Frans Timmermans

Die EU-Kommission macht ernst: Weniger Fesseln für genom-editierte Pflanzen

Es ist das „Herzstück“ des Green Deal, mit dem Europa dem Klimawandel begegnen will: Die Landwirtschaft soll nachhaltiger und umweltfreundlicher werden. Dazu können neue Züchtungsverfahren wie die Gen-Schere CRISPR/Cas beitragen. Doch gerade solche Pflanzen werden politisch blockiert, weil längst veraltete Gesetze es so wollen. Nun hat die EU-Kommission einen konkreten Fahrplan zu einem neuen Rechtsrahmen vorgelegt. Bis Mitte 2023 soll der Vorschlag stehen. Doch so einig die Wissenschaft bei der Bewertung der neuen Verfahren ist – Politik und Interessengruppen sind es nicht.

Nach langem Gerangel hinter den Kulissen ist es nun offiziell: Die EU wird sich einen neuen Rechtsrahmen geben für Pflanzen, die „durch gezielte Mutagenese und Cisgenese“ gewonnen werden. Gemeint sind damit vor allem die Gen-Schere CRISPR/Cas und andere Verfahren der Genom-Editierung. Noch immer fallen solche Pflanzen unter das seit 20 Jahren geltende Gentechnik-Recht. So hatte es der Europäische Gerichtshof im Juli 2018 entschieden. De facto bedeutet das ein Anbau- und Anwendungsverbot.

Die EU-Kommission will nun endlich die Gentechnik-Gesetze „an den wissenschaftlichen und technischen Fortschritt anpassen“ und so „Innovationen in der Landwirtschaft ermöglichen“ - ohne das „hohe Schutzniveau für die Gesundheit von Mensch und Tier sowie für die Umwelt“ aufzugeben.

Ende September 2021 hat die EU-Kommission einen verbindlichen Fahrplan für ihre Gesetzesinitiative vorgestellt. Zunächst sind öffentliche Konsultationsrunden angesetzt, bevor die Kommission einen konkreten Vorschlag ausarbeitet und „im zweiten Quartal 2023“ darüber beschließt. Danach muss der neue Rechtsrahmen noch das komplizierte europäische Gesetzgebungsverfahren durchlaufen.

Doch das war schon immer so: Wenn es um Gentechnik geht, sind die EU und die Mitgliedstaaten notorisch zerstritten. Reformen scheitern schon im Vorfeld an den erforderlichen Mehrheiten. Und so verstrichen nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs drei Jahre, bis die Kommission endlich den Prozess für eine Revision des Gentechnik-Rechtsrahmens einleitete.

Zunächst sollte eine große Studie zu neuen Züchtungstechniken (oder wie es seitdem im EU-Jargon heißt: New Genomic Techniques, NGT) fertig werden, die Anfang 2019 auf Drängen mehrerer kleiner Mitgliedstaaten bei der Kommission eingefordert wurde.

Gut zwei Jahre dauerte es, bis es so weit war. Für die Studie wurden weltweit Daten und Erfahrungen mit den neuen NGT-Technologien ausgewertet, die Mitgliedstaaten und eine Vielzahl von Interessengruppen konsultiert sowie weitere Fachgutachten bis hin zum Europäischen Ethikrat eingeholt. Dann, im April 2021, lag die Studie auf dem Tisch. Endlich kam Bewegung in die Sache. Ein weiteres Abwarten ließ sich nun nicht mehr rechtfertigen, dazu waren die Ergebnisse zu eindeutig.

„Mit Pflanzen, die gegenüber Krankheiten, Umweltbedingungen und Auswirkungen des Klimawandels widerstandsfähiger sind, können die NGT zu nachhaltigen Lebensmittelsystemen beitragen“, so die Studie der EU-Kommission. Damit sei „ein geringerer Bedarf an landwirtschaftlichen Betriebsmitteln, etwa Pestiziden“ möglich – genau das, was die EU-Kommission in ihrem Green Deal und der Farm to Fork-Strategie als Ziele vorgegeben hat. Es sind die eigenen Gesetze, die verhindern, dass diese Potenziale auch genutzt werden können.

Andere Länder – darunter einige wichtige Agrarexporteure in Nord- und Südamerika - sind längst einen Schritt weiter. Sie haben entschieden, genom-editierte Pflanzen, dann ohne besondere oder nur mit geringen Auflagen anzubauen und zu vermarkten, wenn keine fremden Gene eingeführt wurden. Wenn solche Pflanzen also auch mit herkömmlicher Züchtung oder infolge zufälliger Mutationen hätten entstehen können.

Auch Großbritannien, nicht länger an die schwerfällige EU gebunden, schlägt nun diesen Weg ein. Nach einem längeren Beratungsprozess hat die Regierung angekündigt, in einem ersten Schritt einfache editierte Pflanzen nicht länger als GVO anzusehen, sofern sie von herkömmlich gezüchteten nicht unterscheidbar sind. Anschließend soll eine umfassende Novellierung des Gentechnik-Rechts begonnen werden.

Wie zuvor schon andere Länder folgt auch Großbritannien dem wissenschaftlichen Konsens, immer wieder bestätigt von zahlreichen Akademien, Expertenkommissionen und Fachgesellschaften überall auf der Welt: Genome Editing ist ein weiteres Werkzeug in der Pflanzenzüchtung, präziser, effizienter und weniger von Zufällen abhängig als andere Verfahren. Anders als bei der Gentechnik müssen nicht mehr „fremde“ Gene von außen eingebracht werden, ohne zu wissen, wo sie im Erbgut landen. Und, anders als bei der Kreuzungs- oder Mutationszüchtung werden nicht unzählige, im einzelnen nicht bekannte Veränderungen im Genom ausgelöst. Mit Genome Editing wird an einer vorbestimmten Stelle im Genom eine Punktmutation herbeigeführt – im Prinzip nicht anders als bei jeder natürlichen Mutation.

Einfache genom-editierte Pflanzen sind herkömmlich gezüchteten weitaus näher als gentechnisch veränderten. Bleiben sie dennoch weiterhin als GVO reguliert, verhindert das ihre Anwendung und nimmt der Forschung jede Perspektive, ohne zu einem höheren Sicherheitsniveau beizutragen.

Pflanzen, in die kein artfremdes DNA-Material eingeführt wurde und die auch unter natürlichen Bedingungen hätten entstehen können, als „normale“ Pflanzen anzusehen, egal, mit welchen Verfahren die Züchter gearbeitet haben – international orientieren sich bereits zahlreiche Staaten an diesem Grundsatz. Ob auch die EU am Ende des langen Gesetzgebungsverfahrens bei einer ähnlichen Position landet, ist fraglich.

Gerade in den größeren Mitgliedstaaten wie Frankreich und Deutschland hat Gentechnik bei Lebensmitteln ein schlechtes Image – und das bestimmt auch die Wahrnehmung der neuen Verfahren. „Auch neue Gentechnik ist Gentechnik“, so etwa die Noch-Umweltministerin Svenja Schulze (SPD). Andere befürchten „große Risiken für Mensch, Tier und Umwelt“, oder sehen es als „Verstoß gegen das Vorsorgeprinzip“, wenn bestimmte genom-editierte Pflanzen nicht mehr unter das Gentechnik-Recht fallen würden. Die Ökologische Lebensmittelwirtschaft lehnt jede Reform vehement ab, weil es ihren Markerkern, die Gentechnik-Freiheit, untergrabe.

Alle Kritik an den Reformplänen der EU-Kommission basiert darauf, keinen Unterschied zwischen „alter“ und „neuer“ Gentechnik zu machen. Damit lassen sich die alten, seit 25 Jahren gegen die Gentechnik vorgebrachten Einwände unverändert auch auf die neuen Verfahren übertragen. Wissenschaftlich begründet ist das nicht.

Die Aufgabe der EU-Kommission ist keine einfache: Für das Ziel einer nachhaltigen Landwirtschaft muss sie die Gentechnik-Gesetze reformieren – und dafür nicht nur politische Mehrheiten, sondern auch gesellschaftliche Akzeptanz gewinnen.

Großes Foto oben: EU-Kommissar Frans Timmermans, EC Adiovisual Service

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