RNAi-Spray, Teaser

RNA-Sprays gegen Schädlinge – der biologische Pflanzenschutz der Zukunft?

Mit der Corona-Pandemie trat sie ins Rampenlicht: die RNA, die flüchtige Variante der Erbsubstanz DNA. Auf ihr basierten die ersten so verblüffend rasch entwickelten Impfstoffe. Doch nicht nur in der Medizin könnte die RNA der Schlüssel für neue Lösungen sein, auch im Pflanzenschutz. Wäre es nicht möglich, durch passgenaue RNA-Sequenzen, von außen auf Pflanzen gesprüht, Schädlinge und Krankheitserreger auszuschalten? Noch ist viel Forschung nötig. Doch wenn die Hoffnungen nicht trügen, könnten RNA-Sprays schon bald eine natürliche, biologische Alternative zu chemischen Pflanzenschutzmitteln sein.

Grafik RNAi-Spray, Kartoffelkäfer

So funktioniert RNA-Spray: dsRNA (doppelsträngige RNA) wird auf die Blattoberfläche gesprüht (1). Ein am Blatt fressendes Insekt (z.B. ein Kartoffelkäfer) nimmt die dsRNA auf (2). In der Insektenzelle zerlegt das Enzym Dicer (DCL) die dsRNA in kleinere siRNAs (small interferring RNA) (3a+b). In dem Multi-Enzym-Komplex RISC (RNA-induced silencing) wird der Doppelstrang der siRNA aufgetrennt (3c). Ein Strang wird abgebaut. Der andere Strang bindet komplementär an die mRNA (messenger RNA) des Zielgens und blockiert so die Ablesung (3d), die mRNA wird abgebaut (3e). Ein für den Käfer überlebenswichtiges Protein kann nicht gebildet werden. Das Insekt stirbt (4).

Weniger chemisch-synthetische „Pestizide“, Umwelt und Ressourcen schonen, mehr Artenvielfalt – solche Forderungen sind populär und inzwischen wichtige Ziele der europäischen Agrarpolitik. Wenn die Ernten auch in Zukunft gut und die Erträge hoch sein sollen, kann die Landwirtschaft, gleich ob konventionell oder bio, nicht einfach so weitermachen wie bisher. Nötig sind Innovationen in vielen Bereichen, ganz besonders beim Pflanzenschutz. Die große Linie: Weg von der Chemie, hin zu mehr (Molekular-) Biologie.

Neben anderen Konzepten – etwa neuen Züchtungsverfahren wie der Gen-Schere CRISPR/Cas oder der Nutzung von Mikroorganismen-Gemeinschaften (Mikrobiom) im Boden – versucht man seit einiger Zeit, Pflanzenschädlinge oder Krankheitserreger über einen natürlichen Mechanismus auszuschalten, mit dem Zellen je nach Bedarf die Aktivitäten von Genen herauf- oder herunterregulieren: Dieser wird als RNA-Interferenz (RNAi) oder Gene Silencing bezeichnet (siehe Grafik im Kasten links).

Der Schlüssel dazu ist die RNA, die sich aus der Erbsubstanz DNA ableitet und in kleinen Molekülen millionenfach in den Zellen zirkuliert. Eine ihrer Aufgaben ist es, genetische Information vom Zellkern zu den Eiweißfabriken (Ribosomen) zu transportieren. Auf dem Weg dahin kann die Zelle eine bestimmte RNA-Sequenz „unlesbar“ machen und so die Bildung des entsprechenden Proteins unterdrücken. Erstaunlicherweise funktioniert dieser Mechanismus nicht nur innerhalb einer Pflanzenzelle, sondern auch in denen anderer Organismen. Könnte man nicht mit maßgeschneiderten RNA-Sequenzen Schlüsselgene in Pflanzenschädlingen oder Krankheitserregern blockieren und sie so unschädlich machen? Schon seit ein paar Jahren verfolgen Forschungseinrichtungen und Unternehmen diese faszinierende Idee.

Zunächst schien es naheliegend, wenn die jeweiligen Pflanzen die gegen ihre Fraßfeinde gerichteten RNA-Sequenzen selbst bilden. Mit Erfolg: Einige solcher Pflanzen gibt es bereits. In den USA ist ein Mais zugelassen, der über eine neuartige, RNA-vermittelte Resistenz gegen den Maiswurzelbohrer, einen besonders hartnäckigen Schädling verfügt. Nun soll er auf die Felder kommen. Doch dieser Mais – genau wie ähnliche Pflanzen - produziert die „fremde“ RNA-Sequenz nur, wenn er zuvor entsprechend gentechnisch verändert wurde. Solche Pflanzen müssen nicht nur teure und zeitaufwändige Zulassungsverfahren durchlaufen, es mangelt zudem an Akzeptanz, besonders in Europa.

Doch es gibt eine Alternative: Die RNA-Sequenzen, die bei einem Schädling zu einer Blockade eines geeigneten Zielgens führen, können auch – ähnlich wie die RNA-Impfstoffe – biotechnologisch produziert und dann von außen auf die zu schützende Pflanze gesprüht werden – wie ein Pflanzenschutzmittel, das allerdings nicht mehr aus einem chemischen Wirkstoff besteht, sondern aus einer kurzen genetischen Information in Form einer maßgeschneiderten RNA-Sequenz. Im Feld baut sie sich schon nach kurzer Zeit wieder ab. Die Pflanze selbst bleibt unverändert.

Aline Koch

Dr. Aline Koch, Universität Hohenheim, forscht seit vielen Jahren zu RNA-Sprays.

Mit den RNA-Sprays können wir im Prinzip jede Pflanze besprühen und als Zielkultur schützen. Doch bis die Technologie ausgereift und in der Breite anwendbar ist, ist noch viel Grundlagenforschung nötig.

Das ist nicht der einzige Vorteil des Spray-Konzepts. „Mit den RNA-Sprays können wir im Prinzip jede Pflanze, die man sich vorstellen kann, als Zielkultur schützen,“ so Aline Koch von der Universität Hohenheim, die seit vielen Jahren zu RNAi und ihrem Potenzial für den Pflanzenschutz forscht. „Wenn die Technologie ausgereift ist, dann ist sie in der Breite anwendbar. Die technischen Limits wie bei der Gentechnik haben wir bei den Sprays nicht.“

Bis dahin ist jedoch noch viel Grundlagenforschung nötig.

Wie erreicht die blockierende RNA-Sequenz die Zielgene? Bei kauenden oder beißenden Schadinsekten nimmt der Schädling die RNA direkt mit dem Pflanzenmaterial auf. Dafür muss sie ein Zeitlang auf der Blattoberfläche haften, doch wie stabil ist die RNA nach der Aufnahme durch den Schädling? Übersteht sie dort die Magen-Darm-Passage? Erreichen die zu einer Blockade fähigen RNA-Schnipsel überhaupt ihr Ziel? Bei saugenden Insekten wie etwa Blattläusen oder erst recht bei pathogenen Pilzen sind die Bedingungen für die Aufnahme und Stabilität der RNA noch einmal komplexer. „Wir müssen die verschiedenen Barrieren und Hürden kennen, die es zu nehmen gilt. Ich sprüh das mal und es funktioniert bei jeder Pflanze, so trivial ist es natürlich nicht“, sagt Aline Koch.

Was sind geeignete Zielgene, um Schädlinge oder Erreger wirksam und selektiv auszuschalten? Die effektivsten Ziele für eine RNAi-Blockade – in der Regel Gene für „lebensnotwendige“ Schlüsselproteine – sind oft solche, die auch in anderen Insekten vorkommen. Ein dagegen gerichtetes RNA-Spray würde nicht nur den jeweiligen Schädling treffen, sondern weitere Nicht-Zielorganismen, etwa nützliche Insekten. Um die erforderliche Spezifität und Selektivität herzustellen, müssen geeignete Zielgene gefunden werden, deren Blockade nicht nur schnell zum Absterben des jeweiligen Schädlings führt. Sie dürfen zudem nicht in anderen Organismen vorkommen oder von der RNA-Sequenz im Spray nicht erreichbar sein. „Ein Ansatz könnte sein, verschiedene Zielgene anzusteuern und sie in einem RNA-Spray zu kombinieren. Wir wollen so das Selektivitätslevel sukzessive erhöhen statt auf die effektivsten Targets zu gehen, die im Labor funktionieren.“

Wenn plötzlich Krankheitserreger oder Schädlinge auftreten, dann sind sequenzbasierte Wirkstoffe wie die RNA einfach schneller verfügbar. Damit können wir relativ schnell und günstig reagieren. Das benötigt keine zehn, zwanzig Jahre Entwicklungszeit wie bei herkömmlichen Pflanzenschutzmittel.

Inzwischen sind die Kosten für die Produktion der jeweils spezifischen RNA-Sequenzen der Sprays „dramatisch gefallen“. Erste kommerzielle Anwendungen zeichnen sich ab – vor allem bei solchen Schaderregern, die besonders sensitiv auf RNA-Sprays reagieren: Käfer sowie andere kauende und beißende Insekten. Greenlight Bioscience, ein junges US-amerikanisches Unternehmen aus Boston, will noch 2022 einen RNA-Spray gegen den Kartoffelkäfer (Colorado Beetle) herausbringen. Derzeit laufen Feldversuche in zwölf US-Bundesstaaten, um herauszufinden, wie oft und in welchen Mengen gesprüht werden muss.

Das Unternehmen hat bereits eine Technologie-Plattform entwickelt, mit der – ähnlich wie bei den RNA-Impfstoffen – RNA-Sequenzen für verschiedene Anwendungen in der Landwirtschaft hergestellt werden können. In der Pipeline befinden sich RNA-Sprays gegen Grauschimmel (Botrytis), Mehltau und Fusarium – Pilzkrankheiten, die viele Kulturarten, besonders Getreide befallen – und derzeit vor allem mit chemischen Mitteln bekämpft werden. In den nächsten drei bis fünf Jahren, so kündigt es Greenlight optimistisch an, sollen neuartige Pflanzenschutzprodukte auf RNA-Basis auf den Markt kommen. Noch in einem frühen Forschungsstadium befinden sich Projekte gegen Schädlinge und Krankheitserreger bei Mais, Sojabohnen, Raps, Reis, Bananen und Weinreben.

Noch ist allerdings nicht klar, wie und nach welchen Kriterien solche RNA-Sprays künftig zugelassen werden sollen. Wenn die Technologie einmal ausgereift ist, können die jeweiligen RNA-Sequenzen in den Sprays rasch und günstig an Schädlinge und Krankheitserreger angepasst werden – doch dieser Vorteil lässt sich nur dann realisieren, wenn ihn überlange Zulassungsverfahren nicht wieder zunichte machen.

Entscheidend für die Zukunft der RNA-Sprays ist: Sie müssen selektiv wirken – ausschließlich den jeweiligen Schadorganismus ausschalten, ohne andere Organismen zu schädigen. Wenn das gelingt, hätten RNA-Sprays tatsächlich das Zeug dazu, Pflanzenschutz und artenreiche Agrarlandschaften miteinander zu versöhnen.

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