CRISPR DNA

Nach dem EuGH-Urteil zu Genome Editing: Nichtstun ist keine Lösung

(19.09.2018) Die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH), Genome Editing (Gen-Schere) genauso zu regulieren wie die „alte“ Gentechnik, hat viele Wissenschaftler schockiert. Doch das Urteil hat erst einmal Bestand. Eine höhere Instanz, die es überprüfen könnte, gibt es nicht. Der Ball liegt nun bei der Politik - und die muss handeln. Denn alles so zu lassen wie es ist, kann auf Dauer keine Lösung sein.

Die obersten EU-Richter haben nicht wissenschaftlich über ein neues molekularbiologisches Verfahren geurteilt, sondern strikt juristisch die derzeit geltenden Gentechnik-Gesetze interpretiert - und die sind im Kern über dreißig Jahre alt, entstanden in einer Zeit, als die Möglichkeit, im riesigen Genom von Lebewesen präzise, gezielte Veränderungen einzelner DNA-Bausteine (Basenpaare) durchführen zu können, als Science Fiction abgetan worden wäre.

Julia Klöckner

Julia Klöckner (CDU), Bundesministerin für Ernährung und Landwirtschaft: „Wir müssen eine Debatte führen, die wissenschaftsbasiert ist und nicht nach Stimmungen geht.“

PCR Labor Lebensmittelüberwachung

Nicht nachweisbar. Mit der PCR-Methode sind gentechnisch veränderte Pflanzen selbst in extrem geringen Anteilen gut nachweisbar. Meist werden dafür kleine, in die Pflanze eingeführte Gen-Abschnitte genutzt, die für die Gentechnik charakteristisch sind. Bei dem meisten GE-Pflanzen gibt es solche eindeutigen Indikatoren nicht. Allein über die vorgefundene DNA sind keine Rückschlüsse möglich, ob es sich um eine editierte Pflanze handelt, eine Pflanze mit natürlicher Mutation oder eine, die aus Mutationszüchtung hervorgegangen ist. Theoretisch wäre ein Nachweis möglich, wenn die genaue editierte DNA-Sequenz bekannt wäre und als Vergleichsbasis („Referenz“) dienen könnte.

Fotos: BMEL/Thomas Trutschel/photothek.net; großes Foto oben: Catalin Rusnat /123RF

So schwierig und politisch unberechenbar es auch sein mag, in den Gesetzen zumindest die GVO-Definitionen an den wissenschaftlichen Fortschritt anzupassen – nichts zu tun und die Sache einfach laufen zu lassen, ist keine Alternative. Bleiben die Gesetze so wie sie sind, wird das zu Rechtsunsicherheit führen, die Vertrauen kosten und alle betreffen wird – nicht nur Forscher und Züchter, sondern auch Behörden und letztlich die Verbraucher. Und am Ende sogar die so gentechnik-kritische Öko-Branche.

Mit Europa auf der einen Seite, den meisten großen Agrar-Ländern außerhalb der EU auf der anderen gibt es international für genom-editierte (GE-) Pflanzen (und Tiere) unterschiedliche Rechtssysteme, die nicht kompatibel sind. In einer globalen Welt mit ihren eng verflochtenen Handelsströmen sind so Konflikte vorprogrammiert.

GE-Pflanzen, in die keine größeren „fremden“ DNA-Abschnitte eingefügt wurden, bleiben in den meisten nicht-EU-Ländern - manchmal nach einer Einzelfallprüfung - von der Gentechnik-Regulierung ausgenommen. Sie können wie jede andere Nutzpflanzensorte auch ohne besondere Auflagen angebaut, geerntet und vermarktet werden. Es sind weder aufwändige Zulassungsverfahren vorgeschrieben, noch irgendeine Form der Kennzeichnung – eben genau das, was in Europa nach dem EuGH-Urteil für GE-Pflanzen gesetzlich verpflichtend ist.

Noch sind die daraus erwachsenden Probleme eher theoretischer Art. Aber schon in ein paar Jahren dürften in Nord- und Südamerika zahlreiche GE-Pflanzen auf den Feldern stehen. Bereits seit 2016 wird in USA und Kanada eine neue Rapssorte (SU-Canola) der Firma Cibus verkauft, die mit einem speziellen Verfahren (ODM) erzeugt wurde, bei dem wie beim Genome Editing gezielt nur diejenige Mutation herbeigeführt wird, die für das gewünschte neue Merkmal – hier eine Herbizidresistenz – verantwortlich ist. Mit dem gleichen Verfahren entwickelt Cibus neue Reis-, Flachs- und Weizensorten. Andere Unternehmen bereiten die Markteinführung von weiteren GE-Sorten vor, etwa bei Mais, Weizen, Kartoffeln und Sojabohnen. In den USA dürfen Produkte aus solchen Pflanzen sogar als GMO-free („ohne Gentechnik“) beworben werden.

Früher oder später werden GE-Sorten ganz selbstverständlich sein – vor allem in Ländern wie USA, Kanada, Brasilien, Argentinien, Australien oder China, in denen sie keiner strengen Regulierung unterworfen sind. Zwar werden GE-Sorten wohl meist auf separaten Feldern angebaut und von der übrigen Massenware getrennt, dennoch sind zufällige Vermischungen kaum zu vermeiden.

In Agrarimporten nach Europa werden in Zukunft mehr oder weniger große Anteile von GE-Pflanzen enthalten sein, für die in der EU nun eine Zulassung als GVO gesetzlich vorgeschrieben ist. Unabhängig von der Größe der Anteile müssten solche Importe zurückgewiesen werden – wie im Falle von GVO mehrfach geschehen.

Doch anders als bei GVO sind Spuren von GE-Pflanzen nicht nachweisbar. Der EU bleibt gar nichts anders übrig, als ihr diffuses Einsickern zu akzeptieren - ohne eigene Sicherheitsprüfung und Kennzeichnungspflichten. Die Alternative wäre, den internationalen Agrarhandel auszusetzen oder aber von den GE-nutzenden Unternehmen die editierte Gen-Sequenz einzufordern, um damit einen Nachweis der jeweiligen Pflanzen zu ermöglichen (PCR, siehe Kasten). Doch warum sollte jemand eine solche Sequenz freiwillig preisgeben, wenn er sich damit nur Nachteile – Importverbote - einhandeln würde? GE-Pflanzen, die Herstellern und Landwirten deutliche Vorteile bringen, die aber analytisch von anderen Pflanzen nicht unterscheidbar sind, lassen sich kaum an den Grenzen aufhalten.

Die kaum kontrollierbare „zufällige“ Einfuhr von GE-Pflanzen – nicht erst seit dem EuGH als potenziell gefährliche “Neue Gentechnik“ gebrandmarkt – birgt ein ständiges Skandalisierungsrisiko mit negativen Rückwirkungen auf den internationalen Agrarhandel.

Nicht nur deswegen – auch um Europa nicht von neuen Verfahren in der Pflanzenzüchtung auszuschließen, denen ein großes Potenzial für eine nachhaltige, weniger Ressourcen verbrauchende Landwirtschaft zugesprochen wird: Eine Modernisierung der Gentechnik-Gesetze ist überfällig und auf Dauer unumgänglich.

Bisher sind es vor allem Wissenschaftler, welche die Politik in die Pflicht nehmen. So zahlreich und einmütig wie selten zuvor waren sie in den Sozialen Medien präsent. Und nicht nur da: Eine auf einem Kongress angestoßene Petition drückt nicht nur „tiefe Enttäuschung“ über das EUGH-Urteil aus, sondern fordert eine „Regulierung der neuen Verfahren … auf wissenschaftlicher Grundlage“. Auch die Direktoren des international renommierten Kölner Max-Planck-Instituts für Pflanzenzüchtungsforschung zeigten sich in einer viel beachteten Erklärung „bestürzt“. „Die Bedeutung der Gen-Editierung für moderne Pflanzenforschung und Landwirtschaft ist kaum zu überschätzen.“

Der Biökonomierat, ein offizielles Beratungsgremium der Bundesregierung, plädiert für „eine an den Fortschritt angepasste Novellierung.“ Wichtig sei eine Regulierung, die zwischen Mutationen und Gentransfers unterscheidet und risikoorientierte Verfahren für die Zulassung und Freisetzung vorsieht, so die Vorsitzende Prof. Christine Lang bei der Vorstellung des Memorandums „Genome Editing: Europa benötigt ein neues Gentechnikrecht“ (BÖRMEMO07) am 30. August in Berlin.

Doch Gesetze ändern kann nur die Politik – und im Fall der Gentechnik sind dafür politische Mehrheiten in allen europäischen Institutionen erforderlich. Das Verfahren ist lang, der Ausgang ungewiss. Bisher sind noch keine politischen Initiativen zu erkennen, die eine Revision des Gentechnikrechts auf die europäische Tagesordnung setzen wollen.

Immerhin: Für Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner (CDU) ist die Debatte mit dem EuGH-Urteil nicht zu Ende. Sie müsse wissenschaftsbasiert geführt werden und nicht nach Stimmungen gehen, sagte sie gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters. „Die klassische grüne Gentechnik mit Crispr/Cas in einen Topf zu werden, halte ich für sachlich falsch.“

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