Neue Züchtungstechniken: Was eine Pflanze zu einer gentechnisch veränderten macht

(10.03.2015) Ein mit einem neuen Züchtungsverfahren hergestellter herbizidresistenter Raps ist nach den Bestimmungen des Gentechnik-Gesetzes nicht als gentechnisch veränderter Organismus (GVO) anzusehen. Das hat das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) der kalifornischen Firma Cibus in einem förmlichen Bescheid mitgeteilt. Dagegen stufen Verbände und Organisationen aus der Anti-Gentechnik-Bewegung den Raps „eindeutig als Gentechnik“ ein und haben Widerspruch eingelegt. Es ist der erste große Konflikt um neue molekularbiologische Verfahren, die zunehmend auch in der Pflanzenzüchtung eingesetzt werden.

Rapsblüte

Raps - gentechnisch verändert oder nicht? Einen mit einem neuen molekularbiologischen Verfahren gezüchteten Raps stufen Behörden und wissenschaftliche Kommissionen nicht als „gentechnisch verändert“ ein. Gentechnik-Kritiker sehen das anders.

Ein neues Verfahren für die Pflanzenzüchtung: Oligonukleotid gerichtete Mutagenese (ODM)

Was? Molekularbiologische Methode, um gezielt Mutationen im Genom hervorzurufen.

Wie? Kurze DNA-Abschnitte (Oligonukleotide) werden synthetisch hergestellt und mit verschiedenen Verfahren in die Zelle eingeführt. Dort lösen sie an einer bestimmten Stelle im Genom zielgenau eine Mutation aus, die nur ein oder einige wenige Basenpaare betrifft.

Die Oligonukleotide wirken ähnliche wie Chemikalien oder Strahlen, die Mutationen auslösen. Der Unterschied: Mit dem ODM beschränken sich die ausgelösten Mutationen auf ein Gen, während sie sich bei der herkömmlichen Mutationszüchtung auf das gesamte Genom erstrecken.

GVO? Mutationszüchtung gilt nicht als gentechnisches Verfahren. Damit hergestellte Pflanzensorten sind nicht reguliert. ODM-gezüchtete Pflanzen werden ebenso eingestuft und fallen damit nicht unter die Gentechnik-Gesetze.

Pflanzen, bei deren Züchtung ODM eingesetzt wurde, sind nicht von anderen herkömmlich gezüchteten Pflanzen unterscheidbar. Ein technologie-spezifischer Nachweis ist bei den jeweiligen Pflanzen nicht möglich.

Die Anfrage hatte die europäische Niederlassung von Cibus eingereicht. Das kalifornische Technologie-Unternehmen nutzt neue molekularbiologische Verfahren für die angewandte Pflanzenforschung. Mit dem von Cibus entwickelten RTDS-System (Rapid Trait Development System) hat es eine neue Rapslinie hergestellt, die ähnlich wie die in verschiedenen Ländern seit Jahren zugelassenen gv-Rapspflanzen eine Resistenz gegenüber Herbiziden aufweist, sich von diesen aber deutlich unterscheidet.

Das RTDS-System basiert auf dem ODM- Verfahren (Oligonukleotid gerichtete Mutagenese; siehe Kasten links). Es nutzt natürliche Mechanismen, wie sie in allen Pflanzenzellen wirksam sind. Zunächst werden spezielle DNA-Abschnitte (Oligonukleotide) hergestellt und in eine Pflanzenzelle eingeführt. Dort lösen an einer ganz bestimmten Stelle im Genom punktgenau Mutationen aus. Dabei werden einzelne DNA-Bausteine (Basenpaare) abgeschaltet oder ausgetauscht; es können auch kurze zelleigene DNA-Abschnitte eingefügt werden.

Im Kern ist das ODM-Verfahren eine gezielte und gelenkte Mutation, viel präziser als die herkömmliche Mutationszüchtung, bei der mit Chemikalien oder Bestrahlung über das ganze Genom verstreut ungerichtet und zufällige Mutationen ausgelöst werden. Das ODM-Verfahren wird daher von vielen Experten der Mutagenese zugerechnet, die vom deutschen Gentechnik-Gesetz und den EU-Richtlinien nicht als Gentechnik gilt und daher ohne besondere Auflagen genutzt werden kann.

Schon 2012 hatte sich die Zentrale Kommission für Biologische Sicherheit (ZKBS) mit „neuen Techniken in der Pflanzenzüchtung“ befasst. In ihrer Stellungnahme klassifizieren die Wissenschaftler ODM-gezüchtete Pflanzen nicht als „gentechnisch verändert“. Es werde kein rekombinantes Material in die Pflanze eingeführt und nur solche Mutationen herbeigeführt, „wie sie gleichermaßen auch spontan oder nach Anwendung von Mutagenen auftreten könnten“.

Auf der Grundlage dieser ZKBS-Stellungnahme hat nun das BVL als zuständige deutsche Gentechnik-Behörde die Anfrage zum Cibus-Raps beantwortet. Ihr Bescheid stellt fest, dass es sich dabei nicht um gentechnisch veränderten Raps handelt. Bleibt es dabei, könnte dieser Raps ohne Zulassung auf den Markt kommen und ohne die bei gv-Sorten vorgeschriebenen Auflagen angebaut werden.

Die Gentechnik-ablehnenden Organisationen stufen die ODM-Technik dagegen „eindeutig als Gentechnik ein und fordern eine Regulierung“. In einer gemeinsamen Erklärung verweisen sie auf die „gleichen Bedenken hinsichtlich Risiken und Nebenwirkungen wie bei der klassischen Gentechnik.“ Inzwischen haben sie einen formellen Widerspruch gegen den BVL-Bescheid eingelegt.

Die ODM-Technik ist nicht das einzige neue molekularbiologische Verfahren, das aus der Grundlagenforschung kommt und allmählich in die praktische Pflanzenzüchtung einzieht. Die Verfahren werden oft mit Genome Editing oder Präzisionszüchtung zusammengefasst. Anders als bei der klassischen Gentechnik werden dabei keine neuen „artfremden“ Gene oder Genkonstrukte in das Genom einer Pflanze eingeführt, sondern das vorhandene Erbgut wird an ganz bestimmten Stellen „umgeschrieben“. Aus den Zellen, bei denen diese Techniken eingesetzt werden, gehen Pflanzen hervor, die in der Regel nicht von natürlichen unterscheidbar sind.

Doch ob Genome Editing und andere innovative molekularbiologische Verfahren tatsächlich einmal breiter in der Pflanzenzüchtung genutzt werden, hängt entscheidend davon ab, ob die damit entwickelten Pflanzen als GVO eingestuft werden oder nicht.

Die neuen Verfahren eröffnen den Züchter Möglichkeiten, gezielter vorzugehen und einige zeit- und kostenintensive Schritte abzukürzen. Die Techniken könnten zusätzliche und präzisere „Werkzeuge“ sein, um zu direkter zu Sorten mit neuen oder verbesserten Eigenschaften zu kommen. Doch wenn sie am Ende als „gentechnisch verändert“ gelten und damit zulassungs- und kennzeichnungspflichtig wären, hatten sie auf dem Markt gegenwärtig wohl kaum eine Chance.