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Doppeltes Spiel bei Gentechnik-Pflanzen: Jede Menge Import-Zulassungen, aber Anbau bleibt tabu

Es ist längst Routine: Im Januar 2024 hat die EU-Kommission eine weitere gentechnisch veränderte Pflanzen für den Import zugelassen. Damit können nun 98 solcher Pflanzen in die EU eingeführt und als Lebens- und Futtermittel vermarktet werden. Dagegen stammt die Zulassung für die einzige gv-Pflanze, die in der EU angebaut werden darf, aus dem Jahre 1998. Neuere Anträge sind zwar wissenschaftlich begutachtet, hängen aber seit Jahren in der politischen Warteschleife.

Bei der Grünen Gentechnik zeigt die EU ein doppeltes Gesicht: In vielen Mitgliedstaaten – etwa in Deutschland, Frankreich oder Italien – finden gentechnisch veränderte Pflanzen und Lebensmittel in der breiten Öffentlichkeit wenig Akzeptanz. Viele Regierungen folgen diesem Meinungsklima und stimmen in Brüssel gegen weitere Zulassungen von gv-Pflanzen. Andere, dazu gehört oft Deutschland, enthalten sich. Es scheint, als gäbe es auf der europäischen Bühne für die Gentechnik keine Mehrheiten. Doch jenseits der großen populistischen Gesten sieht die Realpolitik ganz anders aus.

Importzulassung für gv-Pflanzen in der EU, Stand: 02/24

Import-Zulassungen für gv-Pflanzen in der EU, 2007 bis 2024. In den zehn Jahren davor wurden nur einige wenige Mais- und eine Sojazulassung erteilt.

Für den Anbau zugelassene Events weltweit/Import-Zulassungen Europa:

Soja: 41/26

Mais: 136/48*

Baumwolle: 57/15

Raps: 35/8*

* 18 Zulassungen für Stacked Events (Event-Kombinationen) bei Mais und 2 bei Raps umfassen zusätzlich zahlreiche Unterkombinationen aus den einzelnen Events.

Anträge für Anbau gv-Pflanzen in der EU

An Sb Zu
MON810 (1) 1995 1998 1998
MON810 (2) 2007 2009 -
Bt11 1996 2005/2016 -
TC1507 2001 2005/2016 -
GA21 2008 2011/2016 -
59122 2005 2013 -
TC1507 x 59122 2005 - -

An=Antrag eingereicht
Sb=Sicherheitsbewertung abgeschlossen
Zu=Zulassung
Gv-Mais MON810 wurde auf Basis früherer Rechtsvorschriften zugelassen, diese Zulassung lief 2007 aus. Sie ist jedoch weiterhin gültig, da ein Erneuerungsantrag ordnungsgemäß eingereicht wurde.

Gv-Pflanzen Import; Anzahl Zulassungen und Anträge in der EU

Zu Sb An
Sojabohnen 26 1 5
Mais 48 10 11
Raps 8 1 6
Baumwolle 15 1 2
Zuckerrübe 1 - 1
Alle 98 13 25

Zu=gültige Zulassung nach aktuellem Recht
Sb=Sicherheitsbewertung abgeschlossen
An=Antrag eingereicht

Dauer der Zulassungsverfahren (Import)

- Jahre
Abschluss SiBe 3,6
Entscheidung Zulassung 1,3
Verfahren gesamt 4,9

Quelle: GMO-Register EU, EFSA, ISAAA

Großes Foto oben: iStock

Aktuell sind 98 verschiedene gv-Pflanzen in der EU zugelassen, meist zahlreiche unterschiedliche Linien (Events) bei Mais, Soja und Baumwolle (siehe Kasten). Erlaubt ist jeweils der Import in die EU und ihre Verwendung als Lebens- und Futtermittel. Vom Einreichen des Antrags bis zum Abschluss der wissenschaftlichen Sicherheitsbewertung benötigt die zuständige EU-Behörde (EFSA) durchschnittlich 3,6 Jahre. Weitere 1,3 Jahre vergehen bis zur rechtsgültigen Zulassung.

Das alles entspricht den Gentechnik-Gesetzen, die sich die EU als Ganzes mit Zustimmung aller Mitgliedstaaten und des EU-Parlaments gegeben hat. Darin sind Bedingungen festgelegt, unter denen gentechnisch veränderte Organismen (GVO) genutzt werden dürfen. Doch so streng und kompliziert diese Vorschriften auch sind – pauschale Verbote ohne wissenschaftliche Grundlage sind nicht vorgesehen und - eigentlich - auch nicht erlaubt.

Hier viel politische Rhetorik von möglichen Gefahren und striktem Vorsorgeprinzip, dort der diskrete Vollzug geltender Gentechnik-Gesetze. Dieser Widerspruch führt zu einer Gemengelage, die von außen kaum zu durchschauen ist.

Zwar sollen Zulassungsentscheidungen ausschließlich auf Basis einer eingehenden wissenschaftlichen Überprüfung getroffen werden, in die auch die Fachbehörden der Mitgliedstaaten eingebunden sind. Doch zusätzlich verlangen die EU-Verträge eine besondere politische Entscheidung, ob denn eine nach den eigenen Standards als sicher bewertete gv-Pflanze auch tatsächlich zugelassen werden soll. Dabei hat sich ein merkwürdiges Ritual eingespielt.

Bei der Abstimmung in den für solche Verfahren vorgesehenen Ausschüssen (Komitologie-Verfahren) blockieren sich die Lager gegenseitig: Die für eine Entscheidung erforderliche qualifizierte Mehrheit (55 Prozent der EU-Mitgliedstaaten, die mindestens 65 Prozent der Bevölkerung repräsentieren) kommt nicht zustande - weder für noch gegen eine Zulassung. Keine Seite ist stark genug, um sich durchsetzen zu können.

In solchen Fällen ist die EU-Kommission nach den europäischen Verträgen verpflichtet, die geltenden Rechtsvorschriften zu „vollziehen“ - eine gv-Pflanze also zuzulassen, wenn sie von der Europäischen Lebensmittelbehörde (EFSA) als sicher begutachtet wurde. Alle 98 bisher erteilten Importzulassungen sind auf diesem eigentlich nur in Ausnahmefällen vorgesehenen Umweg erfolgt.

Mit ihrem Verhalten entsprechen die nationalen Regierungen zwar den gentechnik-kritischen Stimmungen in ihren jeweiligen Ländern, doch Verantwortung für die Folgen müssen sie nicht übernehmen. Sie können sich darauf verlassen, dass die jeweiligen gv-Pflanzen am Ende dennoch zugelassen werden und somit der Import von Agrarrohstoffen - vor allem Sojabohnen - weiterhin möglich ist. Europa ist auf die Einfuhr großer Mengen an Sojabohnen angewiesen, überwiegend aus Ländern, in denen großflächig gv-Sojabohnen angebaut werden.

In dieser Konstellation liegt die Rolle des „Bösen“, der Gentechnik gegen die „Mehrheit der Verbraucher“ durchdrückt, immer bei der EU-Kommission in Brüssel, die des „Guten“, der beharrlich, aber scheinbar vergeblich dagegen kämpft, bei den Regierungen der Mitgliedstaaten. Als die Kommission, dieser Inszenierung überdrüssig, den Mitgliedstaaten auch bei Importzulassungen das Recht einräumen wollte, die Einfuhr der jeweiligen gv-Pflanze bei sich verbieten zu können, lehnten das die meisten ab. Die Verantwortung, solche nationalen Verbote tatsächlich umsetzen und die Konsequenzen tragen zu müssen, wollte kaum eine Regierung übernehmen.

Inzwischen will die EU-Kommission mit einer Reform des Ausschuss-Verfahrens (Komitologie) es den nationalen Regierungen nicht mehr so leicht machen, sich aus der Verantwortung zu stehlen. Künftig soll bei der Schlussabstimmung eine einfache Mehrheit der Mitgliedstaaten ausreichen. Enthaltungen und nicht abgegebene Stimmen werden dabei nicht mitgezählt. Das Abstimmungsverhalten der Mitgliedstaaten soll veröffentlicht werden.

Anders als beim Import dürfen die Mitgliedstaaten schon seit 2015 den Anbau von gv-Pflanzen bei sich verbieten. Die meisten - darunter auch Deutschland - haben dieses „Selbstbestimmungsrecht“ genutzt und ein Anbauverbot aller gv-Pflanzen erwirkt, die auf EU-Ebene zugelassen sind oder für die ein Antrag gestellt ist. Mit dieser Ausstiegsklausel (opt out) sollte eine Art „Stillhalteabkommen“ zwischen den Pro- und Kontra-Ländern erreicht werden, ohne zumindest dem Anschein nach den Grundsatz wissenschaftsbasierter Zulassungsentscheidungen aufzugeben.

Doch inzwischen ist auch dieser Plan gescheitert. Der Spagat, den Anbau von gv-Pflanzen im eigenen Land strikt zu verbieten, ihn aber gleichzeitig auf EU-Ebene aus formaljuristischen Gründen zu erlauben, ist der Öffentlichkeit kaum zu vermitteln. Gerade die Länder, bei denen Anbauverbote bereits in Kraft sind, versuchen die fälligen Entscheidungen immer wieder aufzuschieben. Bei fünf gv-Pflanzen (siehe Kasten), ist die jeweils letzte Sicherheitsbewertung - teilweise mit wiederholten Überprüfungen - seit mehreren Jahren abgeschlossen. Drei dieser gv-Pflanzen standen bereits in den zuständigen Ausschüssen zur Abstimmung. Doch die Mitgliedstaaten konnten sich wie immer nicht einigen und die EU-Kommission weigert sich, den Schwarzen Peter zu spielen.

Und so passiert seit Jahren nichts. An Europa als Markt für gv-Saatgut haben die antragstellenden Unternehmen längst das Interesse verloren. So bleibt den Landwirten in Spanien und Portugal, die weiter gv-Mais nutzen wollen, nur der bereits 1998 zugelassene MON810-Mais. Der Zugang zu weiteren und inzwischen auch besseren gv-Pflanzen ist ihnen verwehrt.

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