
Lebensmittel-Enzyme: Bei der Herstellung ist Gentechnik längst Standard
Enzyme? In Lebensmitteln? Im Zutatenverzeichnis ist davon nichts zu erkennen. Dennoch spielen sie bei der Herstellung vieler Produkte eine diskrete, aber wichtige Rolle. Ob Käse, Brötchen, Fruchtsaft oder Süßigkeiten – oft sind Enzyme dabei. Lebensmitteltechnologen schätzen sie als „natürliche“ und zugleich hochpräzise biochemische Werkzeuge. Fast alle Enzyme werden heute mit Hilfe von Mikroorganismen produziert – und die sind inzwischen meist gentechnisch verändert.
Enzyme sind die Wirkstoffe lebender Zellen und an nahezu allen Stoffwechselprozessen beteiligt. Als biologische Katalysatoren beschleunigen sie kaum wahrnehmbare biochemische Reaktionen um ein Viel-Millionenfaches – und das alles unter lebensfreundlichen Bedingungen, ohne hohe Temperaturen oder aggressive Chemikalien.
Die Zahl der natürlich vorkommenden Enzyme ist gigantisch. Schon in gewöhnlichen E.coli-Bakterien sind 500 verschiedene Enzyme aktiv. Bei etwa 5000 Enzymen sind Struktur und Wirkungsweise im Einzelnen bekannt. Insgesamt dürfte es in der Natur mehr als eine Million Enzyme und Enzymvarianten geben.

Amylase im 3D-Modell. Das Enzym spaltet große kettenförmige Stärkemoleküle auf – bei Verdauung pflanzlicher Nahrung im Darm wie beim technischen Prozess der Stärkeverzuckerung.
Fotos: iStock, großes Foto oben: novozymes
Der besondere Vorteil von Enzymen ist ihre Spezifität: Jedes Enzym modifiziert immer nur eine bestimmten Stelle großer organischer Moleküle, präzise und meist ohne „Nebenwirkungen“. Enzyme sind wie alle Proteine aus einer großen Zahl von Aminosäuren aufgebaut (Genetischer Code) und besitzen eine komplexe räumliche Struktur. Wie der Schlüssel ins Schloss passt ein Teil der Enzym-Oberfläche genau zu der Zielregion eines Moleküls.
Jedes Enzym führt immer nur eine bestimmte Reaktion durch, etwa eine große Molekülkette an einer vorgegebenen Stelle aufzuspalten oder zu modifizieren. Deswegen werden sie in vielen Bereichen – Forschung, Medizin, Industrie – eingesetzt, oft anstelle von chemischen Prozessen. Enzyme sind auch in vielen Alltagsprodukten enthalten, etwa in Waschmitteln, Zahnpasta oder Kosmetika.
In der Lebensmittelherstellung und -verarbeitung werden Enzyme als sanfte, zielgenaue biochemische Werkzeuge geschätzt. Die Fähigkeiten der Enzyme sind groß: Sie modifizieren Stärke, optimieren Fette und Eiweiße, machen Brötchen knusprig, stabilisieren Schäume oder „verkleben“ Fleischteile. Enzyme steuern Reifeprozesse, machen die Milch für die Käseherstellung dick und klären Apfelsäfte. Sie helfen, Aromen und Fruchtauszüge zu gewinnen und sorgen für die Bissfestigkeit von Cornflakes. Und auch bei Wein und Bier – wenn nicht nach dem deutschen Reinheitsgebot gebraut – spielen sie eine diskrete Rolle.
Auch um unerwünschte oder für bestimmte Personengruppen unverträgliche Stoffe aus Lebensmitteln zu entfernen, sind Enzyme geeignete Werkzeuge: Sie können Milchzucker (Lactose) abbauen, um lactose-freie Milchprodukte zu erhalten; sie können den Glutengehalt in Getreideprodukten reduzieren oder dafür sorgen, dass beim Backen oder Frittieren weniger Acrylamide entstehen.
Der Markt für Enzyme, die in der Lebensmittel- und Getränkeindustrie eingesetzt werden, ist in den letzten Jahren stetig gewachsen. 2023 betrug der globale Umsatz 2,8 Milliarden US-Dollar (2,46 Euro), bis 2033 wird mit einem durchschnittlichen jährlichen Wachstum von 6,8 Prozent gerechnet.
Bio- und Gentechnik: Die Überwindung der natürlichen Knappheit
Lange Zeit begrenzte die Knappheit des natürlichen Angebots eine wirtschaftliche Verwendung isolierter Enzyme. Ihre chemische Synthese ist wegen der komplizierten Molekülstruktur kaum möglich. Zudem werden Enzyme unter natürlichen Bedingungen meist nur in geringen Konzentrationen gebildet. Enzyme waren für eine breite Anwendung in Massenprodukten daher viel zu teuer.
Doch das Nadelöhr der knappen Verfügbarkeit ist längst überwunden. Inzwischen werden über 90 Prozent der industriell eingesetzten Enzyme nicht mehr aus „natürlichen“ Rohstoffen isoliert, sondern biotechnisch gewonnen. Verschiedene Mikroorganismen – Bakterien, Hefen, Pilze – sind darauf gezüchtet worden, die für ihren eigenen Stoffwechsel benötigten Enzyme in großen Mengen auszuschütten. Inzwischen sind viele der dafür verwendeten Mikroorganismen gentechnisch verändert. Manchmal ist es nur so möglich, die benötigten Enzyme kostengünstig und in ausreichenden Mengen zu produzieren.
Inzwischen stehen den Biotechnologen weitere leistungsfähige Verfahren zur Verfügung, um gezielt Mikroorganismen zu entwickeln, die ein bestimmtes Enzym mit den genau definierten Eigenschaften und in gleichbleibender Qualität herstellen können. Anfangs, in den ersten Jahren der industriellen Nutzung der Gentechnik, hatte man dafür ein geeignetes Gen mit der „Bauanleitung“ für das Enzym übertragen oder ein vorhandenes Gen „verstärkt“ und so die gebildeten Mengen erhöht.
Heute – mit leistungsfähigen, weitgehend automatisierten Laborverfahren – kann man ganze Stoffwechselwege, die zu einem Enzym führen, optimieren. Es ist auch möglich, synthetische, auf einen bestimmten Anwendungszweck entworfene Enzyme „am Bildschirm“ zu konstruieren und sie dann von dafür designten Mikroorganismen produzieren zu lassen (Protein Design, „gerichtete Evolution“, Synthetische Biologie). Auch bei Mikroorganismen werden inzwischen Genome Editing-Verfahren eingesetzt, um gezielte Mutationen herbeizuführen oder bestimmte DNA-Sequenzen an vorgegebenen Stellen im Erbgut einzufügen. Wie in der Pflanzenzüchtung sind auch hier die Grenzen zwischen klassischer Gentechnik und anderen molekularbiologischen Verfahren fließend.
Biotechnologische Prozesse, die mit neuen molekulargenetischen Verfahren optimierte Mikroorganismen nutzen, werden auch als Präzisionsfermentation bezeichnet.
Lebensmittelenzyme: Etwa die Hälfte mit gentechnisch veränderten Mikroorganismen hergestellt
Lange gab es in der EU für Lebensmittelenzyme keine gemeinschaftlichen Vorschriften. 2008 beschloss die EU eine Verordnung mit einem verbindlichen Rechtsrahmen für Lebensmittelenzyme (EG 1332/2008), die 2015 in Kraft trat. Um die damals auf dem Markt befindliche Enzyme weiterhin nutzen zu können, mussten die Hersteller bei der EU-Kommission eine Zulassung beantragen und sicherheitsrelevante Daten einreichen. Diese Enzyme wurden in ein öffentlich zugängliches Register eingetragen. Von den 300 darin aufgeführten Enzymen bezogen sich etwa 125 auf Enzyme, die mit Hilfe gentechnisch veränderter Mikroorganismen hergestellt wurden.
Alle als sicher bewerteten Enzyme – sowohl die alten aus dem Register von 2025, als auch neu beantragte – werden in eine EU-weit verbindliche „Unionsliste“ aufgenommen. Derzeit sind dort etwa 400 Enzyme verzeichnet, knapp die Hälfte (160) sind mit Hilfe gentechnisch veränderter Mikroorganismen hergestellt. Allein 2024 wurden Sicherheitsbewertungen für 85 Enzyme abgeschlossen, darunter 30 mit gentechnisch veränderten Produktionsstämmen.
Voraussetzung für die Aufnahme einzelner Enzyme in die Unionsliste ist eine wissenschaftlichen Sicherheitsbewertung durch der Europäischen Lebensmittelbehörde EFSA. Berücksichtigt werden etwa Toxizität, mögliche Allergenität, Wechselwirkungen mit Lebensmittelinhaltsstoffen oder die üblichen Verzehrmengen, aber auch mikrobiologische Aspekte des Produktionsstamms. Die Sicherheitsanforderungen sind für alle Enzyme gleich, unabhängig vom Herstellungsverfahren. Wurde es mit gentechnisch veränderten Mikroorganismen hergestellt, dürfen in dem betreffenden Enzympräparat keine Produktionsorganismen oder Teile davon nachweisbar sein.
Enzyme müssen nur dann im Zutatenverzeichnis eines Lebensmittels aufgeführt werden, wenn sie im Endprodukt eine technologische Funktion erfüllen. Das ist aber nur ganz selten der Fall. Gleich ob gentechnisch hergestellt oder nicht - Enzyme werden generell nicht deklariert.

Wo es ohne Enzyme nicht mehr geht…..
Käse: Bei der Käseherstellung wird zur Dicklegung der Milch traditionell Labferment aus Kälbermagen eingesetzt. Heute wird der Hauptwirkstoff des Labferments, das Enzym Chymosin, mit Hilfe von gentechnisch veränderten Mikroorganismen hergestellt.
Brot und Brötchen: Vor allem bei den sich immer mehr durchsetzenden Tiefkühl-Teiglingen, die in Backshops und Supermärkten fertig gebacken werden, sind Enzyme unverzichtbar: Sie sorgen für Volumen und eine gleichmäßige Dichte, sie gleichen natürliche Unterschiede bei der Getreidequalität aus und verkürzen die Aufgehzeiten des Teiges. Im fertigen Brot machen Enzyme die Kruste knuspriger und die Farbe intensiver, ungekühlte Backwaren werden nicht so schnell hart und trocken. (z.B. Amylasen, Xylanasen)
Süßes aus Pflanzenstärke: Enzyme zerlegen Stärke – zum Beispiel aus Mais – in ihre Zucker-Grundbausteine. Dieser als Stärkeverzuckerung bezeichnete Prozess wird heute großtechnisch durchgeführt. Aus ihm gehen viele Lebensmittelzutaten und –zusatzstoffe hervor, etwa Traubenzucker, Glukosesirup, Isoglukose bzw. Fruktose-Glukose-Sirup)oder verschiedene Zuckeraustauschstoffe wie etwa Sorbit. Die bei der Stärkeverzuckerung eingesetzten Enzyme werden heute überwiegend mit Hilfe gentechnisch veränderter Mikroorganismen gewonnen.
Fruchtsaft: Besonders bei Beeren verbessern Enzyme (Pektinasen) die Extraktion von Farb- und Aromastoffen. In einigen Fällen klären sie naturtrübe Säfte. Bei Säften aus Beeren, Südfrüchten, Äpfeln und Birnen ist der Einsatz von Enzymen allgemein üblich.
Themen
Im Web
- EFSA: Thema Lebensmittelenzyme (Aktivitäten, EU-Rechtsrahmen, abgeschlossene Gutachten)
- Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR): Lebensmittelenzyme
- Enzyme, die Supertalente der Biotechnologie (Bioökonomie)
- Enzyme in der Lebensmittelverarbeitung (BGF-biotech-gm-food). Materialreiche Seite zu Enzymen auf wissenschaftlicher Grundlage
- Lebensmittelenzyme: Sicherheitsbewertung und gemeinsame Unionsliste (BGF-biotech-gm-food)
- Deckers, M. et al. (2020): Genetically Modified Micro-Organisms for Industrial Food Enzyme Production: An Overview. Foods 9, 326
- EU-Verordnung über Lebensmittelenzyme (EG 1332/2008)
- EFSA, Scientific output: Safety evaluation of food enzymes (list)