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Geschlossenes System und freie Natur. Oder: Die Wandlungen der Gentechnik-Kritik

Bei der Gentechnik – oder besser: bei der Nutzung gentechnisch veränderter Organismen – scheint es, als gebe es zwei völlig verschiedene Welten: Rote und weiße Gentechnik bleiben im „geschlossenen System“ und sind daher beherrschbar. Grüne Gentechnik findet dagegen in der „freien Natur“ statt. Einmal in die Umwelt freigesetzt sind gentechnisch veränderte Pflanzen nicht mehr zu kontrollieren und vor allem nicht rückholbar. Die eine ist „gut“ und wird weitgehend akzeptiert, die andere „böse“ und trifft in der Gesellschaft auf eine breite, zuweilen leidenschaftliche Ablehnung. Aktionsgruppen, Umwelt- und Verbraucherverbände, ja sogar Unternehmen bedienen sich des Gegensatzes von „geschlossenem System“ und „freier Natur“, um ihren Kampf gegen die Grüne Gentechnik zu begründen.

Das ist noch nicht lange so. Noch bis vor gut zehn Jahren wurden Produktionsanlagen, in denen gentechnisch veränderte Mikroorganismen Arzneimittelwirkstoffe, Vitamine oder Waschmittelenzyme produzieren, von den Grünen, Umweltverbänden und Anwohnergruppen (wie etwa die „Schnüffler un Maagucker“ in Frankfurt/Höchst) mit großer Leidenschaft bekämpft. „Kritische Wissenschaftler“ etwa vom Freiburger Öko-Institut wiesen in immer wieder neuen Gutachten für jede der damals geplanten Anlagen akribisch nach, wie wenig dicht sie tatsächlich waren. Zudem sei es technisch kaum möglich, alle sich im Abwasser der Anlagen befindenden gv-Mikroorganismen mit absoluter Sicherheit zu sterilisieren. Kurz: Dass die gentechnischen Produktionslangen gar nicht geschlossen sind, wie von den Unternehmen und den mit ihnen verbundenen Wissenschaftlern behauptet, war das wichtigste und wirksamste Argument der Gentechnik-Gegner.

Und wenn „genmanipulierte“ Mikroorganismen erst einmal aus den Anlagen entwichen sind, könne niemand wissen, wie sie sich in der Umwelt verhalten: Ob sie dort überleben, sich ausbreiten und andere Mikroorganismen verdrängen. (The long term survival of Escherichia coli in river water, das war etwa ein typisches Gutachten.) Vor allem die Antibiotikaresistenz-Marker, die auch in vielen gv-Produktionsorganismen verwendet werden, seien eine große Gefahr für die Gesundheit, weil diese Resistenzgene von Krankheitserregern aufgenommen und Antbiotika damit unwirksam werden würden. (Eines der wenigen, online verfügbaren Gutachten aus dieser Zeit über die Produktion des Backenzyms Xylanase mit gentechnisch veränderten Mikroorganismen.)

Das alles hatte großen Einfluss auf das politische Handeln. Allen voran der Grüne Umweltminister in Hessen, Joschka Fischer, schaffte es, die in Frankfurt seit 1984 geplante Anlage zur Produktion von Insulin durch immer neue technische Auflagen und Gutachten zum biologischen „Restrisiko“ zu verzögern. Erst 1998 konnte die aus Höchst hervorgegangene Aventis die Insulinanlage in Betrieb nehmen. Doch da war es bereits zu spät: Die Diabetes-Patienten in Deutschland bezogen ihr gentechnisch hergestelltes Humaninsulin längst von ausländischen Herstellern.

Heute will man davon nichts mehr wissen: Obwohl die gesetzlichen Vorschriften für die gentechnischen Produktionsanlagen in der Zwischenzeit mehrfach gelockert und sie damit immer weniger „dicht“ wurden, haben die heutigen Gentechnik-Kritiker Weiße und Rote Gentechnik in ein „geschlossenes System“ gepackt und damit auch politisch entsorgt.

Was war da eigentlich passiert? Innerhalb weniger Jahre änderte sich im grün-alternativen Lager die Bewertung der Gentechnik fundamental: Während man sie anfangs grundsätzlich als unbeherrschbar und „unnatürlich“ ablehnte, wurde plötzlich und ohne großes Aufheben eine Sparte – und sogar die ökonomisch erfolgreiche – aus der Kritik herausgelöst.

Doch spätestens, als 1998 die ersten „Gen-Sojabohnen“ in Europa ankamen, hatte die Rot-Weiße Gentechnik ihre Schuldigkeit als Kampagnenthema getan. Der Anbau gentechnisch veränderter Pflanzen nahm weltweit an Fahrt auf und mit „Lebensmitteln aus dem Genlabor“ konnte man die Verbraucher viel wirksamer verunsichern als mit Arzneimitteln oder Waschmittelenzymen.

Vor allem aber: All die Schreckensszenarien von unkontrollierbaren, aus den Anlagen entweichenden gv-Mikroorganismen waren nicht eingetreten: Kein biologischer GAU, keine neuen Mikrobenstämme, die sich in Gewässern und Kläranlagen etabliert hatten, keine Giftstoffe produzierenden Bakterien und Hefen in der Umwelt. Die bis zum Überdruss wiederholten Warnungen vor den besonderen biologischen Risiken gentechnischer Anlagen hatten an Glaubwürdigkeit verloren. Spätestens da war es für die Grünen geboten, ihre Gentechnik-Programmatik zu modernisieren. Dabei machten sie es sich ziemlich einfach: Obwohl die alten Risikoszenarien von der Praxis widerlegt wurden, übertrug man sie schnell und schematisch auf gentechnisch veränderte Pflanzen. Eine selbstkritische Reflexion, das Eingeständnis des Irrtums ist bis heute ausgeblieben.

Bis sich allerdings die Grünen von der Fundamental-Kritik an der Gentechnik verbschiedet hatten, gab es heftige interne Konflikte. 1996 schrieb der damalige Bundestagsabgeordnete Manuel Kiper ein Strategiepapier gegen die „einseitige Verteufelung der Gentechnik“. Er warnte davor, „wirksame Genarzneimittel aus ideologischen Gründen abzulehnen“ und sah gentechnisch hergestellte Enzyme als Beitrag zu einer „sanften Chemie“. Auf einem Parteikongress blieb er 1997 mit seinen Positionen allein. Gentechnik sei eine Risikotechnologie und „unnatürlich“, deshalb lehnten die Grünen sie „grundsätzlich und für alle Anwendungsbereiche ab“. Kiper wurde bei der Bundestagswahl 1998 nicht mehr aufgestellt.

Im Parteiprogramm zur Bundestagswahl 2009 sind Bündnis 90/Die Grünen immer noch gegen die Gentechnik – aber nur „auf dem Teller und auf dem Acker“. Dazu gibt es allein 19 Fundstellen, zu Weißer und Roter Gentechnik keine einzige. Das Thema ist abgeschlossen.

Große Foto oben: grandeduc, 123RF

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