Pharmawirkstoffe und Gentechnik

Arzneimittel: Mehr als jeder zweite neu zugelassene Wirkstoff ist gentechnisch hergestellt

Wenn es der Gesundheit nützt, scheint Gentechnik selbstverständlich: Inzwischen sind in Deutschland 365 Arzneimittel auf dem Markt, die gentechnisch hergestellt sind. Von den neu zugelassenen Wirkstoffen wird bereits jeder zweite von gentechnisch veränderten Mikroorganismen oder Zellen produziert. In vielen Bereichen - etwa Impfstoffe oder Krebskrankheiten - haben Gentechnik und Molekularbiologie deutliche Fortschritte gebracht und neue Therapieformen ermöglicht. Spätestens seit der Corona-Pandemie ist die Gentechnik breit akzeptiert. Doch das war nicht immer so.

Corona Impfstoff

Corona-Impfstoffe: Gut, dass es die Gentechnik gibt. Wie wichtig gentechnische und molekularbiologische Verfahren gerade im Kampf gegen neue Infektionskrankheiten sind, zeigt die Corona-Pandemie. Innerhalb weniger Wochen gelangen Isolierung und genetische Entschlüsselung des Virus. Damit konnten nicht nur PCR-Tests entwickelt werden, sondern vor allem hochwirksame Impfstoffe.

Foto: iStock, Grafik oben: iStock

Seit der Einführung des zentralen EU-Zulassungsverfahrens 1995 wurden in Deutschland 365 gentechnisch hergestellte Arzneimittel mit 324 Wirkstoffen zugelassen, mindestens 18 weitere Arzneimittel mit 15 Wirkstoffen hatten schon vorher eine Marktzulassung erhalten (Stand Mai 2023).

Bei den neu zugelassenen Wirkstoffe werden sogar schon gut die Hälfte mit gentechnisch veränderten Mikroorganismen oder Zellkulturen produziert. Von den insgesamt 63 Wirkstoffen, die 2022 neu zugelassen wurden, werden 37 gentechnisch hergestellt, davon sind 30 Original-Biopharmazeutika und sieben Biosimilars, Nachbildungen von Originalpharmaka nachdem deren Patente ausgelaufen sind. Sie sind in der Regel deutlich billiger.

Der Umsatz mit gentechnisch hergestellten Pharma-Produkten stieg 2022 gegenüber dem Vorjahr um gut zehn Prozent auf 17,8 Milliarden Euro. Das entspricht einem Anteil von 32,9 Prozent am Gesamt-Pharmamarkt - Tendenz steigend. Darin sind noch nicht einmal die Umsätze der von der Bundesregierung bezahlten Sars-Cov2-Impfstoffe enthalten (geschätzt 2 - 2,5 Mrd. Euro).

Die wichtigsten Anwendungsfelder für gentechnisch hergestellte Medikamente - auch als Biopharmazeutika oder Biologika bezeichnet - sind Krebserkrankungen und neue innovative Therapien (Umsatz in Deutschland 2022 5228 Mio €), Immunologie und Autoimmunkrankheiten (4945 Mio €), Stoffwechselerkrankungen (2488 Mio €), Erkrankungen des Zentralen Nervensystems, Impfstoffe und antivirale Wirkstoffe, aber auch Makuladegeneration und Osteoporose.

Verschiedene Impfstoffe gegen Hepatitis B, Gebärmutterhalskrebs, Tetanus, Diphterie oder Hirnhautentzündungen (Meningokokken) stammen inzwischen ebenso aus gentechnischer Herstellung wie solche gegen Cholera, Grippe und Papillomaviren (Auslöser von Gebärmutterhalskrebs und anderen Krankheiten). Auch ein gentechnisch entwickelter Vektor-Impfstoff gegen Ebola ist in der EU zugelassen - und natürlich die neuartigen Impfstoffe gegen Corona (Sars-CoV-2).

Die Forschungspipeline ist gut bestückt: 672 neue Biopharmazeutika befinden sich 2022 in der klinischen Erprobung, davon 133 in der Phase III. Die weitaus meisten sind rekombinante Antikörper (439 in klinischen Studien, davon 87 in Phase III). 2005 waren erst 256 Biopharmazeutika in der klinischen Erprobung.

Als Produktionsorganismen für medizinische Wirkstoffe kommen vor allem Zellkulturen zum Einsatz, meist Linien aus Hamstern oder Mäusen, aber auch Humanzellen. In zahlreichen Anlagen „arbeiten“ gentechnisch veränderte Kolibakterien (E. coli) und verschiedene Hefestämme, die mit gentechnischen Verfahren so „umgebaut“ wurden, dass sie die jeweiligen Wirkstoffe produzieren. Zwei zugelassene Wirkstoffe stammen aus gv-Tieren: Ziegen liefern einen Wirkstoff (Atryn) zur Thrombose-Vorbeugung, Kaninchen einen gegen das hereditäre Angioödem, eine seltene Erbkrankheit.

Produziert werden die in Deutschland zugelassenen Wirkstoffe vor allem in den USA. Immerhin knapp 60 gentechnische Produktions-Anlagen stehen in Deutschland, gut 100 in den übrigen EU-Ländern, aber auch in Singapur, Indien, Japan und weiteren außereuropäischen Ländern.

Heute sind solche Medikamente - sowohl für Ärzte, als auch für Patienten - etwas Selbstverständliches. Grundsätzliche Vorbehalte wegen der Herstellungsweise gibt es auch in Deutschland nicht mehr. Noch vor gut zwanzig Jahren war das anders. Gentechnik-Kritiker stellten nicht nur Nutzen und Wirksamkeit gentechnisch hergestellter Medikamente in Zweifel, sondern auch die Sicherheit der Produktionsanlagen. Die gv-Mikroorganismen könnten in die Umwelt entweichen, dort ihre eingeführten Gene weitergeben und so zu irreversiblen Schäden führen. Die Grünen und viele Umweltorganisationen forderten damals sogar ein völliges Gentechnik-Verbot.

Erst 1998, vierzehn Jahre nach dem ersten Antrag, nahm in Frankfurt die Anlage zur Produktion von Humaninsulin ihren Betrieb auf. Lange Diskussionen und immer neue Gutachten zum „Restrisiko“ hatten den Start verzögert. Heute sind in Deutschland 26 gentechnisch hergestellte Insulin-Wirkstoffe zugelassen. Elf werden in Dänemark hergestellt, vier in den USA und acht in Deutschland.

Seit den ersten gentechnisch hergestellten Wirkstoffen wie Insulin oder dem Nierenhormon Erythropoietin (EPO) haben sich Molekularbiologie und Produktionstechnik weiterentwickelt. Anders als einfache Medikamente sind heutige Biopharmazeutika große, komplexe Makromoleküle, die aus 20.000 Atomen - oder sogar mehr - bestehen und eine bestimmte dreidimensionale Struktur aufweisen müssen, um die jeweilige Wirkung zu erzielen. Erst mit der modernen Biotechnologie ist es möglich geworden, solche Medikamente in gleichbleibender Qualität herstellen zu können - mit Hilfe gezielt dafür veränderter Zellkulturen, Hefen oder Bakterien.

Mit der einfachen Gentechnik aus den 1990er-Jahren - ein Gen für einen Wirkstoff isolieren und in einen Produktionsorganismus übertragen - ist es längst nicht mehr getan. So kann man heute etwa einen bestimmten Stoff mit genau definierten Eigenschaften mit Hilfe von Computerprogrammen in den jeweiligen genetischen Code übersetzen und dann ein solches synthetisches Gen in geeignete Mikroorganismen oder Zellen übertragen. Zudem ist in den letzten Jahren die Synthetische Biologie hinzugekommen. Forscher können damit neue, zu den gewünschten Wirkstoffen führende Stoffwechselwege „konstruieren“ und sie dann in geeignete biologische Systeme übertragen.

Diskussion / Kommentare

Kommentare werden geladen…