Weizen

Klima, Krankheiten, Krisen: Wie verborgene genetische Ressourcen Weizen robuster und ertragreicher machen

Weizen ernährt die Welt: Er ist neben Reis und Mais die wichtigste Nahrungspflanze. Doch während die Weltbevölkerung wächst, stagnieren fast überall die Weizenerträge. Die traditionelle Züchtung scheint ausgereizt und in vielen Anbauregionen macht sich der Klimawandel bemerkbar: Nicht nur Hitze und Trockenheit, sondern auch aggressive, meist von Pilzen oder Viren übertragene Krankheiten. Weizen muss künftig robuster, resilienter und ertragssicherer werden. Der Schlüssel dazu liegt in seinen genetischen Ressourcen. Moderne molekulare Pflanzenforschung und neue genetische Verfahren wie die Gen-Schere CRISPR/Cas tragen entscheidend dazu bei, geeignete Gen-Varianten im großen Genpool des Weizens zu finden und für die Züchtung nutzbar zu machen.

Die Weltbevölkerung nimmt zu, die klimatischen Bedingungen werden schlechter, die natürlichen Ressourcen sind begrenzt – und dennoch müssen global mehr Nahrungsmittel erzeugt werden. Sonst werden Hunger und als Folge davon große Krisen weiter zunehmen. Ohne Ernährungssicherheit bleiben viele der UN-Ziele für nachhaltige Entwicklung unerreichbar.

Weizen infiziert mit Flugbrand

Weizenbrand. Bis 2050 breiten sich die von der Krankheit betroffenen Gebiete drastisch aus. Allein deswegen gehen die Weizenerträge weltweit um 13 Prozent zurück.
Foto: Archiv i-bio, großes Foto oben: iStock

Dem Weizen mit einer Jahresproduktion von 785 Millionen Tonnen (2023/24) fällt eine Schlüsselrolle zu. Von ihm stammen zwanzig Prozent aller mit der Nahrung aufgenommenen Kalorien. Er wird in über hundert Ländern angebaut, viele sind jedoch auf Importe angewiesen und von schwankenden Weltmarktpreisen abhängig.

Nachhaltige Intensivierung – damit hat der Weltklimarat (IPCC) 2019 die Richtung vorgegeben, an dem sich die künftige Landnutzung, aber auch die Transformation der Landwirtschaft ausrichten sollte. Das gilt auch für Weizenanbau. Dass es gerade bei dieser so wichtigen Kulturpflanze noch Luft nach oben gibt, hat eine große, 2022 in Nature Foods veröffentlichte internationale Studie gezeigt. Die „biophysikalischen Grenzen des Weizenertrages“ seien nahezu erreicht, so das Fazit. Das Potenzial für künftige Steigerungen stecke vor allem in bisher verborgenen ungenutzten züchterischen Ressourcen.

„Genetische Ertragslücke“ bei Weizen: 51 Prozent

Auf Basis von Daten aus 53 Weizenanbauregionen in 33 Ländern wurden die an einem bestimmten Standort aktuell erzielten Erträge verglichen mit den maximal möglichen, ständen dort Pflanzen mit „optimalem Genom“ auf den Feldern. Dafür wurde in Computersimulationen anhand bekannter Daten über den Einfluss verschiedener Gene auf Schlüsselmerkmale wie Größe oder Wachstum die „ideale“, auf ihre lokale Umgebung zugeschnittene Weizenpflanze „entworfen“. Gemessen am derzeitigem Ertrag errechnete sich eine „genetische Ertragslücke“ von 51 Prozent. Sie ist in Ländern mit den derzeit niedrigsten Erträgen am höchsten (bis 70 Prozent), in den großen Weizenanbauländern niedriger.

„Die weltweite Weizenproduktion könnte durch die genetische Verbesserung lokaler Weizensorten verdoppelt werden - ohne die globale Weizenfläche zu vergrößern,“ so das Fazit von Nimai Senapati, einem der beiden Projektkoordinatoren vom britischen Rothamsted Research Institut. Um die genetische Ertragslücke zu verringern, müsste die enorme genetische Variation genutzt werden, die „in globalen und historischen Weizen-Genbanken verfügbar ist“ – mit modernen Techniken wie neuen, schnelleren Züchtungsverfahren (Smart Breeding) und Gen-Editierung, ergänzt durch eine kontinuierliche Verbesserung des Pflanzen- und Bodenmanagements. An der Studie waren Forschungsinstitute aus sieben Ländern beteiligt, darunter die TU München und das Leibniz-Zentrum für Agrarlandschaftsforschung (ZALF).

Der heutige Weizen ist eine Mischung mehrerer Arten. Im Laufe der jahrtausendelangen Züchtungsgeschichte wurden verschiedene Wildgräser in die frühen Urformen des Weizens eingekreuzt. Deren ursprünglich getrennte Genome verschmolzen, immer mehr Formen und Varianten entstanden. Das Weizengenom ist daher nicht nur ungewöhnlich groß, fünfmal größer als das menschliche, sondern besitzt als Erbe seiner unterschiedlichen Vorfahren dreimal einen doppelten Chromosomensatz.

Deswegen ist der züchterisch nutzbare Genpool zwar breit und vielfältig, doch es erfordert viel Forschung, verborgene oder im Laufe der Züchtung „verschüttete“ Gene aufzuspüren, welche dazu beitragen könnten, die Erträge zu steigern oder Weizen besser an biotischen Stress – Schädlinge und Krankheiten – und sich ändernde klimatische Bedingungen – Hitze, Trockenheit, salzhaltige Böden – anzupassen.

Nicht nur das jeweilige Gen für das angestrebte Merkmal muss bekannt und seine Funktion verstanden sein, sondern auch die für die Umsetzung maßgebenden komplexen Netzwerke und die Abläufe in der Pflanzenzelle.

Und selbst wenn geeignete genetische Ressourcen identifiziert sind – sei es in den Ahnen, wilden Sorten, Landrassen oder in Genbanken – müssen diese so in Kultursorten eingebracht werden, dass sie auch dort „funktionieren“ und die angestrebten Verbesserungen auch „im Feld“ erbringen. Weizen mit seinen drei ursprünglichen Genomen, die sich teils vermischen und überlappen, teils parallel nebeneinander bestehen, ist für die Züchter schon immer eine schwierige Kultur gewesen. Das wird auch in Zukunft so bleiben, trotz modernster Sequenzier- und Labortechnik und dem Einsatz künstlicher Intelligenz in der Bioinformatik.

Weltweit 13 Prozent weniger Ertrag – allein durch eine Pilzkrankheit

Etwa ein Fünftel des Weizenertrages geht heute durch Krankheiten verloren, vor allem ausgelöst durch pilzliche Erreger. Mit steigenden Temperaturen dringen die Schadpilze auch in Regionen vor, die bisher nicht betroffen sind. Zudem können sich viele Erreger rasch anpassen und neue Rassen hervorbringen, oft schneller als Landwirte, Züchter oder Hersteller von Pflanzenschutzmitteln darauf reagieren können.

Am Beispiel einer einzelnen Pilzkrankheit, dem Weizenbrand, hat ein internationales Forschungsprojekt mit Hilfe eines komplexen Datenmodells errechnet, wie sich der Erreger im Zuge des Klimawandels immer weiter ausbreitet und die Ernten gefährdet.

Heute sind weltweit 6,4 Millionen Hektar Ackerland für Weizenbrand anfällig. Mit feuchterem und wärmeren Klima werden es deutlich mehr: Bis 2050 sind 75 Prozent der Anbauflächen vor allem in Südamerika, Afrika und Asien betroffen, so die Prognose. Selbst in Europa und Nordamerika, bisher weitgehend verschont geblieben, ist dann vermehrt mit Infektionen zu rechnen. Die globale Weizenproduktion könnte um 69 Millionen Tonnen im Jahr einbrechen, ein Rückgang von 13 Prozent allein durch einen einzelnen Erreger, den Weizenbrand.

Es ist nicht die einzige Pilzkrankheit, die den Weizen bedroht. Septoria-Blattdürre, verschiedene Rostpilze, Fusarien und Mehltau sind zwar schon länger bekannt, doch in Zukunft wiegen die Ertragsverluste bis hin zu Totalausfällen schwerer. Gegenmaßnahmen – bessere Sorten oder Pflanzenschutzmittel – sind oft nur begrenzt wirksam, zudem teuer oder ein Problem für die Biodiversität – und gerade für Kleinbauern in den besonders betroffenen Ländern des globalen Südens unerschwinglich.

Weizen widerstandsfähiger zu machen gegen Pilz- und Viruskrankheiten ist ein Schlüssel für die globale Ernährungssicherheit. Mit den neuen genomischen Züchtungsverfahren (NGT) haben sich neue Möglichkeiten eröffnet, schneller und präziser zu Lösungen zu kommen.

GE-Projekte Weizen

Vor allem mit der Gen-Schere CRISPR/Cas: Viele Forschungsprojekte an Weizen

Die eu-sage-Datenbank (European Sustainable Agriculture Through Genome Editing, eu-sage.eu) listet weltweit relevante wissenschaftliche Publikationen zu genom-editierten Pflanzen auf: Derzeit sind es knapp 900, davon allein 48 zum „schwierigen“ Weizen. Zehn dieser Forschungsprojekte beschäftigen sich mit neuen genetischen Pilz- und Virusresistenzen (Stand: März 2024). Fast alle nutzen die Gen-Schere CRISPR/Cas, um einzelne DNA-Bausteine umzuschreiben und so bestimmte, für das Infektionsgeschehen maßgebende Gene zu aktivieren, zu verstärken oder auch abzuschalten. In keinem Fall wurde fremdes Genmaterial von außen eingeführt, die jeweils angestrebte Resistenz basiert allein auf genetischen Ressourcen des Weizens.

Oft können Resistenzgene aus dem weizeneigenen Genpool auch mit herkömmlichen Verfahren eingezüchtet werden. Der große Vorteil der Genome Editing-Verfahren: Sie können etablierte Kultursorten an einer bestimmten Stelle im Genom direkt verändern, ohne deren übrige Eigenschaften zu beeinträchtigen. Das zeitaufwändige Rückkreuzen wie bei der herkömmlichen Züchtung entfällt. Zudem ist es einfacher und ohne großen Aufwand möglich, lokale Sorten zu entwickeln, die besser an die jeweiligen Bedingungen angepasst sind.

Weniger Verluste durch Pilzkrankheiten: Drei Strategien, drei Beispiele

(1) Das Eindringen der Schadpilze in Pflanzenzellen verhindern oder erschweren. Mehltau, eine Sammelbezeichnung für verschiedene Pilzkrankheiten, hat sich zusammen mit Weizen in allen Anbauregionen ausgebreitet. Er ist sehr anpassungsfähig und befällt auch andere Kulturarten. Die Ertragsverluste können bis zu 30 Prozent betragen. Der Erreger nutzt ein bestimmtes, in vielen Getreidearten vorkommendes Gen (MLO-Gen). Dieses codiert ein Protein, das dem Mehltauerreger hilft, in die Zellen einzudringen. Fehlt den Pflanzen das MLO-Gen oder ist es deaktiviert, sind sie resistent gegen Mehltau.

Bei Gerste gibt es schon lange resistente Sorten, ohne zu ahnen, worauf diese Resistenz beruht. Heute weiß man es: Durch zufällige Mutation wurde das MLO-Gen inaktiviert. In Weizen sind jedoch als Erbe seiner verschiedenen biologischen Vorfahren drei MLO-Gene vorhanden. Mit herkömmlicher Züchtung ist es kaum möglich, alle gleichzeitig zu blockieren. Mit Hilfe der Gen-Schere CRISPR/Cas ist jedoch genau das gelungen – alle MLO-Gene auszuschalten.

(2) Die Schadpilze von ihren Nährstoffen abschneiden und so ihre Vermehrung einschränken. Rostpilze gelten als besonders gefährliche Weizenschädlinge. Etwa der Schwarzrost: Bis in die 1960er Jahre hinein kam es weltweit immer wieder zu regionalen Epidemien, die mit enormen Ernteverlusten einhergingen. Klassisch gezüchtete Resistenzen sind inzwischen nicht mehr wirksam. Seitdem wird im Weizen-Genpool nach verschiedenen Resistenzen gesucht.

Am Leibniz-Institut für Pflanzengenetik und Kulturpflanzenforschung (IPK) in Gatersleben beschäftigt man sich mit einem bestimmten Gen (Lr67res), das den Zuckertransport in die Zelle steuert. Eine geringfügige Veränderung des Gens wirkt sich auf den Zuckertransport in die Zelle aus, so dass den Rostpilzen weniger Nahrung zur Verfügung steht: Der Pilz vermehrt sich weniger stark, so dass die Pflanze sich besser dagegen wehren kann.

Mit klassischen Verfahren lässt sich das Lr67res-Gen nicht einkreuzen, ohne andere erwünschte Merkmale zu beeinträchtigen, deren Gene sich auf demselben Chromosom in direkter Nachbarschaft befinden. Mit der Gen-Schere CRISPR/Cas ist es möglich, nur das Resistenzgen punktgenau zu modifizieren.

(3) Natürliche Abwehrmechanismen der Pflanzen verstärken. Viele Pflanzen haben „gelernt“, sich gegen Schaderreger zu wehren. Sie schließen etwa die Spaltöffnungen an den Blättern oder verstärken die Zellwände. Doch diese Reaktion schwächt sich nach einiger Zeit wieder ab, so dass der Pilz wieder die Oberhand gewinnt. Dafür ist ein bestimmter „Repressor“ verantwortlich, der die Expression des jeweiligen Gens unterdrückt.

Gelingt es, ein solches Repressor-Gen abzuschalten, bleibt die pflanzeneigene Abwehr über einen längeren Zeitraum aktiv. Diesen Ansatz verfolgt das 2020 gestartete Projekt PILTON (Pilztoleranz von Weizen mittels neuer Züchtungsmethoden), das von über 50 deutschen Züchtungsunternehmen getragen wird. Mit Hilfe der CRISPR-Schere wurde der DNA-Strang im Bereich des Repressor-Gens durchtrennt und so inaktiviert. Die Folge: Die Pilzabwehr funktioniert länger, die Pflanze bleibt vital genug, um Pathogen-Attacken ohne große Schäden zu überstehen. Das betrifft nicht nur einen Pilzerreger, sondern gleich mehrere. Der Weizen des PILTON-Projekts soll am Ende über eine breite „multiple“ Toleranz gegen Braunrost, Gelbrost, Septoria und Fusarium verfügen.

Schlüsselgene für größere Körner

Weltweit nutzen viele Forschungsprojekte das enorm gewachsene Wissen über die genetischen Ressourcen und ihre jeweiligen Funktionen, um ertragreicheren und resilienteren Weizen zu entwickeln. In der eusage-Datenbank sind elf Publikationen aufgelistet, die sich mit direkten Ertragssteigerungen beschäftigen. So ist es chinesischen Forschergruppen gelungen, durch CRISPR-gesteuerte Modifikationen von bestimmten Schlüsselgenen die Körner zu vergrößern und so die Erträge zwischen sieben und zehn Prozent zu steigern.

Noch stehen solche Weizensorten, die mehr Erträge liefern und Pflanzenkrankheiten standhalten, nicht auf den Feldern. Doch der Weg dahin ist inzwischen deutlich zu erkennen.

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