
Gluten, Allergene, Koffein, Nikotin: Unerwünschtes einfach abschalten?
Gluten im Weizen, Allergene, Koffein, Nikotin - Pflanzen produzieren Inhaltsstoffe, die gesundheitsschädlich oder für bestimmte Personengruppen unverträglich sind. Manches ist auch einfach unerwünscht oder gerade nicht im Trend. Wäre es nicht eine gute Sache, wenn man in den Pflanzen die Bildung solcher Substanzen einfach „abschalten“ würde? Theoretisch geht das, doch in der Praxis ist es komplizierter - bisher jedenfalls. Mit den neuen molekularbiologischen Verfahren - vor allem mit der Genschere CRISPR/Cas - eröffnen sich jedoch neue Möglichkeiten.
Grundsätzlich ist es möglich: Durch bestimmte gentechnische Verfahren kann ein einzelnes Gen im Genom einer Pflanze „abgeschaltet“ werden. Dadurch wird die in der DNA codierte „Bauanleitung“ nicht ausgeführt. Die Folge: In den Ribosomen, den Eiweißfabriken der Zellen, wird das betreffende Protein nicht hergestellt.

Weizen ohne Gluten? Von Zöliakie-Kranken gewünscht, aber nicht einfach zu erfüllen. Erst mit Hilfe der Genschere CRISPR/Cas könnte es möglich werden, einen solchen Weizen zu entwickeln.

Koffeinfreier Kaffee, der schmeckt. Bei der heute angewandten Entkoffeinierung gehen auch viele erwünschte Geschmacksstoffe verloren. Besser wäre es, wenn in der Kaffeebohne erst gar kein Koffein entstünde. Einige Forschergruppen arbeiten daran.
Großes Foto oben: Brötchen, gebacken mit glutenfreiem Mehl. (Milkos/123rf)
Schon länger arbeitet man mit geeigneten Verfahren wie RNA-Interferenz (RNAi) daran, Gene zu blockieren, die für die Bildung unerwünschter Substanzen in Lebensmitteln verantwortlich sind. Dabei wird die Aktivität des Zielgens durch das Einführen eines komplementären Gens blockiert. Mit den neuen, wesentlich präziser arbeitenden Genome Editing-Verfahren - insbesondere der Genschere CRISPR/Cas - ist das gezielte Ausschalten einzelner oder mehrerer Gene nun auf relativ einfache Weise möglich. Doch nicht immer sind damit alle Probleme gelöst.
Gluten ist ein Proteingemisch, das in Getreidearten wie Weizen, Roggen und Gerste vorkommt. In Weizen verbinden sich die Eiweiße Gliadin und Glutenin zu Gluten, sobald sie mit Feuchtigkeit in Berührung kommen. Menschen, die unter der Stoffwechselkrankheit Zöliakie leiden, vertragen glutenhaltige Produkte nicht. Es sind vor allem die Gliadine, welche die Unverträglichkeit auslösen. Sie weisen bestimmte Molekülabschnitte (Epitope) auf, die die Immunreaktion hervorrufen.
Glutene sind jedoch auch für die erwünschten Backeigenschaften von Weizen verantwortlich. Ohne sie gäbe es keine volumigen Brotlaibe oder Brötchen, sondern Fladen wie beim Maismehl. Um glutenfreie Backwaren zu erhalten, kann man das Gluten aus Weizenmehl auswaschen, doch dafür müssen andere, technologisch und geschmacklich weniger geeignete Mehle beigemischt werden, etwa aus Buchweizen oder Sonnenblumen.
Besser wäre es, die Bildung von Gluten - präziser: der Gliadine - schon im Weizen zu unterdrücken und gleichzeitig die für die Backeigenschaften verantwortlichen Bestandteile des Glutens (Glutenine) zu erhalten. Doch im Weizen mit seinem sechsfachen Chromosomensatz gibt es bis zu 50 Gliadin-Gene. Sie alle auszuschalten ist schwierig und allein mit herkömmlicher Züchtung oder auch mit klassischer Gentechnik nahezu unmöglich.
Inzwischen setzen Forschergruppen in mehreren Ländern die Genschere CRISPR/Cas ein, um damit möglichst viele Gliadin-Gene im Weizen-Genom gleichzeitig auszuschalten. So gelang es spanischen Wissenschaftlern, 35 von insgesamt 45 Gliadin-Genen erfolgreich zu blockieren. Der Gehalt an Gliadin konnte so um bis zu 85 Prozent gesenkt werden.
An der Universität Wageningen (NL) haben Wissenschaftler mit Hilfe von CRISPR/Cas gezielt die Gene ausgeschaltet, die die Zöliakie-auslösenden Epitope in den Gliadinen codieren; alle andere Gliadin-Gene blieben dabei unverändert.
Eine ähnliche Vorgehensweise verfolgt auch das israelische Startup Ukko, das noch kürzere Gensequenzen im Weizengenom ansteuern möchte, um so wenig wie möglich an den Gliadinen zu verändern.
Allergene: Da Allergene grundsätzlich Proteine sind, könnte das jeweilige Gen unmittelbar blockiert werden. Wird als Folge davon das Allergen nicht mehr hergestellt, wäre das betreffende Lebensmittel auch für Allergiker verträglich. Mehrere internationale Forschergruppen arbeiten daran, vor allem weit verbreitete Allergene etwa in Reis, Äpfeln, Möhren, Erdnüssen oder Tomaten zu entfernen. Ein Problem dabei ist, dass Pflanzen häufig mehrere allergene Proteine enthalten. Bisher war es kaum möglich, die Bildung aller Allergene zu unterdrücken. Mit Genome Editing - insbesondere mit dem CRISPR/Cas-Verfahren - könnte es auch hier gelingen, mehrere für die Bildung allergieauslösender Proteine verantwortliche Gene gleichzeitig auszuschalten.
In Äpfeln ist es etwa das Mal-d-1-Protein, welches in den meisten Fällen für allergische Reaktionen verantwortlich ist. Mit der RNAi-Technologie haben Wissenschaftler in den Niederlanden das entsprechende Gen blockiert, so dass die Äpfel einen deutlich reduzierten Gehalt des allergenen Proteins aufweisen und somit für die meisten Apfelallergiker verträglich sind.
Bei Erdnüssen sieht die Sache deutlich komplizierter aus: Erdnussallergien können durch eine Vielzahl von Allergenen ausgelöst werden, derzeit sind 17 Allergene bekannt. Zudem werden diese allergenen Proteine oft durch mehrere Gene codiert. Es muss also nicht nur ein einzelnes Gen ausgeschaltet werden, sondern alle beteiligten Gene. Auch wenn das mit dem neuen Genome Editing-Verfahren theoretisch durchaus möglich scheint, ist es unwahrscheinlich, dass jemals eine vollkommen allergenfreie Erdnuss erzeugt werden kann. Durch das Entfernen von allen allergenen Proteinen würden zum einen die Nährstoffe und der Geschmack der Erdnuss stark beeinflusst. Zum anderen würde wahrscheinlich auch die Lebensfähigkeit der Pflanze selbst zerstört, da manche dieser Proteine für die Pflanze wichtige Funktionen haben.
Trotzdem versucht man, die Allergenität von Erdnüssen zu senken, indem man zumindest einen Teil der allergenen Proteine entfernt. So haben Wissenschaftler der US-amerikanischen Firma IngateyGen mit RNAi die Bildung der drei Hauptallergene der Erdnuss blockiert. Die allergen-reduzierten Erdnüsse zeigten in dreijährigen Feldversuchen keine Unterschiede hinsichtlich Geschmack und Wachstum verglichen mit konventionellen Erdnüssen. Inzwischen arbeiten die Forscher daran, mit der Genschere CRISPR/Cas möglichst alle Allergene bei Erdnüssen zu entfernen.
Pflanzenstoffe wie Koffein oder Nikotin sind gesundheitlich bedenklich und können abhängig machen. Da es sich hier nicht um Proteine handelt, kann man die verantwortlichen Gene nicht direkt blockieren oder ausschalten. Um zum Ziel zu kommen, werden bestimmte Enzyme abgeschaltet, so dass der zu Koffein oder Nikotin führende pflanzliche Stoffwechselweg unterbrochen ist. Auf diese Weise kann z.B. der Gehalt des Sucht auslösenden Nikotins in Tabakpflanzen fast vollständig reduziert werden. Andere Komponenten in den Tabakblättern, die wichtig für Geschmack und Aroma sind, werden dabei nicht beeinflusst.
Bei Kaffee versuchen Wissenschaftler Pflanzen zu züchten, die koffeinfreie oder koffeinreduzierte Kaffeebohnen tragen. Man könnte so den Prozess der Entkoffeinierung einsparen, welcher sehr aufwändig ist und den Geschmack beeinflusst. Mit der RNAi-Technologie ist es bereits gelungen, Kaffeepflanzen zu entwickeln, deren Koffeingehalt bis zu 70 Prozent reduziert ist. Auch hier wurden Gene blockiert, die bei der Bildung des Koffeins eine Rolle spielen.
Mit Hilfe von CRISPR/Cas hat das Startup-Unternehmen Tropic Biosciences in Großbritannien eine Kaffeesorte entwickelt, die koffeinreduzierte Bohnen liefert. Die Forscher konnten genau die Gene ausschalten, die für die Koffeinproduktion in den Bohnen verantwortlich sind. Der Kaffee aus den editierten Kaffeebohnen soll besser schmecken und bessere Inhaltsstoffe enthalten als herkömmlicher entkoffeinierter Kaffee.
Themen

Nikotinarme Zigarette. Unter dem Markennamen Quest sind in den USA seit 2003 Zigaretten auf dem Markt, die weniger oder kein Nikotin enthalten. Quest-Zigaretten werden aus gv-Tabak hergestellt, in dem ein tabakeigenes, an der Nikotinbildung beteiligtes Enzym blockiert ist. - Der Markterfolg war allerdings enttäuschend. Allein ein geringerer Nikotin-Gehalt hat aus Quest-Zigaretten kein „gesundes“ Produkt gemacht. Alle übrigen gesundheitsschädlichen Stoffe werden beim Rauchen weiterhin eingeatmet.
Im Web
- How Scientists Are Engineering Allergy-Free Wheat and Peanuts. Verywell Health, 05.02.2021
- Jouanin, A. et al. (2019): Outlook for coeliac disease patients: towards bread wheat with hypoimmunogenic gluten by gene editing of α- and γ-gliadin gene families. BMC Plant Biol. 19(333)
- García-Molina, M.D. et al. (2019): Gluten Free Wheat: Are We There? Nutrients 11(3)
- Gluten-safe wheat created by Dutch researchers using CRISPR. Food Dive, 07.03.2019
- Sánchez-León, S. et al. (2018): Low‐gluten, nontransgenic wheat engineered with CRISPR/Cas9. Plant Biotechnology Journal 16(4)
- Gil-Humanes, J. et al. (2014): Reduced-Gliadin Wheat Bread: An Alternative to the Gluten-Free Diet for Consumers Suffering Gluten-Related Pathologies. PLOS ONE
- Ogo, Y. et al. (2014): Generation of transgenic rice with reduced content of major and novel high molecular weight allergens. Rice 7(19)
- Schachtsiek, J. & Stehle, F. (2019): Nicotine‐free, nontransgenic tobacco (Nicotiana tabacum L.) edited by CRISPR‐Cas9. Plant Biotechnol J. 17(12)
- Nikotinreduzierte Zigaretten aus transgenen Tabakpflanzen: Our Tobacco Technology, 22nd Century Group
- Using CRISPR, Tropic Biosciences is (…) developing a coffee bean that’s naturally decaffeinated. Fast Company, 13.06.2018