Frans Timmermans

Reform der Gentechnik-Gesetze: Nur noch wenige Auflagen für mit neuen Verfahren gezüchtete Pflanzen

Endlich liegt der Vorschlag der EU-Kommission für eine Reform der Gentechnik-Gesetze auf dem Tisch. Kernpunkt sind Erleichterungen für Pflanzen, die mit neuen Verfahren wie der Gen-Schere CRISPR/Cas gezüchtet wurden. Es ist die vor allem aus der Wissenschaft geforderte Kehrtwende weg von den alten, überholten Gentechnik-Gesetzen. Für neue Pflanzen, in die kein artfremdes Genmaterial eingeführt wurde, wird es praktisch keine Sonderregeln mehr geben. Das nun von der Kommission beschlossene Gesetz wird jedoch erst rechtskräftig, wenn auch EU-Parlament und eine qualifizierte Mehrheit der Mitgliedstaaten zugestimmt haben.

Fünf Jahre ist es her, dass der Europäische Gerichtshofs (EuGH) entschied, auch für genom-editierte Pflanzen müssten die Auflagen der Gentechnik-Gesetze ohne Abstriche gelten – selbst dann, wenn diese auch „in der Natur“ hätten entstehen können. Spätestens da war eine Reform der veralteten Gentechnik-Gesetze überfällig. Nach vielen Diskussionen und einem langwierigen Beratungsprozess hat die EU-Kommission ihren Vorschlag erarbeitet und am 5. Juli 2023 offiziell vorgestellt. Ein paar Tage zuvor hatte eine NGO-Plattform (ARC, Agricultural and Rural Convention) eine Entwurfsfassung geleakt und anschließend über Presseagenturen verbreitet.

Neue molekulare Züchtungstechniken erlauben eine bisher nie dagewesene Präzision und Effizienz in der Verbesserung von Nutzpflanzen. Dieses Potenzial sollte zur Erreichung der Nachhaltigkeitsziele ausgeschöpft werden..

Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina, Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG)

Eine Verbesserung der Genetik ist erforderlich, um Nutzpflanzen und Nutztiere zu züchten, die sowohl die Treibhausgasemissionen senken als auch eine höhere Trockenheits- und Hitzetoleranz besitzen.

IPCC (Weltklimarat), Climate Change and Land

Großes Foto oben: Frans Timmermans, Vizepräsident der EU-Kommission bei der Vorstellung des Kommissions-Vorschlags am 05. Juli 2023 in Brüssel

An der grundsätzlichen Ausrichtung hat sich jedoch nichts mehr geändert: Die Auflagen für einfache editierte Pflanzen werden deutlich gelockert. Es wird künftig keine so aufwändigen Zulassungsverfahren mehr geben wie bei der Gentechnik, auch keine allgemeine Kennzeichnungspflicht. Freilandversuche – die für erste realistische Tests nach der Entwicklung im Labor und Gewächshaus so wichtig sind – werden einfacher. Und: Anders als bei herkömmlichen gentechnisch veränderten Pflanzen können einzelne EU-Mitgliedstaaten weder den Anbau dieser editierten Pflanzen bei sich verbieten noch Freilandversuche untersagen.

Die am weitesten gehenden Lockerungen gelten für NGT-Pflanzen (NGT, New Genomic Techniques) der Kategorie 1. Das sind Pflanzen, die mit Hilfe von gezielter Mutagenese – etwa CRISPR/Cas oder TALEN – erzeugt wurden und die nur ausschließlich Genmaterial enthalten, das sich im züchterisch genutzten Genpool der jeweiligen Art befindet. Auch cisgene Pflanzen gehören damit künftig in diese Kategorie, etwa die in Wageningen (NL) entwickelten Kartoffeln, in die mehrere Resistenz-Gene aus Wildkartoffeln eingeführt wurden, die gegen die Kraut- und Knollenfäule wirksam sind und so dazu beitragen, dass 80 Prozent weniger Pflanzenschutzmittel gespritzt werden müssen.

Welche Kriterien mit neuen Verfahren gezüchtete Pflanzen erfüllen müssen, um als NGT1 zu gelten, wird in einem weiteren Annex zu den bestehenden Gentechnik-Gesetzen festgelegt. So dürfen gegenüber der Ausgangspflanze höchstens 20 Basenpaare modifiziert worden sein. Alle NGT1-Pflanzen könnten auch herkömmlich gezüchtet werden oder durch zufällige Mutation unter natürlichen Bedingungen entstanden sein.

Anders als bisher sind NGT1-Pflanzen von den für GVO geltenden Auflagen befreit, so sieht es der Vorschlag der EU-Kommission vor.

Freilandversuche mit NGT1-Pflanzen sind künftig nur noch bei der zuständigen nationalen Behörde anzumelden. Diese prüft, ob die NGT1-Kriterien bei der jeweiligen Pflanze tatsächlich zutreffen. Ist das der Fall, kann der Versuch ohne weitere Auflagen durchgeführt werden. Eine Veröffentlichung des jeweiligen Versuchs und seines Standorts ist nicht vorgeschrieben, die Kommission wird lediglich zusammenfassende Berichte herausgeben.

Sollen NGT1-Pflanzen auf den Markt gebracht werden – als Saatgut für den Anbau oder als Lebens- und Futtermittel – ist ebenfalls nur noch eine Anmeldung erforderlich. In die wissenschaftliche Überprüfung der Kriterien werden die EU-Kommission und alle Mitgliedstaaten einbezogen. Die Kommission muss spätestens nach 30 Tagen entscheiden.

Alle anerkannten – und somit zugelassenen – NGT1-Pflanzen werden in ein öffentlich zugängliches Register eingetragen. Einzelne Mitgliedstaaten dürfen den Anbau und den Warenverkehr nicht einschränken oder gar verbieten.

Eine Kennzeichnungspflicht für Lebens- und Futtermittel aus NGT1-Pflanzen ist nicht vorgesehen. Jedoch muss Saatgut oder vermehrungsfähiges Material eindeutig deklariert werden. Anhand dieser Informationen können Landwirte entscheiden, ob sie solche Pflanzen anbauen wollen oder nicht. Im Biolandbau sind NGT1-Pflanzen weiterhin nicht erlaubt, so haben es die Verbände der Branche durchgesetzt.

Für alle anderen mit neuen genomischen Verfahren gezüchtete Pflanzen, die nicht den NGT1-Kriterien entsprechen, gelten in der Regel ähnliche Vorschriften wie sie in den Gentechnik-Gesetzen festgelegt sind - allerdings mit einigen Erleichterungen. Für solche als NGT2 bezeichneten Pflanzen kann das Zulassungsverfahren mit der Sicherheitsbewertung vereinfacht werden, wenn es keine „plausiblen Hinweise“ auf mögliche Risiken gibt. Zudem sollen die neuen Merkmale den Nachhaltigkeitszielen des European Green Deal dienen, etwa eine bessere Trockentoleranz, Resistenzen gegen Pflanzenkrankheiten und Schädlinge oder auch höhere Erträge. Für herbizidtolerante Pflanzen soll es keine vereinfachte Zulassung geben.

NGT2-Pflanzen und die daraus erzeugten Produkte unterliegen weiterhin der Kennzeichnungspflicht. Neu ist, dass dabei das geänderte oder neu hinzugefügte Merkmal genannt werden muss.

Bis das neue „Gesetz für Pflanzen, die aus neuen genomischen Verfahren hervorgegangen sind“ in Kraft tritt, kann es noch dauern. Nachdem es die EU-Kommission nun formell beschlossen hat, muss es noch durch das EU-Parlament und den Ministerrat. Geräuschlos und ohne große Debatten wird das wohl nicht über die Bühne gehen.

Kriterien für eine Äquivalenz von NGT-Pflanzen und konventionellen Pflanzen. (Annex 1 zum Regulierungsvorschlag der EU-Kommission)
Um von den meisten für GVO (gentechnisch veränderte Pflanzen) geltenden Auflagen befreit zu werden, sind folgende Veränderungen an NGT-Pflanzen erlaubt (vereinfacht):
- Einfügen oder verändern von höchstens 20 Nukleotiden (DNA-Bausteine)
- Entfernen oder ausschalten von beliebig vielen Nukleotiden
- Umdrehen einer DNA-Sequenz von beliebiger Länge
- Einfügen einer externen DNA-Sequenz, wenn diese im züchterisch nutzbaren Genpool einer Pflanzenart vorhanden ist
- Gezielte DNA-Modifikation unter der Voraussetzung, dass die daraus hervorgehende DNA-Sequenz im Genpool vorhanden ist


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