Biotechnologie und Zusatzstoffe

Von Aroma bis Zusatzstoff: Mit Gentechnik und High-Biotech

Aromen, Vitamine, Süßstoffe, Geschmacksverstärker: Eine ganze Reihe von Lebensmittelzutaten kann heute von Mikroorganismen stammen, die mit Hilfe der Gentechnik dafür optimiert wurden. Neue Verfahren wie die Gen-Schere CRISPR/Cas, Synthetische Biologie oder „gelenkte Evolution“ haben die Möglichkeiten noch einmal deutlich erweitert. Seltene oder extrem teure „Naturstoffe“ können nun in größeren Mengen produziert werden. Wie in der Pflanzenzüchtung sind auch in der Biotechnologie die Grenzen zwischen klassischer Gentechnik und neuen Verfahren fließend geworden. Wo „ohne Gentechnik“ draufsteht, kann viel High-Biotech drin sein.

Zahlreiche Bakterien, Hefen oder Pilze können „von Natur aus“ nützliche Stoffe wie Vitamine, Aminosäuren, Enzyme oder Zitronensäure bilden. Schon vor fast hundert Jahren hat man begonnen, solche Mikroorganismen zu kultivieren, anfangs in primitiven technischen Anlagen. Lange blieb diese frühe industrielle Biotechnologie jedoch auf wenige Anwendungen beschränkt.

Mit der Zeit lernte man, komplexe biotechnische Prozesse besser zu beherrschen – sowohl die technischen Abläufe in den Anlagen wie auch die Biologie der darin kultivierten Mikroorganismen. Der große Durchbruch kam mit den Fortschritten in Genetik und Molekularbiologie. Seitdem ist man nicht länger auf „naturbelassene“ Mikroorganismen angewiesen, sondern kann sie für die biotechnologische Produktion optimieren. Ist etwa das Gen für einen bestimmten Stoff bekannt, kann man es aus einem Spender-Organismus isolieren und auf einen anspruchslosen, gut kultivierbaren Produktionsstamm übertragen. Artgrenzen sind keine Hindernisse mehr. Mit den gleichen Mikrobenarten können so – je nach zusätzlich eingeführtem Gen – verschiedene Stoffe biotechnisch hergestellt werden.

Ein andere Ansatz ist, Mikroorganismen dazu zu bringen, einen gewünschten Stoff in viel größeren Mengen auszuschütten als natürlicherweise von ihnen selbst benötigt. Dazu kann die zelleigene Regulation des jeweiligen Gens verstärkt werden - etwa durch geeignete Promotoren. Die eigentlich bedarfsabhängige Aktivität des Gens wird so in Dauerbetrieb versetzt.

Doch das klappt nur bei vergleichsweise wenigen Stoffen, vor allem bei Proteinen, Aminosäuren und Enzymen. Komplizierter ist es bei Substanzen, die in den Zellen nicht direkt aus dem genetischen Code übersetzt werden, sondern Produkt eines längeren Stoffwechselweges sind. Mit der Veränderung eines einzelnen Gens ist es dann nicht getan.

Dennoch: Mit dem Aufkommen der Gentechnik Mitte der 1990er Jahre wurden biotechnische Herstellungsverfahren wirtschaftlich – nicht nur bei Arzneimitteln, sondern auch bei den Zulieferern der Lebensmittelindustrie. Die natürliche Knappheit vieler nützlicher und begehrter „Naturstoffe“ konnte dank Bio- und Gentechnologie überwunden werden.

Biotechnologie Produktion

Biotechnische Produktionsanlagen gelten als „geschlossenes System“. Die darin arbeitenden Mikroorganismen sind mit Hilfe von Gentechnik und anderen High-Biotech-Verfahren optimiert. Mit ihren „natürlichen“ Ausgangsformen haben sie nur noch wenig gemein. Die Prozesse laufen heute heute weitgehend automatisiert ab.

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Gelenkte Evolution, Synthetische Biologie, Gen-Schere - jenseits der klassischen Gentechnik

Sowohl Mikrobiologie wie Prozesstechnik haben sich in den letzten Jahren enorm weiterentwickelt. Oft wird dieser Quantensprung in der Biotechnologie als Präzisionsfermentation bezeichnet. Damit ist auch das Spektrum biotechnisch herstellbarer Stoffe, die als Lebensmittelzutat, als Aroma-, Zusatz- oder Hilfsstoff eingesetzt werden, deutlich größer geworden.

War die klassische Gentechnik anfangs noch darauf beschränkt, nur ein Gen zu verändern oder neu einzuführen, können heute komplette, zu einem bestimmten Produkt führende Stoffwechselwege optimiert oder neu „konstruiert“ werden, indem neue, synthetische Gene oder DNA-Sequenzen eingefügt werden. Solche Mikroorganismen können komplexe organische Verbindungen herstellen, schnell und ohne Mengenbeschränkungen – auch solche, welche die jeweiligen Bakterien- oder Hefezellen „von Natur aus“ gar nicht in ihrem Stoffwechselrepertoire haben.

Um das zu erreichen, stehen heute verschiedene molekularbiologische Verfahren zur Verfügung: Etwa die natürliche Fähigkeit vieler Einzeller nutzen, untereinander Gene auszutauschen (homologe Rekombination). Oder die „gelenkte Evolution“: Mikroorganismen durchlaufen mehrere Zyklen künstlich ausgelöster Mutationen und einer anschließenden Selektion derjenigen Mikroorganismen, die dem jeweiligen Ziel – einen bestimmten Stoff in gewünschter Menge und Qualität zu produzieren – am nächsten kommen. Damit sind erstaunliche und weitreichende Veränderungen an Mikroorganismen möglich, ohne dass neue Gene eingeführt werden müssen.

Viele biotechnische Laborverfahren laufen inzwischen weitgehend automatisiert ab. Mit Hochdurchsatz-Sequenzierung sind ganze Genome schnell und kostengünstig zu entschlüsseln, die Synthese „künstlicher“ DNA-Sequenzen ist Routine. Die komplexen molekularen Vorgänge in einer Zelle lassen sich heute in Form riesiger Datenmengen abbilden, die ohne eine hochentwickelte, intelligente Bioinformatik nicht zu verarbeiten wären (Data Mining).

In den letzten Jahren sind die Konzepte der Synthetische Biologie hinzugekommen. Damit ist es möglich geworden, ganze Stoffwechselwege etwa aus einer Pflanzen in Mikroorganismen „einzubauen“. Diese können nun ähnlich wie bei anderen Fermentationsprozessen die gewünschten Stoffe herstellen – interessant vor allem für solche, die in ihrem natürlichem Ursprungsorganismus nur in geringen, oft wirtschaftlich nicht nutzbaren Mengen gebildet werden, nach denen jedoch eine hohe Nachfrage besteht. Erste in Lebensmitteln verwendete Produkte der Synthetischen Biologie sind inzwischen auf dem Markt, etwa ursprünglich pflanzliche Aromen, Süß- oder Farbstoffe.

Wie in der Pflanzenzüchtung wird Genome Editing (Gen-Schere CRISPR/Cas) auch bei Mikroorganismen eingesetzt, um gezielt einzelne Punktmutationen herbeizuführen oder einzelne Gen „abzuschalten“. Damit können Biotechnologie-Unternehmen ihre Produktionsorganismen präzise – und weitaus schneller als bisher – optimieren und unerwünschte Nebenreaktionen reduzieren.

Noch stärker als bei Pflanzen sind bei Mikroorganismen die Grenzen zwischen „gentechnisch verändert“ und „konventionell“ fließend geworden. Auch ohne herkömmliche Gentechnik können Bakterien oder Hefen zu maßgeschneiderten Produktionsstämmen entwickelt werden, die mit ihren „natürlichen“ Ausgangsformen nur noch wenig zu tun haben. In der Regel gelten so optimierte Mikroorganismen nicht als GVO wie sie in den Gentechnik-Gesetzen definiert sind. Was damit produziert wird, darf als „ohne Gentechnik“ gekennzeichnet werden.

Konsumenten kümmert das wenig. Zwar müssen Zusatzstoffe – und auch „neuartige“ Lebensmittelzutaten – grundsätzlich zugelassen werden. Doch mit welchen Verfahren die dabei eingesetzten Mikroorganismen modelliert wurden, spielt dabei keine Rolle. Maßgebend ist das Produkt, nicht der Herstellungsprozess. Und, anders als derzeit bei Pflanzen führt eine neuartige gentechnische Veränderung bei Mikroorganismus nicht zu einer Kennzeichnungspflicht für die damit gewonnenen Produkte.

„Gentechnisch hergestellt“: Zusatzstoffe und neuartige Lebensmittelzutaten - einige Beispiele

Aminosäuren werden häufig mit Hilfe von gentechnisch veränderten Mikroorganismen gewonnen. Sie finden überwiegend als Futtermittelzusätze Verwendung, sind aber auch Bestandteil von Geschmacksverstärkern und anderen Zusatzstoffen. So ist der Geschmacksverstärker Glutamat (E 621) in Fertigsuppen und Knabbergebäck enthalten.

  • Die Aminosäure Cystein (E 920) findet etwa bei der Herstellung von Brot, Brötchen und Backwaren Verwendung. Der Zusatzstoff verbessert die Knetfähigkeit der Teige und sorgt dafür, dass die luftige Struktur der Backwaren über längere Zeit erhalten bleibt. Klassisch wird Cystein aus Menschenhaar, Federn oder Schweineborsten gewonnen. Inzwischen gewinnt die Herstellung mit Hilfe von gentechnisch veränderten Mikroorganismen an Bedeutung.
  • Der Süßstoff Aspartam (E 951) besteht aus zwei chemisch miteinander verbundenen Aminosäuren, Phenylalanin und Asparaginsäure. Beide werden mit gentechnisch veränderten Mikroorganismen gewonnen.

Um Käse herzustellen, muss die Milch zunächst gerinnen. Um diese „Dicklegung“ einzuleiten, wurde lange Zeit Labferment aus Kälbermagen eingesetzt. Heute wird der Hauptwirkstoff des Labferments, das Enzym Chymosin, mit Hilfe von gentechnisch veränderten Mikroorganismen hergestellt.

Auch die Vitamine B2 und B12 werden heute überwiegend von gentechnisch veränderten Mikroorganismen produziert. Bei der Herstellung von Vitamin C kann ein Verfahrensschritt mit gv-Mikroorganismen durchgeführt werden.

Lebensmittel-Zutaten, die in nach Konzepten der Synthetischen Biologie „konstruierten“ Mikroorganismen hergestellt werden, sind etwa

  • der pflanzliche, kalorienarme Süßstoff Eversweet, Vanillearoma (Vanillin), das Nahrungsergänzungsmittel Resveratrol, das Grapefruit-Aroma Nootkaton oder Safran. Die meisten diese Produkte sind in Nordamerika auf dem Markt, einige auch in Europa. Weitere sind in der Entwicklung.
  • Vor allem biotechnisch „umgebaute“ Hefen liefern Ersatzprodukte oder vegane Schlüsselsubstanzen für tierische Lebensmittel (Fleisch, Fisch, Milch), zum Beispiel einen roten Blutfarbstoff (Leghemoglobin) für Fleischimitate (Veggiburger, Impossible Food), auch fötales Rinderserum wie es für Zellkultur-Fleisch benötigt wird. Zahlreiche Start-ups arbeiten daran, vegane Eiweiß-Ersatzstoffe oder Milchproteine mit Verfahren der Präzisionsfermentation zu erzeugen.

Biotechnische Herstellung: Vorteile für die Umwelt

Biotechnische Verfahren sind gegenüber der chemisch-synthetischen Herstellung in der Regel kostengünstiger, erzielen eine höhere Ausbeute und haben Vorteile für die Umwelt. So kommen sie ohne aggressive Chemikalien aus, benötigen meist weniger Energie und nutzen nachwachsende Rohstoffe. Zudem sind die CO2-Emission in der Regel deutlich geringer.

Die Mikroorganismen „arbeiten“ in Edelstahltanks (Fermenter), in denen die Bedingungen optimal eingestellt werden können. Die jeweiligen Substanzen werden isoliert und aufgereinigt. Im fertigen Produkt dürfen keine Überreste der Produktionsorganismen enthalten sein.

Dieser Anwendungsbereich der Gentechnologie wird auch als „Weiße Gentechnik“ bezeichnet.