Tef auf einem Feld in Nordaethiopien

Teff, Cassava, Okra: Lange vernachlässigt, bald Nutzpflanzen der Zukunft?

Es gibt zahlreiche Nutzpflanzen, die im globalen Süden von regionaler Bedeutung sind, auf dem Weltmarkt aber kaum eine Rolle spielen und von der Wissenschaft bisher wenig beachtet wurden. Sie werden als Orphan Crops bezeichnet, sinngemäß Waisenpflanzen. Dazu gehören etwa Teff, Enset, Yams oder Cassava (Maniok). Viele dieser Nutzpflanzen sind nährstoffreich und robust. Im Zuge des Klimawandels wächst das Interesse an ihnen. Die neuen Zuchtmethoden wie CRISPR/Cas9 könnten helfen, ihr Potenzial weiter zu erschließen.

Die Hälfte aller von Menschen konsumierten Kalorien stammen aus nur drei Getreidesorten: Weizen, Mais und Reis. Das Gros dieser drei Kulturen wird überdies nur in einer Handvoll Länder produziert: USA, China, Brasilien, Indien und Europa, die mithilfe von Dünger, Pestiziden und Bewässerungssystemen einen hohen Ertrag zu einem günstigen Preis erwirtschaften.

Die Konzentration auf nur wenige Getreidearten, die in großem Stil in wenigen Regionen angebaut werden, trägt einerseits zur globalen Ernährungssicherheit bei. Andererseits gefährdet sie diese: Denn etliche Länder, darunter viele der ärmsten, sind auf Importe dieser Grundgetreide angewiesen, um ihre Bevölkerung zu ernähren. Sobald die Produktion oder der Handel mit einer oder mehreren dieser Kultursorten zurückgeht, so wie aktuell im Gefolge der Corona-Pandemie und des Ukraine-Konflikts, steigen die Preise, was mehr Menschen Hunger leiden lässt.

Hinzu kommen die Folgen des zunehmend spürbaren Klimawandels: Wetterextreme wie Hitzewellen und Überschwemmungen gefährden die Ernten weltweit. Das Dilemma dabei: Die Intensivlandwirtschaft ist nicht nur Opfer des Klimawandels, sondern auch Verursacher: Sie emittiert klimaschädliche Gase und trägt maßgeblich zu Landverödung, Wasserverschmutzung und dem Verlust an Biodiversität bei.

Experten sind sich daher einig, dass die Lebensmittelsysteme dringend umgestaltet werden müssen, um die Ernährungssicherheit langfristig zu sichern: Bis zum Jahr 2050 wird die Weltbevölkerung schätzungsweise auf knapp zehn Milliarden Menschen anwachsen. Am stärksten wächst die Bevölkerung in den Ländern des globalen Südens, wo heute schon die Mehrheit der über 800 Millionen Unterernährten lebt – Länder, die Orphan Crops anbauen und häufig zusätzlich auf Importe von Grundnahrungsmitteln angewiesen sind.

Eine von vielen notwendigen Maßnahmen ist daher die Stärkung der regionalen Lebensmittelproduktion. Das heißt auch, die züchterische Verbesserung lokal angebauter Pflanzen. Ist nun also die Zeit der Orphan Crops gekommen? Die Vielfalt der so genannten Waisenpflanzen ist groß und umfasst Hülsenfrüchte, Getreide, Gemüse und Wurzelknollen. Einige wenige haben es heute schon bis in die Regale der Industrieländer geschafft, etwa Hirse, Süßkartoffeln, Kichererbsen und Quinoa. Manche der so genannten Waisenkulturen ernähren Millionen Menschen, etwa die stärkehaltige Cassava-Wurzelknolle (Maniok) und die Zwerghirse Tef.

Tef

Teff (Zwerghirse) ist robust und an schwierige Wachstumsbedingungen angepasst. (Foto oben: Teff-Feld in Nord-Äthiopien)

Cassava

Cassava (Maniok) ist Grundnahrungsmittel für fast eine Milliarde Menschen.

Fotos: iStock, Wikimedia/CC BA-SA 3.0, IFAD Photography

Teff, Cassava, Kichererbsen - mehr Interesse, mehr Forschung

Trotz ihrer teilweise großen landwirtschaftlichen Bedeutung wurden Orphan Crops wissenschaftlich vernachlässigt: Ihre wirtschaftliche Bedeutung für den Weltmarkt wurde von der Industrie als gering eingeschätzt, entsprechend wenig wurde an ihnen geforscht. Viele Sorten sind daher genetisch kaum charakterisiert, häufig ist das Erbgut nicht entschlüsselt. Damit fehlen wichtige Informationen, um die Pflanzen hinsichtlich Ertrag, Nährstoffzusammensetzung und Schädlingsresistenzen zu verbessern.

Das Interesse an Orphan Crops ist in den vergangenen Jahren allerdings gewachsen, auch weil sie Eigenschaften besitzen, die sie im Hinblick auf den Klimawandel interessant machen: Viele sind an schwierige Wachstumsbedingungen angepasst, manche tolerieren sowohl trockene als auch nasse Böden.

Etwa die Zwerghirse Teff: Das Getreide stammt aus Äthiopien, wo es seit rund 6000 Jahren angebaut wird und bis heute zum traditionellen Fladenbrot Injera verarbeitet wird. Teff ist reich an Nährstoffen und weist einen natürlich hohen Eisen- und Zinkgehalt auf. „Teff hat außerdem einen geringen glykämischen Index und enthält kein Gluten, weswegen die Nachfrage global steigt“, sagt der Biologe und gebürtige Äthiopier Zerihun Tadele von der Universität Bern, der die Zwerghirse im Rahmen des Tef Improvement Project seit fast zwei Jahrzehnten erforscht und verbessert.

Denn so widerstandsfähig Teff auch ist, der Flächenertrag ist gering: Die langen Stiele knicken bei Wind und Regen unter der Last der Körner schnell um. Das Team um Tadele hat mittlerweile mehrere Sorten mit kürzeren und kräftigeren Halmen für unterschiedliche Anbaubedingungen entwickelt. Eine trägt den verheißungsvollen Namen „Ebba“ was Segen bedeutet: So konnte der durchschnittliche Ertrag von 1,7 Tonnen pro Hektar mit den neuen Sorten auf rund drei Tonnen pro Hektar gesteigert werden, was etwa dem durchschnittlichen Weizenertrag in Äthiopien entspricht. (In Europa erbringt Weizen durchschnittlich 6-7 Tonnen pro Hektar.) „Die fünf Sorten wurden 2017, 2019 und 2021 nach mehrjährigen Feldtests in Äthiopien zugelassen und sollen Kleinbauern zu einer besseren Ernte verhelfen“, erklärt Tadele, der an weiteren Verbesserungen arbeitet.

Die Forschung an Teff wird seit 2006 von der Syngenta Stiftung für nachhaltige Landwirtschaft gefördert. Tatsächlich sind Stiftungsgelder der Hauptfinanzierungsweg für die Forschung an Orphan Crops. „Vor 20 Jahren hatten sich nur wenige Labore für Cassava interessiert“, erzählt Wilhelm Gruissem seit kurzem Emeritus der ETH Zürich, dessen Arbeit an der „Kartoffel der Tropen“ von der Bill & Melinda Gates-Stiftung finanziert wird. „Das Geld hat die Forschung an Cassava enorm vorangebracht.“

Cassava - schneller zu Krankheitsresistenzen mit Genome Editing

Cassava ernährt fast eine Milliarde Menschen. Die Pflanze toleriert Trockenheit und gedeiht auch in kargen Böden, aber sie ist anfällig für Viruserkrankungen, die die Ernte empfindlich schmälern können. Mithilfe der klassischen Gentechnik ist es einer US-amerikanischen Forschergruppe, die mit knapp 12 Millionen Euro von der Gates-Stiftung gefördert wurde, gelungen, eine gegen das Braunstreifen-Virus resistente Cassava-Sorte zu züchten, die Kenia 2021 zugelassen hat. Und Gruissems Team ist es mithilfe aufwändiger Genomanalysen gelungen das Gen zu entdecken, dass eine bestimmte Resistenz gegen die Cassava-Mosaikkrankheit vermittelt. „Möglicherweise lässt sich das Gen mithilfe von CRISPR/Cas punktgenau editieren, um resistente Pflanzen zu erhalten“, so Gruissem.

Dank der Stiftungsgelder existieren für Tef und Cassava bereits entschlüsselte und qualitativ hochwertige Genome – eine Voraussetzung für den Einsatz moderner Zuchtmethoden wie CRISPR/Cas. Momentan wird die Gen-Schere hauptsächlich dazu genutzt, Gene zu inaktivieren. „Bevor wir Gene ausschalten, müssen wir aber wissen, wofür sie zuständig sind und wie sie reguliert werden“, erklärt Gruissem, dessen Team CRISPR/Cas in Cassava bereits eingesetzt hat. Für Weizen und Mais etwa können Züchter heute auf einen enormen Wissensschatz zurückgreifen: Viele Gene für die Samenentwicklung sind bekannt oder jene, die bei Schädlingsbedarf oder Trockenheitsstress hochreguliert werden. Von diesem Wissen kann auch die Orphan Crop-Forschung profitieren, indem man nach homologen, also ähnlichen Genen in verwandten Pflanzen sucht.

„Setzt man ausreichend Mittel ein, um Orphan Crops genetisch gut zu charakterisieren, dann hat man mit den neuen Zuchtmethoden die Chance, sie schneller als mit herkömmlichen Methoden zu verbessern“, ist Gruissem überzeugt. Initiativen existieren bereits: Das African Orphan Crops Consortium etwa, ein internationales Forschungskomitee, hat es sich zum Ziel gesetzt, das Erbgut von 101 afrikanischen Nutzpflanzen zu entschlüsseln. Bei 80 Pflanzen wurde mit dem Sequenzieren begonnen, acht Genome wurden veröffentlicht, vier weitere stehen kurz davor. Erste Machbarkeitsstudien mit CRISPR/Cas wurden ebenfalls schon durchgeführt: Neben Cassava und Tef wurden die Gen-Schere unter anderem auch in Kichererbse, Banane, Kochbanane, Aubergine und Physalis getestet.

„Wir sollten in der Pflanzenzucht die Methode wählen, die am einfachsten zum Ziel führt.“

Genome Editing unterliegt in Orphan Crops allerdings den gleichen Einschränkungen wie in gängigen Nutzpflanzen auch: Es ist mitunter schwierig die Werkzeuge wie die Gen-Schere in die Pflanzenzellen zu bekommen (Transformation) und die entsprechend veränderten Keimlinge heranzuziehen (Regeneration). Bei Orphan Crops stellt das ein besonderes Hindernis dar, da erprobte Protokolle fehlen. Außerdem lassen sich komplexe Merkmale wie der Ertrag, die durch viele Gene reguliert werden, in der Regel nicht durch das Inaktivieren eines einzelnen Gens beeinflussen. „Genome Editing ist eine vielversprechende Methode, aber nicht die alleinige Lösung“, folgert Tadele, der bewusst auf den Einsatz von Gentechnik verzichtet: „In Äthiopien gibt es keine entsprechende Gesetzgebung und die Akzeptanz ist gering.“

Neben dem Mangel an Interesse und Investitionen erschweren damit auch die unterschiedlichen Gentechnik-Einschätzungen der Länder die dringend gebotene Erforschung und Entwicklung von Orphan Crops. „Idealerweise sollten wir in der Pflanzenzucht die Methode wählen, die am einfachsten zum Ziel führt“, sagt Gruissem, „frei von jeder Ideologie.“

Diversifizierung in der Landwirtschaft ist nicht nur ein Thema des globalen Südens, wie ein EU-Projekt zeigt: Beim CROPDIVA-Ansatz (Climate Resilient Orphan Crops for increased Diversity in Agricultur) sollen sechs wenig genutzte Sorten zurück aufs Feld: Hafer, Nacktgerste, Triticale, Buchweizen, Ackerbohnen und Lupinen. Der Anbau dieser Arten soll helfen, die Landwirtschaft besser an die Herausforderungen durch den Klimawandel anzupassen und den Landwirten neue Einnahmequellen erschließen.


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