Grüne Gentechnik: Alle wollen Verbote - aber mit welcher Begründung?

(15.05.2014) Im Grundsatz steht es fest: Die einzelnen EU-Mitgliedsstaaten werden bald selbst entscheiden können, ob sie den Anbau gentechnisch veränderter Pflanzen bei sich erlauben oder nicht. Inzwischen hat offenbar auch Bundeskanzlerin Angela Merkel ihre Vorbehalte aufgegeben, so dass sich die erforderlichen Mehrheiten für nationale Ausstiegsklauseln abzeichnen. Doch: Ein allgemeines EU-weites Gentechnik-Verbot wird es nicht geben. Ein Land, das den Anbau einer bestimmten gv-Pflanze bei sich untersagen will, muss dafür Begründungen vorbringen oder sich mit dem betreffenden Unternehmen verständigen. Das passt vielen nicht.

Christian Schmidt

Christian Schmidt (CSU), Landwirtschaftsminister: „Ich kämpfe für Anbauverbote für gentechnisch veränderte Pflanzen. Ich will den Bürgern sagen können: Was bei uns angebaut wird, ist gentechnikfrei.“ (Interview mit dem Bonner Generalanzeiger, 10.Mai 2014)

Foto: BMEL / Thomas Lother (CC BY-SA 3.0 DE)

Prinz zu Löwenstein

Felix Prinz zu Löwenstein, Vorstand im Bund Ökologische Lebensmittelwirtschaft (BÖLW):“Die Bundesregierung setzt der Brüsseler Mogelpackung nichts entgegen.“’

Foto: BÖLW

Noch im März war der Vorschlag, die einzelnen Länder über den Anbau von gv-Pflanzen entscheiden zu lassen, an einer Sperrminorität im EU-Ministerrat gescheitert. Damals hatte sich Deutschland enthalten, da sich die Bundesregierung auf keine gemeinsame Linie verständigen konnte.

Inzwischen hat sich die politische Lage geändert. Auch die CDU hat auf ihrem Europa-Parteitag ein „Selbstbestimmungsrecht der Mitgliedsstaaten beim Anbau von gv-Pflanzen“ beschlossen. Zuvor hatte sich der Bundesrat für nationale Verbote ausgesprochen. Offenbar hat auch Bundeskanzlerin Angela Merkel ihren Widerstand gegen die Ausstiegsklausel - und damit gegen eine Aufweichung des gemeinsamen Binnenmarkts - aufgegeben. Am 12. Juni, wenn erneut im EU-Ministerrat darüber abgestimmt wird, wird auch Umweltministerin Barbara Hendricks (SPD) die Seiten wechseln und damit die erforderliche qualifizierte Mehrheit sichern.

Dass die Ausstiegsklausel kommt, scheint sicher. Doch wie ein Land ein nationales Verbot einer EU-weit zugelassenen und damit als sicher bewerteten gv-Pflanze „gerichtsfest“ begründen und durchsetzen kann, ist immer noch umstritten.

Anfang Mai hat Griechenland - das derzeit die EU-Ratspräsidentschaft inne hat - einen neuen Vorschlag vorgelegt. Die EU-Freisetzungsrichtlinie 2001/18/EG, die in der EU maßgebende Rechtsvorschrift für den Anbau von gv-Pflanzen, soll um einen neuen Artikel (26b) erweitert werden. Er sieht ein zweistufiges Verfahren für Ausstiegsklauseln vor.

Wenn die wissenschaftliche Prüfung einer gv-Pflanze durch die EFSA ohne Sicherheitsbedenken abgeschlossen ist, muss ein Mitgliedsstaat innerhalb von dreißig Tagen bei der EU-Kommission anzeigen, ob er den Anbau verbieten will. Wird das von dem Unternehmen, das die betreffende Pflanze auf dem Markt bringen will, akzeptiert, spart die dann zu erteilende EU-Zulassung das betreffende Land aus.

Akzeptiert das Unternehmen einen Ausstiegswunsch nicht, kann das Land dennoch ein Verbot aussprechen, wenn es „begründet, verhältnismäßig und nicht-diskriminierend“ ist. Es kann sich dabei jedoch nicht auf Risiken für Mensch oder Umwelt berufen, da im Zulassungsverfahren „amtlich“ festgestellt wurde, dass die betreffende gv-Pflanze genau so sicher ist wie eine konventionelle. Als Gründe für nationale Verbote kommen etwa soziökonomische Auswirkungen, Schutz der „gentechnik-freien“ Produktion oder umwelt- bzw. landwirtschaftspolitische Ziele in Frage, die im Zulassungsverfahren nicht berücksichtigt worden sind. Ob solche Gründe bei Klagen Bestand haben und von den Gerichten höher bewertet werden als etwa die Wahlfreiheit der Landwirte, bleibt abzuwarten.

Doch: ein generelles EU-weites Verbot für gv-Pflanzen wird es jedenfalls nicht geben. Länder wie Spanien oder Großbritannien, die zugelassene gv-Pflanzen bei sich landwirtschaftlich nutzen wollen, werden das tun können. Die damit erzeugten Produkte - Futter- und Lebensmittel - sind weiterhin in allen EU-Ländern verkehrsfähig. Möglich, dass sich mit der Ausstiegsklausel die seit Jahren anhaltende politische Blockade bei Zulassungsentscheidungen lockert und demnächst mehr gv-Pflanzen für den Anbau zugelassen werden.

Viele gentechnik-kritische Akteure lehnen deshalb den aktuellen Vorschlag ab. Von einer „Brüsseler Mogelpackung“ spricht der Bund Ökologische Lebensmittelwirtschaft (BÖLW), die dazu führe, dass es in Zukunft in Europa mehr Gentechnik-Anbau geben werde. Die Grünen fordern ein „striktes Gentechnikverbot“ und sammeln Unterschriften für ein generelles „Nein zur Gentechnik“. Für Elvira Dobrinski-Weiß, verbraucherpolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion, ist es „unverzichtbar“, dass ein Ausstieg „jederzeit ohne Angaben von neuen objektiven (!) Gründen“ möglich sein müsse. Die Bundesregierung solle sich für ein EU-weites Verbot einsetzen, fordert auch der Bundesrat. Und die Bundestagsfraktionen von SPD, Grünen und Linken verlangen ein Moratorium, bis das Zulassungsverfahren erneut verschärft und überarbeitet worden ist.

Die Ausstiegklausel wird wohl kommen. Auch wenn hinter den Kulissen weiter darüber verhandelt wird - der Umweltministerrat wird am 12. Juni den Vorschlägen Griechenlands im Grundsatz mit der erforderlichen qualifizierten Mehrheit zustimmen. Dann müssten Ministerrat, EU-Parlament und Kommissionen in weiteren Trilog-Verhandlungen einen gemeinsamen Standpunkt finden, dem am Ende alle zustimmen müssen.