprüfungsersuchen“ eingereicht werden. Darin muss der Antragsteller durch Studien oder Pflanzenmaterial nachweisen, dass die Pflanze tatsächlich den NGT1-Kriterien entspricht. Ist das der Fall, führt die EU-Kommission auf der Basis der wissenschaftlichen Erstprüfung einen Beschluss über die EU-weite Zulassung als NGT1-Pflanze herbei – wie bisher unter Einbeziehung aller Mitgliedstaaten.

In einer öffentlich zugänglichen Datenbank werden alle Überprüfungsuntersuchungen mit den für die Bewertung wesentlichen Informationen und allen Beschlüssen zum NGT1-Status dokumentiert. Zudem werden alle anerkannten NGT1-Pflanzen in ein öffentliches Register eingetragen. Einzelne Mitgliedstaaten dürfen den Anbau und den Warenverkehr nicht einschränken oder gar verbieten.

Eine Kennzeichnungspflicht für Lebens- und Futtermittel aus NGT1-Pflanzen ist nicht vorgesehen. Jedoch muss Saatgut oder vermehrungsfähiges Material eindeutig als Kat.1 NGT deklariert werden. Anhand dieser Informationen können Landwirte entscheiden, ob sie solche Pflanzen anbauen wollen oder nicht. Im Biolandbau sollen NGT1-Pflanzen weiterhin nicht erlaubt sein, so haben es die Verbände der Öko-Branche durchgesetzt.

Für alle anderen mit neuen genomischen Techniken gezüchtete Pflanzen, die nicht den NGT1-Kriterien entsprechen, gelten in der Regel ähnliche Vorschriften wie für klassische gentechnisch veränderte Pflanzen – allerdings mit einigen Erleichterungen. Für solche als NGT2 bezeichneten Pflanzen kann das Zulassungsverfahren mit der Sicherheitsbewertung vereinfacht werden, wenn es keine „plausiblen Hinweise“ auf mögliche Risiken gibt. Zudem sollen die neuen Merkmale den Nachhaltigkeitszielen des European Green Deal entsprechen, etwa eine bessere Trockentoleranz, Resistenzen gegen Pflanzenkrankheiten und Schädlinge oder auch höhere Erträge. Für herbizidtolerante Pflanzen soll es keine vereinfachte Zulassung geben.

NGT2-Pflanzen und die daraus erzeugten Produkte unterliegen weiterhin der Kennzeichnungspflicht. Neu ist, dass dabei das geänderte oder neu hinzugefügte Merkmal genannt werden muss.

Bis die neue Verordnung „über mit bestimmten neuen genomischen Techniken gewonnene Pflanzen und die aus ihnen gewonnenen Lebens- und Futtermittel“ in Kraft tritt, kann es noch dauern. Nachdem die EU-Kommission sie formell beschlossen hat, muss sie noch durch EU-Parlament und Europäischen Rat. Geräuschlos und ohne große Debatten wird das wohl nicht über die Bühne gehen. Vor allem Bioverbände und die weitverzweigten Anti-Gentechnik-Netzwerke mobilisieren gegen die „Deregulierungspläne der EU-Kommission“. Sie geben sich kompromisslos und wollen weiterhin NGT1-Pflanzen ohne Abstriche als gentechnisch veränderte (GVO) ansehen und den gleichen strengen Auflagen bis hin zu einem defacto-Anbauverbot unterwerfen. Begründet wird das mit im Einzelnen nicht vorhersehbaren Risiken, die gleichermaßen mit alter und „neuer Gentechnik“ verbunden seien.

Doch wissenschaftliche Belege dafür gibt es nicht. „Zahlreiche in internationalen wissenschaftlichen Fachzeitschriften veröffentlichte Studien enthalten keinerlei Hinweise darauf, dass NGT-Pflanzen oder deren Produkte ein höheres Risiko für Mensch und Umwelt bergen als Pflanzensorten und deren Produkte, die durch natürliche Mutationen, klassische Kreuzungszüchtung oder die Mutagenesezüchtung erzeugt wurden“, so eine aktuelle Stellungnahme der Leopoldina, Nationale Akademie der Wissenschaften und der DFG (Deutsche Forschungsgemeinschaft), die noch einmal den aktuellen Stand der Wissenschaft zusammenfasst. „Einen wissenschaftlich begründeten Besorgnisanlass“ gebe es nicht. Es sei daher nicht gerechtfertigt, das Vorsorgeprinzip anzuwenden.

DFG und Leopoldina gehen noch einen Schritt weiter. Sie schlagen - anders als die EU-Kommission – vor, dass NGT1-Pflanzen nicht wie herkömmliche GVO unter das Anwendungsverbot der EU-Öko-Verordnung fallen. „Der Ökolandbau kann aufgrund des weitgehenden Verzichts auf chemischen Pflanzenschutz in ganz besonderer Weise von NGT1-Pflanzen profitieren. Da NGT1-Veränderungen nicht von spontanen Mutationen in der Natur und von Produkten konventioneller Züchtungstechniken zu unterscheiden sind, erübrigt sich aus wissenschaftlicher Sicht die Frage der Kennzeichnung oder Regelungen zu Abständen zwischen unterschiedlich bewirtschafteten Flächen.“

Auch die zuständige Berichterstatterin im Europäischen Parlament, die Schwedin Jessica Pölfjard (EVP) schlägt vor, NGT1-Pflanzen im Ökolandbau zuzulassen. Zudem sollen Verfahren, in denen der NGT-Status einer neuen Pflanze überprüft wird, vereinfacht werden. Auch im Europäischen Rat wird derzeit intensiv daran gearbeitet, eine unter den Mitgliedstaaten mehrheitsfähige Linie zu erarbeiten. Die Zeit drängt: Noch vor den Wahlen zum nächsten Europäischen Parlament Anfang Juni 2024 soll die neue Verordnung endgültig beschlossen sein.

Grafik oben: Bing Image Creator, Foto: EC Audiovisual Service

Kriterien für eine Äquivalenz von NGT-Pflanzen und konventionellen Pflanzen. (Annex 1 zum Regulierungsvorschlag der EU-Kommission)
Um von den meisten für GVO (gentechnisch veränderte Pflanzen) geltenden Auflagen befreit zu werden, sind folgende Veränderungen an NGT-Pflanzen erlaubt (vereinfacht):
- Einfügen oder verändern von höchstens 20 Nukleotiden (DNA-Bausteine)
- Entfernen oder ausschalten von beliebig vielen Nukleotiden
- Umdrehen einer DNA-Sequenz von beliebiger Länge
- Einfügen einer externen DNA-Sequenz, wenn diese im züchterisch nutzbaren Genpool einer Pflanzenart vorhanden ist
- Gezielte DNA-Modifikation unter der Voraussetzung, dass die daraus hervorgehende DNA-Sequenz im Genpool vorhanden ist


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