Coronavirus-Varianten

Corona: Wie Virusvarianten entstehen und was sie für die Wirksamkeit von Impfstoffen bedeuten

Von Juliette Irmer

Alpha, Delta, Omikron… BA.1, BA.2, BA.5… Corona-Virusvarianten sind ein eindrucksvolles Beispiel für Evolution. Die Mutationsgeschwindigkeit von SARS-CoV-2 ist jedoch eine Herausforderung und wirft Fragen auf: Wie gut und wie lange schützen die Impfstoffe? Wie oft müssen sie angepasst werden? Und gibt es einen Ausweg aus dem evolutiven Wettlauf mit dem Virus?

Viren sind strenggenommen keine Lebewesen, da ihnen ein eigener Stoffwechsel fehlt und sie für ihre Vermehrung zwingend auf eine Wirtszelle angewiesen sind. Entsprechend sind Viren wahre Spezialisten, wenn es darum geht, in Körperzellen einzudringen. Ist ihnen das gelungen, programmieren sie die Zellmaschinerie um, so dass diese fortan massenweise neue Viren produziert: bis zu 10.000 pro Zelle. Die Informationen für diesen Vorgang sind im viralen Erbgut codiert, das bei SARS-CoV-2 aus 30.000 RNA-Nukleotiden besteht, was im Virenreich riesig ist. Zum Vergleich: Bei HIV sind es 10.000 Nukleotide, bei Influenza 14.000. (Das Erbgut des Menschen ist mit 3,2 Milliarden DNA-Nukleotiden 100.000-mal größer.)

Corona Spikeprotein

Mutationen im Spike-Protein haben dazu geführt, dass das Corona-Virus leichter in Zellen eindringen kann.

Variants of concern (VOC) alle Muta-tionen Spike Muta-tionen
Delta (B.1.617.2) 22 9
Omikron (B.1.1.529 / 21M) 50+ 30+

Stand: März 2022 (Covariants/WHO)

Foto: iStock, Grafik oben: iStock (modifiziert)

Am 10. Januar 2020 stellten chinesische Wissenschaftler das erste vollständig entschlüsselte Genom des neuen Coronavirus online. Heute (Stand Oktober 2022) umfasst die GISAID-Datenbank, die Wissenschaftlern rund um den Globus bislang dazu diente, Daten über Influenzaviren zu teilen und zu analysieren, gut 13 Millionen SARS-CoV-2-Sequenzen aus fast allen Ländern. (Je etwa ein Viertel stammt aus den USA und England, Deutschland belegt mit gut 800.000 eingebrachten Sequenzen den dritten Platz).

Das Viren-Erbgut ist nicht nur der Schlüssel für die Entwicklung von Impfstoffen und Medikamenten, sondern dient auch der Kontrolle der Pandemie. Zentral ist dabei das Open-Source-Projekt Nextstrain. Das Projektteam analysiert die Genomsequenzen, erstellt Stammbäume, visualisiert Übertragungsketten und Ausbreitungswege und stellt alles online. Die Plattform CoVariants stellt zudem die Ausbreitung der unterschiedlichen Coronavirus-Varianten in einzelnen Ländern grafisch dar.

Ursache für die Varianten sind Mutationen, kleine Veränderungen des Erbguts, die durch das Entschlüsseln der Genome nachverfolgt werden können. Mutationen entstehen zufällig und sie entstehen ständig. Denn bei der Vermehrung eines Coronavirus werden seine 30.000 RNA-Bausteine tausende Male kopiert. Dabei können Fehler passieren, obwohl Coronaviren, anders als viele andere Viren, einen Reparaturmechanismus besitzen.

Die frisch vermehrten Viren erben einen solchen „Kopierfehler“ und infizieren neue Zellen oder Wirte, wo es im nächsten Vermehrungszyklus wieder zu Mutationen kommen kann. Der Großteil der Mutationen ist bedeutungslos. Ab und an führen sie aber zu neuen Eigenschaften, die sich auf das Infektionsgeschehen auswirken können. Im Falle des Coronavirus etwa Mutationen im Spike-Protein, das dem Virus Zugang ins Zellinnere verschafft. Bieten die neuen Mutationen dem Virus Vorteile, können sie sich durchsetzen.

Im Verlauf der Pandemie war das bereits mehrmals gut zu beobachten: Die Virusvariante Alpha tauchte Ende 2020 erstmals in England auf und dominierte später das Infektionsgeschehen in ganz Europa. Auch anderswo wurden neue Virusvarianten identifiziert, die leichter übertragbar waren. Beta verbreitete sich hauptsächlich in Südafrika, Gamma vor allem in Brasilien und Chile. Die Delta-Variante sorgte im Frühling 2021 für eine verheerende zweite Welle in Indien und verbreitete sich weltweit, bis sie im November 2021 von Omikron abgelöst wurde, der momentan (November 2022) vorherrschenden Virusvariante.

Vor allem die Entstehung von Omikron war durch einen großen evolutiven Sprung gekennzeichnet, also viele Veränderungen im Erbgut von SARS-CoV-2. Experten interpretieren das als Anpassung an den Hauptwirt, den Menschen. Seitdem aber entwickelt sich das Coronavirus anders und hat sich in einen Schwarm von Omikron-Untervarianten aufgesplittert. Einige dieser Untervarianten haben ähnliche Mutationsmuster entwickelt, obwohl sie an unterschiedlichen Orten entstanden sind. Biologen sprechen von konvergenter Evolution. Solche unabhängig voneinander entwickelten, ähnlichen Mutationen können ein Zeichen dafür sein, dass sie dem Virus Vorteile verschaffen.

Tatsächlich ist es für das Coronavirus im dritten Jahr der Pandemie nicht mehr so einfach Wirte zu finden, in denen es sich bequem vermehren kann. Denn es trifft nicht mehr auf eine immunologisch naive Bevölkerung, sondern auf Milliarden Menschen, deren Immunität durch Impfungen, natürliche Infektionen oder einer Kombination aus beidem gewachsen ist. Das Virus steht daher unter einem starken Selektionsdruck, das heißt, gut vermehren können sich nur jene Viren, die sich der aufgebauten Körperabwehr durch Immunflucht-Mutationen entziehen. Das sind Veränderungen im viralen Erbgut, die dazu führen, dass Antikörper, die nach einer Impfung oder einer Infektion gebildet wurden, die neuen Virusvarianten weniger gut erkennen und unschädlich machen können, wodurch auch die Wirksamkeit der Impfung herabgesetzt wird.

Die Evolution von SARS-CoV-2 wirft zwangsläufig die Frage auf, wie lange die entwickelten Impfstoffe wirksam sind und wie gut sie gegen Varianten schützen. Dabei muss zwischen dem Schutz vor Infektion und dem Schutz vor einem schweren Verlauf unterschieden werden. Gegen Alpha haben die Impfstoffe verlässlich sowohl vor einer Infektion, als auch einem schweren Verlauf geschützt. Bei Delta war der Schutz vor einer Infektion geringer und nahm mit der Zeit immer weiter ab. Bei Omikron ist der Schutz vor einer Infektion deutlich reduziert, das heißt, auch Geimpfte und Genesene können sich neu anstecken.

Immerhin: Bisher hat es keine SARS-CoV-2-Variante geschafft, der Immunabwehr vollständig zu entgehen. Entscheidend dafür ist auch die durch T-Zellen vermittelte Immunität: Sie zielt auf antigene Virusstrukturen ab, die gut konserviert sind, also nicht oder kaum mutieren. Wer vollständig geimpft ist, also drei Impfungen erhalten hat, ist nach gegenwärtigem Wissensstand daher gut vor einem schweren Verlauf geschützt. (Wie sich die Impfung auf das LongCovid-Risiko auswirkt, ist noch Gegenstand der Forschung.) Bei besonders gefährdeten Personen, also Älteren und Vorerkrankten, kann die Immunität mit der Zeit nachlassen, weswegen Auffrischungsimpfungen notwendig sein können. (Eine tabellarische Übersicht der Stiko-Impfempfehlung findet sich auf Seite 5 und 8 des Epidemiologischen Bulletin 40/2022, siehe Im Web.)

Grundsätzlich steigt die Wahrscheinlichkeit für Mutationen mit einem hohen Infektionsgeschehen: Dort wo sehr viele Viren zirkulieren, vermehren sie sich milliardenfach und es entstehen ab und an „Kopierfehler“. Die Mutationen selbst sind zufällig, welche sich durchsetzen nicht: Nur jene, die es dem Virus ermöglichen, sich zu übertragen und zu vermehren.

Bei hohem Infektionsgeschehen steigt auch die Wahrscheinlichkeit für Rekombinationsereignisse: Infizieren sich Personen gleichzeitig mit zwei unterschiedlichen Virusvarianten, können diese Teile ihres Erbguts austauschen, wenn sie sich in den gleichen Zellen vermehren. Das ist bereits geschehen, wie der Nachweis mehrerer solcher Hybridvarianten zeigt.

Als problematisch könnte sich auch die Fähigkeit von SARS-CoV-2 erweisen, die Artgrenze ihrer Wirte zu überspringen: Bislang wurden der Weltorganisation für Tiergesundheit Übertragungen in 25 unterschiedlichen Tierarten gemeldet. Möglicherweise könnten so weitere Reservoire für das Virus entstehen. Rückübertragungen in den Menschen wurden bereits aus Nerzen und Hamstern nachgewiesen, wie häufig und wie leicht dies geschieht, ist unklar.

Die Entwicklungen unterstreichen die Notwendigkeit einer kontinuierlichen genomischen Überwachung von SARS-CoV-2, auch um die Impfstoffe anzupassen, wenn es notwendig wird. Zwar lassen sich gerade die mRNA-Impfstoffe relativ einfach aktualisieren, dennoch hinkt man auch mit dieser flexiblen Technologie dem Virus immer hinterher. Geforscht wird daher an Impfstoffen, die auch eine Infektion verlässlich verhindern können.

Klassifikation der Virusvarianten

Im Mai 2021 hatte die WHO eine neue Klassifikation und Nomenklatur für Virusvarianten vorgestellt: Die Varianten werden nach den Buchstaben des griechischen Alphabets benannt und in drei Kategorien eingeteilt. Eine besorgniserregende Variante, Variant of Concern (VOC), ist danach ansteckender, verursacht schwere Erkrankungen und/oder verringert die Wirksamkeit von Impfstoffen. Eine Variant of Interest (VOI) ist eine Virusvariante, mit genetischen Veränderungen, die auf ein neu auftretendes Risiko für die globale öffentliche Gesundheit hindeuten. Eine Variant under Monitoring (VUM) steht unter Beobachtung.

Im Oktober 2022 hat die WHO ihrem Varianten-Klassifikationssystem eine neue Kategorie hinzugefügt: Omicron subvariants under monitoring.

Omikron, als VOC klassifiziert, dominiert das Infektionsgeschehen weltweit, hat sich aber in der Zwischenzeit stark aufgesplittet, das heißt, es existiert ein ganzer Schwarm Omikron-Untervarianten. Die neue Einteilung soll dabei helfen, den Überblick über potentiell besorgniserregenden Omikron-Nachkommen zu behalten.

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