Frans Timmermans

Europas Green Deal für die Landwirtschaft: Mehr Nachhaltigkeit durch Biotech-Innovationen

(09.06.2020) Die EU-Kommission meint es ernst: Nach dem Green Deal, dem großen Plan für eine klimaneutrale EU bis 2050, hat sie nun die ersten beiden konkreten Strategien vorgelegt: „Vom Hof auf den Tisch“ soll die Lebensmittelsysteme nachhaltiger machen, „Biodiversität“ die Ökosysteme besser schützen. Umweltverbände und Klimaschützer begrüßen die ehrgeizigen Pläne. Doch zugleich hagelt es massive Kritik, weil die neuen genomischen Verfahren in der Pflanzenzüchtung kein Tabu mehr sind.

Als EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen Ende 2019 – weit vor der Corona-Krise – ihren Green Deal vor dem europäischen Parlament präsentierte, blieben einige für die Landwirtschaft wichtige Ziele noch nebulös. Im letzten Moment waren konkrete Zahlen wieder gestrichen worden.

Matin Qaim

Prof. Matin Qaim, Agrarökonom an der Uni Göttingen: „Neue Technologien in der Pflanzenzüchtung bieten große Potenziale für eine nachhaltige landwirtschaftliche Entwicklung und Ernährungssicherheit und beheben gleichzeitig die Mängel der Grünen Revolution.“
Foto: Universität Göttingen

Norman Borlaug

Norman Borlaug, der Vater der ersten Grünen Revolution. Für seine Züchtungen ertragreicher Sorten erhielt er 1970 den Friedensnobelpreis.

Großes Foto oben: EU-Kommissar Frans Timmermans; (c) EC - Audiovisual Service / Jennifer Jacquemart

Doch in den beiden am 20. Mai vorgestellten Strategie-Papieren ist das anders. Bis 2030 sollen etwa

  • der Einsatz von „chemischen Pestiziden“ um 50 Prozent verringert werden;
  • mindestens 20 Prozent weniger Düngemittel ausgebracht werden, die Nährstoffüberschüsse bei der Düngung vor allem von Stickstoff und Phosphor um 50 Prozent zurückgehen;
  • die Treibhausgas-Emissionen aus der Landwirtschaft reduziert werden, vor allem Methan und Lachgas aus der Tierhaltung;
  • ein Viertel der landwirtschaftlichen Flächen ökologisch bewirtschaftet und „weitere biodiversitätsfreundliche“ Anbauverfahren gefördert werden.
  • etwa 30 Prozent der europäischen Land- und Meeresgebiete in „wirksam bewirtschaftete Schutzgebiete“ umgewandelt werden, um die „biologische Vielfalt Europas auf den Weg zur Erholung zu bringen.“

Das sind ehrgeizige Ziele. Ohne einen tiefgreifenden Umbau der Landwirtschaft - eine zweite Grüne Revolution - werden sie kaum zu erreichen sein. Anders als bei der ersten in den 1960er Jahren, als neu gezüchtete Sorten die Erträge deutlich steigerten und vor allem in Asien und Lateinamerika den Hunger zurückdrängten, sollen solche Erfolge nicht mehr mit einem intensiven Einsatz von Dünge- und Pflanzenschutzmitteln erkauft werden.

Auch in Zukunft muss die Landwirtschaft genug produzieren, um eine weiter wachsende Weltbevölkerung zu ernähren und mit guten, gesunden Lebensmitteln zu versorgen – und das unter den Bedingungen des Klimawandels mit mehr Dürren und anderen Wetterextremen. Landwirtschaft soll nicht mehr zu Lasten von Umwelt, Biodiversität und Bodenfruchtbarkeit gehen. Und das alles ohne mehr Flächen zu verbrauchen.

In seinem Sonderbericht „Klimawandel und Landnutzungssysteme“ hat der Weltklimarat (IPCC) „Nachhaltige Intensivierung“ als Leitbild für die globale Landwirtschaft formuliert. Er enthält zahlreiche Empfehlungen: Sie betreffen Konsum- und Ernährungsverhalten, zielen auf weniger Lebensmittelverschwendung und bessere, angepasste Methoden in der Landwirtschaft – von Fruchtfolgen bis zur Digitalisierung.

Vor allem aber: Wie schon bei der ersten Grünen Revolution fällt wieder der Pflanzenzüchtung eine Schlüsselrolle zu. Denn allein mit den jetzt auf dem Markt vorhandenen Sorten lassen sich die Zielvorgaben des Green Deal nur schwer stemmen. Gerade solche Merkmale, die sich aus dem Leitbild der Nachhaltigen Intensivierung ergeben, sind für die klassische Züchtung oft nicht oder nur mit großem Aufwand erreichbar. Die klimatischen Bedingungen – das Auftreten neuer Krankheiten und Schädlinge eingeschlossen - ändern sich schneller, als die Züchtung daran angepasster Sorten möglich ist.

Sowohl der IPCC-Sonderbericht wie auch die EU-Kommission wollen für ihre Landwirtschaft der Zukunft auch die neuen Züchtungstechniken nutzen, obwohl sich die EU dazu politisch weiterhin eher ablehnend verhält. Noch immer ist der Anbau damit entwickelter Pflanzen de facto verboten, weil sie in Europa pauschal der gesellschaftlich kaum akzeptierten Gentechnik zugerechnet werden.

Doch nun deutet sich – noch sehr vorsichtig – ein erster Kurswechsel an. „Innovative Techniken, einschließlich der Biotechnologie“ können bei der „Steigerung der Nachhaltigkeit eine Rolle spielen“, so die Kommission in ihrer Farm to Fork-Strategie. Mit ihnen ließe sich die „Verringerung der Abhängigkeit von Pestiziden beschleunigen.“

Auch wenn die Kommission die neuen Genome Editing-Verfahren wie die Gen-Schere CRISPR/Cas nicht explizit erwähnt, ein Tabu sind sie nicht mehr. Denn die „Landwirte müssen Zugang zu einer Auswahl hochwertigen Saatguts haben, die dem Druck des Klimawandels standhalten.“ Auch wenn die Kommission erneut eine Studie zu den Nachhaltigkeitspotenzialen der neuen Verfahren in Auftrag gegeben hat, deren Ergebnisse sie noch abwarten will, zeichnet sich ein Politikwechsel ab. Was in der Wissenschaft weitgehend Konsens ist, kann die europäische Politik nicht länger ignorieren: Ein politisch motivierter Verzicht auf die neuen molekulargenetischen Verfahren erschwert den Weg zu einer nachhaltigen, klimaangepassten Landwirtschaft.

Umweltverbände und gentechnik-kritische Gruppen wollen sich damit jedoch nicht abfinden. So begrüßt der BUND zwar die Biodiversitäts-Strategie der EU-Kommission als „wichtigen Meilenstein“, kritisiert aber zugleich, dass die Gentechnik ein „blinder Fleck“ bleibe. Bei „neuer Gentechnik“ dürfe es „keine Aufweichung des geltenden Rechtsrahmens“ geben. Auch der Verband Lebensmittel ohne Gentechnik (VLOG) lehnt jede Gentechnik strikt ab. Sie sei grundsätzlich nicht nachhaltig – ohne zwischen alter Gentechnik und den neuen Verfahren zu differenzieren.

Mit den neuen, „chirurgischen“ Verfahren (CRISPR/Cas) werden in der Regel nur einzelne DNA-Bausteine „umgeschrieben“, ohne „fremdes“ Genmaterial zu übertragen, vergleichbar punktuellen Mutationen, wie sie auch unter natürlichen Bedingungen immer wieder stattfinden. Alle großen Wissenschaftsorganisationen in Deutschland und Europa appellieren deshalb an die politisch Verantwortlichen, das EU-Gentechnik-Recht zu reformieren und die Blockade der neuen Verfahren zu überwinden.

„Die Gesellschaft zahlt einen Preis dafür, wenn neue Genom-Editiertechniken nicht genutzt werden oder die Einführung zu langsam erfolgt. Wir haben keine Zeit zu verlieren, wenn es darum geht, unsere gemeinsamen Probleme für die Nahrungsmittel- und Ernährungssicherheit zu lösen“, so die Gemeinsame Stellungnahme von 28 wissenschaftlichen Akademien (EASC) aus allen EU-Mitgliedstaaten.

Was dabei auf dem Spiel steht, zeigt eine aktuelle Studie des Göttinger Agrarökonomen Matin Qaim, die gerade in der Fachzeitschrift Applied Economic Perspectives and Policy erschienen ist. Er hat dazu weltweite Forschungsergebnisse der letzten Jahrzehnte ausgewertet.

Seine Schlussfolgerung: Mit den neuen, molekularen Züchtungstechnologien können Pflanzen so verändert werden, dass sie ertragreicher sind, gleichzeitig aber weniger Dünge- und Pflanzenschutzmittel benötigen, weil sie Bodennährstoffe besser ausnutzen und robuster gegen Krankheiten, Schädlinge und Wetterextreme sind. „Obwohl Methoden wie CRISPR erst vor wenigen Jahren entwickelt wurden, sind sie bereits erfolgreich in vielen verschiedenen Pflanzenarten eingesetzt worden. Die Methoden sind relativ einfach und kostengünstig, so dass auch kleinere Labore sie verwenden können, um lokale Arten zu verbessern“, so Matin Qaim. „Vor dem Hintergrund des weiteren Bevölkerungswachstums, des Klimawandels und einer schwindenden natürlichen Ressourcenbasis wäre es unverantwortlich, die Potenziale der modernen Pflanzenbiotechnologie nicht zu nutzen.“

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