Tigermücke

Gentechnik mit Antrieb: Gene Drives

von Juliette Irmer

Gene Drive ist eine neue Methode der Gentechnik, mit der sich die Ausbreitung von Krankheitsüberträgern oder Schädlingen gezielt kontrollieren lassen könnte. Das funktioniert, indem sich eine genetische Veränderung in einer Art Kettenreaktion selbstständig und unbegrenzt in einer freilebenden Population ausbreitet. Momentan klafft allerdings noch eine Lücke zwischen Theorie und Praxis, denn Laborexperimente zeigen, dass sich die neue Veränderung meist nicht so verlässlich ausbreitet wie in Modellen vorhergesagt. Die Methode wirft außerdem viele Fragen in punkto Bioethik und Umweltsicherheit auf. Bevor die Technik in der Praxis eingesetzt werden kann, ist noch viel Forschung nötig.

Moskito

Gene Drive - endlich etwas gegen Malaria? Verschiedene Moskito-Arten sind Überträger von Krankheitserregern. Allein die Malaria fordert jährlich über 400.000 Todesopfer.
Foto: James Gathany / CDC

Gene Drive 1

Normale Vererbung ohne Gene Drive: Eine bestimmtes Merkmal - etwa eine gentechnisch erzeugte Sterilität (rot) - wird nur an die Hälfte der Nachkommen weitergegeben. Wenn es keinen Überlebensvorteil vermittelt, wird sich das neue Merkmal in der Population nicht etablieren.

Gene Drive 2

Mit Gene Drive wird dieses Merkmal an alle Nachkommen weitervererbt und breitet sich sehr schnell in der gesamten Population aus.

Großes Foto oben: Tigermücke (Aedes albopictus); Yongkiet Jitwattanatam, 123RF

Wissenschaftler hatten schon in den 1960er Jahren die Idee, Gene Drives für die Kontrolle krankheitsübertragender Mücken zu nutzen. Sie hatten beobachtet, dass der Mechanismus natürlicherweise in einigen Arten wie Hefen, Mücken und Nagern vorkommt. Der technische Durchbruch gelang aber erst nach der Entdeckung des CRISPR/Cas-Systems 2012.

Mithilfe eines Gene Drives wird die Vererbung einer bestimmten genetischen Veränderung beschleunigt, die Mendelschen Regeln werden dabei umgangen. Die besagen, dass in jeder Generation durchschnittlich 50 Prozent der Nachkommen eine bestimmte Genvariante erben. Per Gene Drive sind es im Idealfall 100 Prozent, so dass nach wenigen Generationen alle Individuen einer Population die gewünschte Veränderung haben (Infokasten links). Das gelingt, weil die Genschere CRISPR/Cas die Veränderung in beide Kopien eines Gens einbringt. Mithilfe der guide-RNA wird das Enzym Cas9 an die gewünschte Stelle im Erbgut geleitet und schneidet dort den DNA-Doppelstrang. Beim Reparieren wird sowohl die genetische Veränderung als auch die Bauanleitung für die Genschere eingefügt, so dass sich der Vorgang in jedem Fortpflanzungszyklus wiederholt (Grafik rechts).

Mithilfe dieser Technologie sollen krankheitsübertragende Tiere und Schädlinge gezielt dezimiert werden. Ganz oben auf der Liste der Kandidaten stehen mehrere Mückenarten. Sie übertragen Krankheiten wie Malaria, Dengue und Zika, die jedes Jahr Hundertausende Menschen das Leben kosten. 2017 wurden weltweit allein 219 Millionen Malariafälle gezählt, 435 000 Menschen starben an der Infektion, häufig trifft es Kinder unter fünf Jahren. Da Resistenzen gegen bislang erfolgreiche Medikamente und Insektizide zunehmen, braucht es dringend neue Schutzmaßnahmen.

Gene Drives könnten außerdem im Artenschutz und in der Landwirtschaft Anwendung finden, indem sie invasive Arten zurückdrängen. Neuseeland etwa erwägt den Einsatz von Gene Drives, um eingeschleppte Mäuse zu eliminieren, so dass sich die einheimische Tierwelt wieder erholen könnte. Und in Kalifornien haben Forscher ein Gene-Drive-System entwickelt, mit dem sich die bei Obstbauern gefürchtete und ursprünglich aus Südostasien stammende Kirschessigfliege bekämpfen ließe, die auch hierzulande große Schäden anrichtet.

Der große Vorteil von Gene Drives liegt auf der Hand: Statt ökologischen Problemen mit unspezifischen Maßnahmen wie Giften und Netzen zu begegnen, bieten Gene Drives die Möglichkeit präzise und gezielt nur eine Art ins Visier zu nehmen.

Allerdings ist nicht jede Art Gene Drive-tauglich. In Frage kommen nur Organismen, die sich sexuell fortpflanzen und die eine möglichst kurze Generationszeit aufweisen. Denn trotz beschleunigter Vererbung braucht es mehrere Generationen bis eine gewünschte Veränderung eine komplette Population durchdringt.

Bislang wurden Gene Drives im Labor oder in Biosicherheits-Insektarien in Hefen, Fliegen, Mücken und Mäusen getestet. Weltweit hat noch keine Regulierungsbehörde grünes Licht für die Freisetzung eines Gene Drives gegeben.

Es existieren viele verschiedene Gene Drive-Systeme, grundsätzlich lassen sich aber zwei Ansätze unterscheiden: Der so genannte suppression drive hat das Ziel, eine Population zu reduzieren oder gar auszulöschen. Das wird erreicht, indem die Fortpflanzungsfähigkeit der Organismen gestört wird, ein Geschlecht etwa unfruchtbar wird. Bei einem alteration drive können sich die Tiere weiter fortpflanzen, sie können aber zum Beispiel einen Krankheitserreger nicht mehr übertragen.

Weit fortgeschritten ist die Forschung an Anopheles gambiae, eine der Malaria übertragenden Mückenarten. Eine Forschergruppe um Andrea Crisanti, einem Pionier der Gene Drive-Forschung und Mitglied von Target Malaria, einem Konsortium, dass sich dem Kampf gegen Malaria verschrieben hat, sorgte 2018 für den totalen Zusammenbruch mehrerer Mückenpopulationen im Labor. Ihr Gene Drive verändert das Gen doublesex: Die Weibchen werden dadurch unfruchtbar und legen keine Eier. Nach 8 bis 12 Generationen waren die Mücken aus den Biosicherheits-Insektarien verschwunden.

Die Arbeit sticht heraus, denn in vielen Gene Drive-Versuchen entwickeln sich Resistenzen. Das heißt, der Gene Drive verliert seine Wirkung und Mücken oder Fliegen pflanzen sich weiter ungehindert fort.

Die Entwicklung der Resistenzen liegt auch an der Funktionsweise der Genschere CRISPR/Cas. Angenommen es vermehren sich zwei Mücken, und nur eine trägt einen Gene Drive. Spermium und Eizelle verschmelzen, die Erbinformation liegt in der Zelle nun zweifach vor, aber nur ein Chromosom trägt einen Gene Drive. Die Genschere ist so programmiert, dass sie das Chromosom ohne Gene Drive an der richtigen Stelle schneidet. Die Reparatur übernimmt aber die Zelle. Im Idealfall kommt es zur so genannten homologen Reparatur (homology directed repair, HDR). Dabei nutzt die Zelle das Chromosom mit dem Gene Drive als Vorlage und kopiert diesen auf das neue Chromosom.

Allerdings existiert noch ein zweiter Reparaturmechanismus bei dem nur die losen DNA-Enden miteinander verknüpft werden (non-homologous end joining). Dabei können auch zusätzliche Basen eingefügt oder weggelassen werden. In diesem Fall erkennt die Genschere ihre Schnittstelle im nächsten Fortpflanzungszyklus nicht mehr, so dass kein Gene Drive installiert wird.

Crisantis Gene Drive war so erfolgreich, weil das Team mit doublesex ein konserviertes Gen nutzte, also eines, das in der Entwicklung von Mücken eine so große Rolle spielt, dass Veränderungen der Basenabfolge nicht toleriert werden. Entstehen sie durch eine fehlerhafte Reparatur des Genscherenschnitts, stirbt die Mücke. Folglich überleben nur jene Mücken mit korrekt kopiertem Gene Drive.

Zumindest in der Theorie ließe sich mit einem solchen klassischen supression drive eine Art gezielt auslöschen. Ein Szenario, das es bislang so noch nie gab – und das in der Öffentlichkeit Kritik und Ängste hervorruft und auch bei Regulierungsbehörden auf wenig Gegenliebe treffen dürfte.

Forscher sind deswegen dabei die Technologie zu verbessern: Sie arbeiten einerseits weiter an der Verringerung von Resistenzen, aber auch an der Rückholbarkeit von Gene Drives. Und an selbst-limitierten Systemen, die von vorneherein räumlich und zeitlich beschränkt sind. Etwa durch eine „chemische Abhängigkeit“ von Cas9, das dann nur funktioniert, wenn eine bestimmte Substanz das Enzym aktiviert.

Bioethiker, aber auch Wissenschaftler, fordern außerdem ein Maximum an Transparenz: „Wir plädieren grundsätzlich für Transparenz, auch in frühen Forschungsphasen. Wir müssen sicherstellen, dass eine Anwendung so sicher und effektiv wie möglich entwickelt wird und Menschen, die davon betroffen wären, eine Stimme haben“, sagt etwa Kevin Esvelt, ein renommierter Gene Drive-Experte vom Massachusetts Institute of Technology (MIT) in Cambridge.

Gene Drives sind ohne Frage eine neue Stufe der Gentechnologie mit der sich erstmalig in freilebende Populationen eingreifen ließe. Wie wirksam und sicher das möglich sein wird, wird sich in den nächsten Jahren zeigen.

Gene Drive ist NICHT Genome-Editing

Gene Drive und Genome Editing nutzen oftmals das gleiche Werkzeug: CRISPR/Cas. Dennoch können die beiden Methoden nicht gleichgesetzt werden: Bei der Genome-Editierung wird eine genetische Veränderung ins Erbgut eingeführt, die den Mendelschen Regeln unterliegt. Ein Gene Drive umgeht die Vererbungsregeln und vererbt sich autonom an alle Nachkommen.

Regulierung von Gene Drives

Gene Drive-Systeme unterliegen grundsätzlich den nationalen und internationalen Gentechnik-Gesetzgebungen. Denn alle synthetischen Gene Drive-Organismen (GDO) sind automatisch auch gentechnisch veränderte Organismen (GVO), da sie mindestens ein Fremdgen enthalten, etwa das Enzym Cas9. Die Produkte der noch jungen Technologie sind somit bereits reguliert. Was nicht bedeutet, dass das Regelwerk nicht aufgrund der Gene Drive-Besonderheiten angepasst werden muss.