Gentechnik-Gesetze und neue Züchtungsverfahren: Europa droht den Anschluss zu verlieren

(30.03.2015) In der Pflanzenzüchtung bahnen sich neue Verfahren an. Anders als bisher wird es damit erstmals möglich, gezielt einzelne Gene abzuschalten oder umzuschreiben. Die Europäische Union zögert noch, ob die damit erzeugten Pflanzen als gentechnisch verändert einzustufen sind und damit unter die strengen Auflagen der Gentechnik-Gesetze fallen. In den USA und auch in China hat man bereits einen anderen Weg eingeschlagen. Damit zeichnen sich nicht nur neue Probleme im Agrarhandel ab. Die europäische Pflanzenforschung könnte international den Anschluss verlieren.

„Wir stehen am Vorabend eines Paradigmenwechsels in der Pflanzenzüchtung,“ schreibt der britische Pflanzenforscher Huw D. Jones in der Januar-Ausgabe der Zeitschrift Nature Plants. Anders als bei der herkömmlichen Züchtung, aber auch anders als bei der Gentechnik wird es künftig möglich sein, bestimmte Stellen im Erbgut von Zellen oder Organismen gezielt ansteuern und sie dort - an Ort und Stelle - „umzuschreiben“.

Weizen, China

Züchtung von mehltauresistentem Weizen: China setzt auf Genome editing-Verfahren.

Foto: CRI-China

Nature Titel, CRISPR/Cas

Suchen und zerstören. Nach diesem Prinzip setzen sich Bakterien gegen Viren zur Wehr. Nun ist daraus ein molekularbiologisches Präzisionswerkzeug geworden, das bald auch in der Pflanzenzüchtung zur Anwendung kommen wird.

Diese molekulargenetischen Verfahren - oft als Genome Editing bezeichnet - werden heute bereits in vielen Forschungsgebieten eingesetzt - auch in der Pflanzenzüchtung. Im Prinzip nutzen sie natürliche Mechanismen - etwa zelleigene Reparatursysteme oder Abwehrstrategien von Bakterien gegen „feindliche“ Krankheitserreger -, um einzelne Gene abzuschalten oder einzelne DNA-Bausteine wie bei einer Mutation zu modifizieren. Die so entstandenen Pflanzen sind von herkömmlich gezüchteten nicht unterscheidbar.

Da keine „fremden“ Gene oder Genkonstrukte eingeführt werden, gelten die neuen Pflanzen selbst nicht als „gentechnisch verändert“. Die Verfahren jedoch - die Herstellung von zielgenauen molekularen „Scheren“ und deren Einführen in eine Pflanzenzelle - gleichen jenen, die gesetzlich der Gentechnik zugerechnet werden. Nach den derzeit in Deutschland und der EU geltenden Gesetzen sind die meisten der mit Genome Editing-Verfahren modifizierten Pflanzen rechtliche Zwitter: Die Pflanze selbst ist kein GVO, einzelne Verfahrensschritte werden jedoch meist als „gentechnisch“ eingestuft.

Erste Pflanzen - etwa ein von dem kalifornischen Technologie-Unternehmen Cibus entwickelter Raps - sollen im nächsten Jahr auf den Markt kommen.

Was mit den neuen Verfahren in Zukunft möglich ist, haben chinesische Wissenschaftler gezeigt: In eine marktgängige Brotweizensorte haben sie eine Resistenz gegen Mehltau, eine Pilzkrankheit, „hineineditiert“. Ein langwieriges Eliminieren unerwünschter Eigenschaften, wie bei der Kreuzungszüchtung üblich, ist dann nicht mehr nötig.

Die neuen Genome Editing-Verfahren werden herkömmliche Züchtung und Gentechnik nicht überflüssig machen, aber bei vielen Zuchtzielen - etwa Toleranzen gegen Trockenheit und Salz, Resistenzen gegen Krankheitserreger, veränderte Inhaltsstoffe - werden sie aufgrund ihrer Präzision und Effektivität künftig im „Werkzeugkasten“ der Pflanzenzüchter eine stärkere Rolle spielen.

Doch ob es tatsächlich dazu kommt, hängt ganz entscheidend davon ab, ob die mit den neuen Verfahren entwickelten Pflanzen als GVO angesehen werden oder nicht. Auf GVO-Pflanzen lastet eine hohe regulatorische Bürde: Teure und langwierige Zulassungsverfahren, besondere gesetzliche Auflagen und - zumindest in weiten Teilen Europas - eine überwiegend ablehnend eingestellte Gesellschaft. Gentechnische Verfahren können sich deswegen nur große multinationale Konzerne leisten und auch nur bei weltweit genutzten Kulturarten und Merkmalen. Würden für Genome Editing die gleichen Auflagen gelten, hätten die neuen Verfahren kaum eine Chance. Ihr Vorteil, auch für regionale Kulturarten und deren spezifische Ziele neue züchterischen Lösungen zu eröffnen, bliebe ungenutzt.

„Für die Risikobewertung neuer Pflanzenzüchtungen sollten die spezifischen Eigenschaften der Züchtungsprodukte im Mittelpunkt stehen und weniger die Methoden, mit denen sie erzeugt wurden.“

Aus der gemeinsamen Erklärung der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina, der Deutschen Akademie der Technikwissenschaften – acatech und der Union der deutschen Akademien der Wissenschaften (26.03.2015).

Ob und wie Genome Editing-Verfahren reguliert werden sollen, ist immer noch nicht abschließend geklärt. In den USA sind solche Pflanzen von der für GVO geltenden Regulierung ausgenommen, sofern sie keine fremde Erbsubstanz enthalten. Auch China setzt in großem Stil auf die neuen Techniken. Offenbar will man so die Phase der Gentechnik überspringen und deren Akzeptanzproblemen aus dem Weg gehen. Nach einem Bericht der Technology Review hat die Regierung bis 2020 vier Milliarden Dollar für die Pflanzenforschung bereitgestellt. In China soll es fast 400 Wissenschaftler-Gruppen geben, die überwiegend mit Genome Editing- und anderen neuen Züchtungstechniken arbeiten.

In der EU ist dagegen noch keine Entscheidung gefallen. Die Kommission schiebt das Thema seit zwei Jahren vor sich her. In den Mitgliedsländern gibt es unterschiedliche Auffassungen. Einige wollen ähnlich wie die US-Behörden zumindest einzelne der neuen Verfahren aus der GVO-Regulierung herausnehmen, andere warnen vor einem „eklatanten Mangel an Wissen“ (Umweltbundesamt Österreich). Aktivistengruppen beschwören neue Gefahren der „Super-Gentechnik“. Es kann lange dauern, bis das in solchen Fragen tief zerstrittene Europa sich zu einem gemeinsamen Standpunkt durchringt. Wenn es überhaupt gelingt, wird er eher von diffusen Risiko-Ängsten geprägt sein als von den Potenzialen der neuen Verfahren.

Doch wenn sich Europa von der internationalen Entwicklung abkoppelt und einen Sonderweg einschlägt, hätte das dramatische Konsequenzen: Für die Züchter, die Landwirtschaft, aber auch den internationalen Agrarhandel. Pflanzen, die in Nordamerika, Brasilien oder China keinen besonderen Vorschriften unterliegen, würden dagegen in Europa als GVO gelten. Ohne EU-Zulassung dürfte nach dem Null-Toleranz-Prinzip keine dieser Pflanzen nach Europa eingeführt werden. Ein unlösbares Dilemma: Entweder müsste die EU das Problem möglicher Beimischungen in Agrarimporten ignorieren oder ganz auf diese Importe verzichten.

„Die Unsicherheit hinsichtlich ihrer Regulierung untergräbt das Vertrauen in die neuen Verfahren“, so Huw Jones. In anderen für solche innovativen Technologien aufgeschlossen Regionen würden dagegen Züchter und Landwirte von den neuen Möglichkeiten einer präziseren, kostengünstigen Pflanzenzüchtung profitieren. Wenn Europa keinen angemessenen Umgang mit den neuen Genome Editing-Verfahren findet, „wird es weltweit den Anschuss verlieren.“